Gedichte 1913 - 1939. Aus dem Russischen von Erich Ahrndt
Festeinband mit Fadenheftung und Lesebändchen im eleganten Hochformat
Marina Zwetajewa: das ist Aufbrausen, Ungestüm, höchster Anspruch - aber auch Innigkeit, Einkehr, Zurückgezogenheit. Ihre Themen sind Leidenschaft und Eifersucht, Heimweh und Sehnsucht, Einsamkeit der Künstlerin und Mitfühlen mit den Leidenden und Geschundenen. Ihre Sprache ist lakonisch, ausdrucksstark, tief emotional, aus dem Inneren geschöpft. Daß sie - im Dichten wie im Leben - zur Maßlosigkeit neigte, war ihr wohl bewußt. Früh schon errang sie Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Mit sechzehn Jahren reist sie allein nach Paris, um an der Sorbonne Vorlesungen in altfranzösischer Literatur zu hören. Schon zwei Jahre nach ihrer frühen Heirat (1912) steckt sie mit der Liebe zu einer Frau, mit der sie zusammen lebt und reist, die Freiräume ab, die sie für ihr Leben beansprucht. Doch hält sie, trotz mehrerer folgender Beziehungen zu Männern wie Frauen, zeitlebens zu Sergej Efron, ihrem Ehemann. In jungen Jahren der Krankheit der Mutter geschuldet, sind es später vor allem politische Umstände, die sie wiederholt zum Ortswechsel zwingen. Als Tochter aus intellektuellem Hause und Ehefrau eines Weißgardisten hat sie bei den Enthusiasten der Oktoberrevolution einen schlechten Stand - die russische Exil-Dichterschaft wiederum wirft ihr mangelnde Kritik gegenüber der Sowjetunion vor. Wieder in Russland, zerbricht Zwetajewa an der Verachtung seitens ihrer Kollegen: Zwei Jahre nach ihrer Rückkehr nimmt sie sich in Jelabuga das Leben.
Marina Zwetajewa (1891-1941): geb. in Moskau, Reisen durch Europa, Schülerin in Lausanne, Literaturgeschichtsstudium an der Sorbonne, Ehe mit Sergej Efron, drei eheliche Kinder, leidenschaftliche Liebesverhältnisse u.a. zu Ossip Mandelstam und Sofia Parnok, Leben in Moskau, Berlin, Prag, Paris und wieder Moskau, intensive Korrespondenz mit Rilke und Pasternak, Armut und Übersetzungsarbeiten, Umsiedlung nach Jelabuga (Tatarstan)
Marina Zwetajewa im Radio Ö1
⇒ l-lv.de/verlag/hoerproben/2012_02_05_zwetajewa_oe1_grudrun_braunsperger.mp3
Erich Ahrndt übersetzt Zwetajewa: Mit diesem Unmaß im Maß der Welt
Ralf Julke, L-IZ
⇒ www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2012/01/Zwetajewa-Mit-diesem-Unmass-im-Mass-der-Welt-40551.html
Leseprobe:
Чуть встретишь – уж рвешься прочь.
Я лоб уронила в руки
И думаю, гладя в ночь:
Никто, в наших письмах роясь,
Не понял до глубины,
Как мы вероломны, то есть –
Как сами себе верны.
Октябрь 1915
Begegnung – und Schluß gemacht.
Die Stirne in beiden Händen,
Denk nach ich und starr in die Nacht:
Begreifen wird niemals einer,
Der unsere Briefe findt,
Wie treulos wir warn, will meinen:
Wie treu wir uns selber sind.
Oktober 1915
Мне сладостно, что мы врозь!
Целую вас через сотни
Разъединяющих верст.
Я знаю: наш дар – неравен.
Мой голос впервые – тих.
Что вáм, молодой Державин,
Мой невоспитанный стих!
На страшный полет крещу вас:
– Лети, молодой орел!
Ты солнце стерпел, не щурясь, –
Юный ли взгляд мой тяжел?
Нежней и бесповоротней
Никто не глядел вам вслед ...
Целую вас – через сотни
Разъединяющих лет.
12 февраля 1916
Wie schön, wir sind nicht verbunden!
Ich küsse Sie über hundert
Uns trennende Werste zart.
Ja, ungleich sind unsre Gaben.
Zum ersten Mal bin ich – still.
Was gilt dem jungen Dershawin
Mein Vers, der noch wachsen will!
Ich weih Sie gefährlichen Höhen:
Mein junger Adler, nun flieg!
Hast stolz in die Sonne gesehen –
Zu schwer nun mein frischer Blick?
So zärtlich und unumwunden
Sah keine noch Ihnen nach.
Ich küsse Sie über hundert
Uns trennende Jahre sacht.
12. Februar 1916