Gedichte, zweisprachig, aus dem Amerikanischen von Stefanie Golisch
Ein Wort fehlt in allen Wörterbüchern. Die Gedichte Charles Wrights kreisen um dieses Wort. Seine poetische Spurensuche nach dem göttlichen Funken vollzieht sich maßgeblich im Umkreis des fernöstlichen Denkens, das von jeher den alltäglichen Dingen des Lebens Würde zuerkennt. Die vorliegende Ausgabe versteht sich als erste deutschsprachige Annäherung an den in Amerika gefeierten Lyriker, dessen Gedichte als innerer Dialog vorgestellt werden - ganz im Sinne der von ihm bewunderten chinesischen Meister: obsessiv und meditativ.
Charles Wright: geb. 1935 in Pickwick Dam, Tennessee, Präsident der Academy of American Poets, Professor an der University of Virginia
Für sein Werk wurde Wright unter anderem mit dem Pulitzer Prize for Poetry und dem National Book Award ausgezeichnet.
"Wright hat einen Brocken Unaussprechliches zwischen den Zähnen, das er nicht los läßt. Gedicht um Gedicht lotet er unsere tiefsten Beziehungen zu Natur, Zeit, Liebe und Schöpfung aus. Seine Suche reißt die Grenzen von Zeit, Raum und Handlung nieder, denn seine dramatische Schreibweise weigert sich die üblichen Einheiten anzuerkennen, als sei alle Zeit diese Zeit, alle Orte dieser Ort und alle Handlungen eins." Philip Levine
"Der Wright-Band ist großartig." Silvio Pfeuffer
"Wright, Charles. Fragezeichen! Wenn man etwas weiß, dann, daß Frank Lloyd Wright der Erbauer des New Yorker Guggenheim ist. Auch Namensvetter Charles ist Amerikaner. Einer des Jahrgangs 1935. Geboren im Staate Tennesee und wohldekorierter Lyriker im Lande. Warum wissen hierzulande wenig oder gar nichts vom Dichter Charles Wright? Weil die nordamerikanische Dichtung in Deutschland vor allem durch die popularisierten Pop-Poeten vertreten ist. Das soll genügen? Das genügt nicht! Doch, wen kümmerts? Nicht die Großverlage. Also müssen kleine Verlage ran, das Defizit auszumerzen. Zum Beispiel der solide Leipziger Literaturverlag. Der gibt die Reihe 'edition neue lyrik' heraus. In der ist als Band 22 eine Wright-Auswahl erschienen. Bereits der Titel 'Worte sind die Verringerung aller Dinge' ist eine Herausforderung ... " Bernd Heimberger
"Die Gedichte Wrights leuchten in spätem Jahrhundertlicht. Dieses Licht ist so fremd wie vertraut, denn es beleuchtet die großen (alten) Fragen nach Gottes und eigener Existenz in einer Weise, die, gerade wenn man versucht, die Texte auf ihre Position in der US-amerikanischen Gegenwartslyrik hin zu lesen, nachhaltig überrascht. Die personalisierte Natur und das personalisierte Etwas, das immer mehr an die Stelle der Natur tritt, eröffnen eine Szenerie von Fragen, die selbst wiederum auf die Aufhebung der transzendentalen Gewalt der vorhergehenden Bilder zielt. Das Ende I think we should, love, I think we should. hebt seinerseits die Ironie der vorhergehenden Verse auf, nicht, ohne den Bezug zum Glauben selbst wiederherzustellen. Dieses Gedicht spielt, wie die anderen gelungenen Gedichte, mit sich selbst, mit existenziellem Ernst. Dieses Spiel ist es, welches zumindest die Gedichte des Bandes formal und inhaltlich als schillernd erscheinen läßt." Tom Bresemann, Ostragehege
Leseprobe:
Night Music
Each second the earth is struck hard
By four-and-a-half pounds of sunlight
Each second
Try to imagine that
No wonder deep shade is what the soul longs for,
And not, as we always thought, the light.
No wonder the inner life is dark.
Sounding, and sicced on like a dog
They all go down and devolve
Vowel-dancing, hear-sick
Hoping for realignment and a space that won’t shine.
Unlike the October moon, Apached and blade-dazzled, smalled
Down the western sky
Into Ovidian intersect
With time and its ghostly renderings.
Unlike the leaves of the ash tree, moon-treated and hanging on
For one day longer or so.
Unlike our shrunk selves, dripping like washing on the line.
Nachtmusik
In jeder Sekunde prallen viereinhalb Pfund
Sonnenlicht auf die Erde
in jeder Sekunde,
versuche, dir das einmal vorzustellen
kein Wunder, tiefer Schatten ist wonach die Seele sich sehnt
und nicht, wie wir immer glaubten, Licht.
Kein Wunder, das Innenleben ist dunkel,
sein Klang, und gehetzt wie ein Hund
steigen sie alle hinab und verlieren sich
in Vokal-Tänzen, hör-krank,
auf neue Ordnungen hoffend und hellelose Räume.
Nicht wie der Oktobermond, geflickt, geblendet, verkleinert
am westlichen Himmel
in Ovid’schen Überkreuzungen
aus Zeit und ihren geisterhaften Erscheinungen.
Nicht wie die Eschenblätter, mondbeschichtet, vielleicht
einen Tag lang noch durchhaltend oder so.
Nicht wie unser geschrumpftes Selbst, tropfnass wie Wäsche auf der Leine.