Gedichte. Aus dem Bosnischen von Astrid Philippsen, Cornelia Marks & André Schinkel
Im paradiesischen Bergland Bosniens haben die Kulturen jahrhundertelang die Klinge gekreuzt. Erst wenn die Konflikte eskalieren, wenn es heiß wird und wieder zu spät ist, gerät Bosnien in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Doch zwischen den Kriegen ist Leben, zwischen den Kriegen blüht die Poesie ... Der Gedichtband von Hadzem Hajdarevic lädt ein, mit wachen Sinnen und offenem Herzen in ein Meer von Farben, Gerüchen und Klängen zu tauchen, um das Leben an jedem Tag, in jeder Stunde, jeder Sekunde, in seinem vollen Reichtum wahrzunehmen.
Die Übersetzung und Veröffentlichung dieses Buches wurde gefördert von der Verlagsstiftung Sarajevo.
Hadzem Hajdarevic: geb. 1956 in Krusevo bei Foce, Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft in Sarajevo, Mitglied des Schriftstellerverbandes BiH, des P.E.N.-Zentrums, Vorsitzender des Internationalen Festivals Sarajevoer Tage der Poesie, Auszeichnungen: Svjetlost 1982, Skender Kulenovic 1996
Astrid Philippsen: geb. 1942, Studium in Belgrad, Lektorin im Aufbau-Verlag 1966-1972, seitdem freischaffend als Übersetzerin, Paul-Celan-Preisträgerin 2000
Cornelia Marks: geb. 1969, Studium der Südslavistik in Halle, Promotion über Milos Crnjanski, Gründerin der Literaturagentur literarni most
André Schinkel: geb. 1972, Ausbildung zum Rinderzüchter, Studium der Germanistik und Prähistorischen Archäologie, lebt als Autor und Lektor in Halle
"Hajdarevic ist ein Dichter, der nicht beeindrucken will. Seine Lieder leben von dichten, lebendigen Bildern. So einfach und so gültig kann Dichtung sein. Vielleicht ist das das Wohltuendste an diesem Band: In Bosnien traut sich noch einer, Gedichte ganz ohne Firlefanz und Attitude zu schreiben, das Bild aus sich heraus leben, fließen, leuchten zu lassen. Es ist das Einfache, das auf einmal wieder faszinieren darf. Der Moment entpuppt sich als vergängliches Geschenk. Und das "Land, das es nicht gibt", ist überall. Man muss es nur zu finden wissen. Und zu bewahren." Ralf Julke, L-IZ
Leseprobe:
Gotfrid Ben u Sarajevskoj kafani 1994
Klub novinara, Zehrudinu Isakovi?u, poslije
Svije?a se topila kano uplašeni redov na stra¸i –
sve dok uši nije po?eo gristi agregat.
Na rubovima dima cijedila se duga
masna kosa, do nje krezubi vicevi
o krevetu i Bosancu, pa usukani trbuh
smoren ljubomorom i ?irom. Nao?ale
glasno sipaju votku. Javorove štake
sjedaju za moj stol. Jedna radoznala
koljena popuštahu pod brcima u¸utjelim
od nikotina. Šešir, oslonjen o zid, krišom je
buljio u razmjenu podgrijanih zubala
i slina. Umorni o?ni kapci
pjevuše dalmatinsku pjesan. Helanke
sa sedamnaest raznose tuborg pivo.
Operirana vilica siše lozu
na slamku. Geleri u butu kura¸e
tek pripaljenu marihuanu: Valja bje¸ati
u svijet! Sve vrijeme sijeda glava
ukuplja hrabrosti da takne rak dojke
– o kakav skorašnji ¸ig! Od dima
duhanskog tuberkuloza trlja snene
o?i. Mašna muziku pušta. Po podu
lipti harmonikina krv … Da krisnem
i zapodjenem nešto u duši? Da ustanem
i skinem se gol? Ali u tom ?asu
vrisnuše helanke i bluzice znojne:
šešir je zboden pod ple?ku, u vrat …
Iza?oh, polahko, pun logorskog
gnoja … A za mnom
teturahu jedne
samotne
jedne od Svijeta skrivene vene
– prerezane za sat
i pol …
Gottfried Benn im Kaffeehaus in Sarajevo 1994
Journalistenclub, für Zehrudin Isakovi?, danach
Die Kerze schmilzt wie ein erschreckter Rekrut auf Wache –
bis das Aggregat die Ohren anzuknabbern beginnt.
Fettiges langes Haar filtert sich aus den Rändern
von Rauch, daneben zahnlose Bett-
und Bosnierwitze, und ein eingefallener Bauch,
schlapp von Eifersucht und Geschwür. Eine Brille
schlürft laut Wodka. Ahornkrücken
setzen sich an meinen Tisch. Neugierig überlässt sich
ein Knie dem Schnauzbart, gelb von Nikotin.
Ein Hut, an die Wand gelehnt, beglotzt heimlich
den Austausch zwischen aufgewärmten
falschen Zähnen und Spucke. Müde Augenlider
summen eine dalmatinische Weise. Versumpfte
mit siebzehn tragen Tuborg-Bier aus.
Operierter Kiefer saugt Wein durch einen
Strohhalm. Granatsplitter in der Hüfte ermutigt
soeben entzündetes Marihuana: In die Welt flüchten
müsste man! Die ganze Zeit sammelt ein Graukopf
Mut, den Brustkrebs zu berühren –
o welch nahende Pein! Tuberkulose reibt sich
die von Tabaksrauch verschlafenen Augen. Schlips
lässt ab von Musik. Auf den Fußboden strömt
Quetschkommodes Blut … Soll ich brüllen
und etwas in der Seele tun? Aufstehen und mich
nackt ausziehen? Doch in dem Moment kreischen
die Versumpften und verschwitzte Jacken:
Der Hut ist in Rücken und Nacken gestochen …
Langsam geh ich hinaus, voller Konz-
Lagerjauche … Und hinter mir
wankt eine
einsame
vor der Welt verborgene Ader –
durchschnitten in andert-
halb Stunden …
(Aus dem Bosnischen von Astrid Philippsen)
?itanje poezije
Nikad nisam uspio da lijepo pro?itam
svoje pjesme … Ali tog dana, dok je ona
stajala blizu, ?itao sam kao da je jezik
imaše krila i kao da svaku izgovorenu
rije? mašnicom Op?eg Usuda ve¸em …
Ona je sve vrijeme slala SMS mu¸u,
ljubavniku, ili nekom dalekom
sje?anju, mo¸da crnim vrazima
što su, no? prije, oštrili rogove
u postelji dok su ju dijelili s njom.
Nasmijala se poslije, ljupko, i dugo
gledala u me – kao da sam istom
rasplinuo se u zvuk rije?i što nestaju
pa me sad, nevidljiva posve, u titravu
zraku što ga ispuštaju uredno slo¸ene
knjige, uzalud prepoznaje i sluša?
Dichterlesung
Nie habe ich es geschafft, dass ich meine Gedichte
schön vorlese … Aber an jenem Tag, als sie
ganz nah stand, las ich, als hätte die Sprache
Flügel, und als knüpfte ich jedes gesprochene
Wort an den Faden des Jüngsten Gerichts …
Die ganze Zeit schickte sie einem Mann SMS,
einem Geliebten, oder irgendeiner fernen
Erinn’rung, den schwarzen Teufeln vielleicht,
die, in der Nacht zuvor, im Bett die Hörner
wetzten, während sie es sich mit ihr teilten.
Hinterher lachte sie mich aufreizend an
und betrachtete mich lange – als sei ich erst
im Klang der schwindenden Worte verhaucht,
und nun, völlig unsichtbar, in oszillierender
Luft, die sorgsam sortierten Bücher lassend,
erkennt sie mich erst, hört mich vergeblich?
(Aus dem Bosnischen von Cornelia Marks & André Schinkel)