Gedichte
Mit 9 Carbonografien von Gerard van Smirren
Der neue Gedichtzyklus von Peter Gehrisch besteht aus Bescheiden über ein Suchen nach verborgenen Wegen, entgegengesetzt und dennoch als fortgeschriebene Welt- und Lebenserfahrung zum Vorgängerband, „Tunnelgänge“.
Im Aufruf früher Kindheitserfahrung erscheinen hier Spiegel eines Erinnerungs-Repertoires: das Bombardement auf die Heimatstadt Dresden, die Trümmer- und Ruinenkulisse, die dem Autor für Jahrzehnte präsent ist, zugleich auch der Eindruck einer geistigen Tabula rasa trotz und infolge der stalinistischen Irrsinns-Ideologie, zudem ein groteskes Vis-à-vis der Natur mit den Torsi zerstörter Architektur, die einst für Glanz und Ansehen sorgte.
Seine Recherchen reichen bis an den Ursprung der Philosophie. Dementsprechend erschließen sich Wahrnehmungsräume der Zivilisation, der Geschichte und in der Domäne von Dichtung und Kunst, Erlebnisse im Gemäuer der Stadt. Kraft Mythos und Märchen gelangen phantastische Konstellationen ins Spiel und – in Grenzgängerschaft selbst in unsichtbare Bereiche – über die Schranken konventionellen Verstandes hinweg.
"Im unübersehbaren Strom der zeitgenössischen Fotografie behaupten die Serien von van Smirren, mit ihrer fremdartigen, raffinierten Schönheit, die von einem unerwarteten 'objet trouvé' ausgeht, eine so nicht gesehene Suggestion, die es zu entdecken gilt." (Hubertus Giebe)
Peter Gehrisch: geb. 1942 in Dresden, Mitherausgeber der Zeitschrift für Literatur und Kunst OSTRAGEHEGE, lebt in Dresden und Lwówek ?l?ski
Gerard van Smirren: geb. 1964 in Rotterdam, Studium der Mathematik und Physik in Delft und Leiden, ab 1986 Studium der Renaissance-Ölmaltechniken, seit 1988 freischaffender Künstler.
Leseprobe:
Flaggen, Signale
(I)
Mitunter befällt mich ein
Irrer
Gedanke: Ich
Sei es
Der euch die Richtung erklärt
Von der dunklen Seite des Daseins
Paralysiert, erniedrigt
Erregt und überempfindlich
Zu keinerlei dienlichem
Zwiegespräch fähig
Es sei denn mit dem verborgenen Fahrplan
Meiner mir fremd erscheinenden Reise
Ich lasse Papiervögel steigen
Als Späher über der Zukunft
Dem Staub im neuen Dekor
Zeig euch die Märchen vom blauen
Und einzig vernünftigen Licht
Ohnmachtsattacken
Und Spottgesichter des Schalks
Das sind meine Wappen die
Wimpel während der Fährfahrt!
Ich aber
Bleibe ihr Protagonist solange
Sie dauert bleib
Querkopf, Apostel der Wahrheit und schirmloser
Schirmherr einer verstörten Gesellschaft
Von Fahrlässigkeiten
Verwundert, verwundet vom Wort
Das die innere Erdschicht bewegt
Die Kraft des chinesischen Drachens
(II)
Eine handfeste Rede riesiger Zungen – das ist
Der Leuchtturm in
Meiner Schädel-
Schaluppe auf ihrer Fahrt
Durchs vulkanische Dasein
Weiter und weiter
Entfernt
Von den Ketten
Meiner falsifizierenden Schule, ihrer Hilfe
Fürs Leben und ihrer Irritation
Er ist
Das unbegreifliche Feuer das
Meine Kindheit konterkarierte
Der Blick in
Den offenen Rachen des Haifischs
Die Hölle
Den rasenden
Unbill der Wahrheit
Ihr Brandmal: im hintersten Winkel meines Bewußtseins
Es ist der glimmende Ring
Meiner Lichtwissenschaft
Und Vorort jenes verrückten
Gesichts
Gezeichnet von Asche und Angst
Schwindel erregend
Vor jener sich nähernden Nachricht
Über das Ausmaß der Lügen