Gedichte
Neunzehnhundertneunundneunzig. Auf der Flucht vor dem Kriegschaos im ehemaligen Jugoslawien und den Grausamkeiten der Nato-Bombardierung Serbiens kam Verica Trickovic mit zwei Kindern, drei Koffern und etwa dreißig Liebesgedichten nach Deutschland. Räumlich öffnete sich ihr die Welt, zugleich entzog sich ihr die Sprache. Die in diesem Band versammelten Gedichte sind Ausdruck des Versuchs, in der neuen Welt das Sprechen noch einmal zu lernen. In einer Sprache, in der auch die alten Bilder aufgehoben sind - die Bilder von Mohn- und Baumwollfeldern, Feigenbäumen und den kargen Landschaften des Mittelmeerraumes. Im Mittelpunkt aber steht der Mensch im steten Versuch seines Glücks. Die Gedichte sind teils Übersetzungen aus dem Serbischen, teils sind sie in deutscher Sprache entstanden.
Verica Tri?kovi?: geb. 1961 in Nerav (Makedonien), lebt in Isernhagen bei Hannover. Veröffentlichungen von Lyrik und Erzählungen in Literaturzeitschriften in Bosnien-Herzegowina, Deutschland, England, Kroatien, Makedonien, Montenegro, Österreich, Polen, der Schweiz und Serbien. Drei Gedichtbände, zuletzt „Als rettete mich das Wort“, Leipziger Literaturverlag, 2011
"Diese Entdeckungen und Ent-Hüllungen erfreuen durch Abwechslungsreichtum, durch die Standhaftigkeit des Staunens und den Glauben an eine Einvernehmlichkeit der Erlebnisse. Sie fördern die Hoffnung, dass Unmittelbarkeit und Erfindungslust sich gegen alle Gegenkräfte behaupten und zu einer möglichen lebenswerten Welt zurückführen. Erinnerungen an solche Weltzeiten, an die Orte einer stimulierenden Gemeinsamkeit sind die Kraftzentren der Lyrik von Verica Tri?kovi?." Horst Fassel
"Die Gedichte von Verica Tri?kovi? zeichnen sich aus durch eine dichte, enthaltsame Diktion, dem Schweigen nah. Da, an der Grenze des Sprechens und des Schweigens, des Lärms und der Stille, entsteht das Schwingen ihrer lyrischen Stimme." Stevan Tonti?
"n den Gedichten von Verica Tri?kovi? bröckelt der Horizont. Beglückt und zugleich verunsichert steht der Leser mit ihr in dem erweiterten Gesichtskreis. Die Bilder wirken jung, frisch, fast beschwingt, selbst wo sie bitter sind. Möge es ihnen glücken, auch aus unserem Horizont neue Sichtschneisen herauszubröckeln!" Sabine Fahl
Leseprobe:
Das Wort
Das still in mir wohnt
Das mich bewahrt
Beizeiten
Kommt die Kraft
Als rettete mich das Wort
Das verborgen
Mich Tag und Nacht beäugt
Zärtlich und rau
Vertraut und fremd
Gradovi
Kad zlatna vaga na zapadu prevagne,
kad proguta sebe zemlja
zajezde za njom
upaljenim fenjerima gradovi
Städte
Wenn sich die goldene Waage im Westen neigt,
wenn sich die Erde verschlingt
reiten ihr nach
mit brennenden Lichtern die Städte
Svetovi
Jutarnje vesti
Po zadnjem popisu
gra?ana dr¸ave ima...
Koliko je gra?ana sveta,
pitaš
Oštricom bodu re?i,
prete da prominu nezapa¸eno
Odgovor se iznemogao guši
pod rukom a¸daje gluve
Welten
Die Frühnachrichten
Staatsbürger gibt es
laut letzter Zählung ...
Gibt es Weltbürger
fragst du
Mit Messerschneide stechen Worte
drohen unbemerkt zu entgleiten
Erschöpft die Antwort
unter tauber Drachenpranke erstickt