Eine Einführung
Das Buch Zhuangzi, dem der Tang-Kaiser Xuanzong im Jahre 742 den ehrenvollen Titel Das wahre Buch vom südlichen Blütenland verlieh, wird seit über 2000 Jahren dem altchinesischen Denker Zhuangzi (ca. 365-290 v.u.Z., Schreibweise auch Zhuang Zi, Dschuang Dse, Tschuangtse) zugeordnet. Es begegnet uns als eine scheinbar ungeordnete Sammlung von Weisheiten, Gleichnissen und Zitaten. Und das ist gut so, denn es lädt zu einem Lesen nach der daoistischen Maxime des unbekümmerten Spazierens ein.
Leserinnen und Leser, die von der westlichen Denk- und Begriffskultur geprägt sind, reagieren auf diese Form des unverbundenen gedanklichen Nebeneinanders oft irritiert und legen das Zhuangzi möglicherweise schnell wieder beiseite. Das ist bedauerlich, denn Zhuangzi's Schriften sind von seltener Kostbarkeit und von Wahrhaftigkeit erfüllt [33.6].
Deshalb wird hier der Versuch unternommen, das Buch Zhuangzi mit bestimmten Fragen aus den Problemfeldern Erkenntnistheorie, Moralphilosophie, Anthropologie, und Staatsphilosophie abzuklopfen und die Antworten, die im Zhuangzi über den gesamten Text verteilt sind, als Verständnishilfe so zu bündeln, dass die eigenständige Lektüre erleichtert und das Denken angeregt wird. Die Einführung soll dazu beitragen, dass das Buch Zhuangzi als philosophisches Vademecum seine Wirkung entfaltet.
Die Kapitel dieser Einführung sind in sich abgeschlossene Einzelbeiträge, die aber gedanklich wie ein Wurzelgeflecht oder Rhizom miteinander verbunden sind - denn es ist ja alles eins. Alle Zitate aus dem Zhuangzi stammen aus der 2019 erschienenen Übersetzung von Viktor Kalinke.
Michael Wittschier: geb. 1953 in Köln, lebt seit 1980 mit seiner Familie im Bergischen Land und war dort Lehrer für die Fächer Deutsch und Philosophie, außerdem war er als Fachleiter am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Engelskirchen tätig, und als Didaktik-Dozent an der Universität zu Köln, gleichzeitig arbeitete er als Künstler und Autor. Seine Einführung in das philosophische Denken Abenteuer Philosophie entwickelte sich zu einem Longseller, der mehrfach ins Koreanische übersetzt wurde. In den letzten zwanzig Jahren schrieb er unter anderem mehrere Methodenbücher für Lehrer/-innen mit einer Fülle von praktischen Anregungen für den Philosophieunterricht und eine rheinisch eingefärbte Liebeserklärung an das Leben: QUASI. 2023 erschien sein Buch DAO DE COLONIA – Das Kölsche Grundgesetz und sein daoistisches Geheimnis.
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Die Natur schenkt das Leben
Der wahrhaftige Mensch des Altertums wusste
sich weder des Lebens zu erfreuen noch vor dem Tod zu fürchten
unbeschwert ging er davon, unbeschwert kehrte er zurück – das war alles. [6.1]
1.1 Naturwesen Mensch
Im Gegensatz zur abendländischen Denktradition, in der der Mensch aufgrund seiner Vernunft1 eine Sonderstellung im Kosmos einnimmt, weist ihm der altchinesische Denker Zhuang Zi (365 – 290 v.u.Z.) in seinem Wahren Buch vom südlichen Blütenland, dem Zhuangzi, einen gleichberechtigten und marginalen Platz unter allen Lebewesen zu: Von den zahllosen Lebewesen, die sich aufzählen und benennen lassen, ist der Mensch nur eines. […] Im Reigen der zahllosen Lebewesen, gleicht er nicht einem Flaumhaar auf einem Pferderücken2? [17.2]3
Für Zhuang Zi empfangen alle Erdlinge als Naturwesen ihre Lebenskraft in gleicher4 Weise von Himmel und Erde: Die Natur schenkt das Leben und verteilt die Eigenarten. [3.4] Dies bringt er an anderer Stelle des Zhuangzi noch einmal bildlich zum Ausdruck: Wir empfangen unsere Begabungen aus der Großen Wurzel und geben wie weiter an den Lebensgeist. [27.2] Und deshalb kehren sie auch, ohne dass es ihnen bewusst ist, immer wieder zur Natur als unserer Lebens-Wurzel [11.4] zurück: Wer die Wirkkraft von Himmel und Erde versteht, wird ‚Große Wurzel‘ oder ‚Großer Ahnherr‘ genannt; wer im Einklang mit der Natur steht, indem er alles unterm Himmel gleichermaßen achtet, steht auch im Einklang mit den Menschen. [13.1]
Zhuang Zi stellt Menschen, Tiere und Pflanzen auf eine Stufe: Was die Lebewesen hervorgebracht hat, zeichnet auch die Menschen aus; doch nicht das Menschsein ist ausgezeichnet, sondern das Natürliche im Menschen. Es ist die Grundlage dafür. [32.2]
Ähnlich wie Zhuang Zi definierte im Jahre 1844 der deutsche Philosoph Karl Marx in seinen „Pariser Manuskripten“ den Menschen zunächst und zuerst als Naturwesen: „Der Mensch ist unmittelbar Naturwesen. Als Naturwesen und als lebendiges Naturwesen ist er teils mit natürlichen Kräften, mit Lebenskräften ausgerüstet, ein tätiges Naturwesen; diese Kräfte existieren in ihm als Anlagen und Fähigkeiten, als Triebe; teils ist er als natürliches, leibliches, sinnliches, gegenständliches Wesen ein leidendes, bedingtes und beschränktes Wesen, wie es auch das Tier und die Pflanze ist.“5
Aber im Gegensatz zu Zhuang Zi stellt Karl Marx im weiteren Verlauf seiner Darstellung den Menschen dann über Tier und Pflanze, weil er sich „als Gattungswesen […] die gesamte Natur praktisch und theoretisch zum Gegenstand machen“ kann und gibt damit – anders als die Daoisten – der Tätigkeit den Vorrang vor dem Nichtstun (wuwei), weil der Mensch sich mit seiner Arbeit als Geistwesen, gesellschaftliches und geschichtliches Wesen selbst re-produziert.
Die Natur schenkt den Lebewesen aber nicht nur ihren Körper, sondern auch verschiedene, naturgemäß unterschiedliche Lebensphasen, zu denen auch der Tod gehört: Die große Erde schenkt uns den Körper, die Mühen des Lebens, die Muße im Alter, ein Ruhebett, wenn wir sterben. Daher ist, was gut für uns ist, solange wir leben, auch gut für uns, wenn wir sterben. [6.2]
Im Angesicht des Todes seiner eigenen Frau lässt das Zhuangzi Zhuang Zi selbst die Entwicklungsstadien referieren, die ein Lebewesen durchläuft – einschließlich der Phase des Sterbens und der Rückkehr zur formlosen Lebenskraft: Wie die Pflanze aus der Mitte des Samens hervorsprießt, geschah eine Wandlung, und es entstand Lebenskraft; die Lebenskraft wandelte sich, und es entstand Form; die Form wandelte sich, und es entstand Leben; jetzt geschah wieder eine Wandlung, sie [= Zhuang Zis Frau] starb – das alles lässt sich betrachten wie eine Abfolge von Frühling und Herbst, Sommer und Winter im Lauf der vier Jahreszeiten.6 [18.2]
Zhuang Zi setzt die Lebensphasen in direkte Beziehung zum Jahreskreislauf der Natur, der für die Daoisten das einfachste und beeindruckendste Beispiel für den sich ständig von selbst sich so wiederholenden Kreislauf des großen kosmischen Wirkzusammenhangs, des Dao, ist. Und so, wie die Jahreszeiten immer wiederkehren, wiederholt sich auch beim Menschen von Geschlecht zu Geschlecht der Kreislauf des Lebens.
Das Geschenk des Lebens versteht Zhuang Zi als Leihgabe: Es sind Himmel und Erde, die dir den Körper schenken, das Leben gehört dir nicht. […] Es sind die Yin- und Yang-Kräfte von Himmel und Erde, die all dies bewirken, wie kannst du sie in Besitz nehmen? [22.4] Deshalb darf sich seiner Ansicht nach auch niemand darüber beschweren, wenn er krank wird oder sein Zellwachstum entartet wie bei Huajia Shu (Herr Verwirrt), der ein Geschwür an seinem Ellbogen entdeckt. Als überzeugter Daoist sagt er daraufhin: Die Wandlung [hat] mich erreicht, warum sollte ich davon betrübt sein? [18.3]
Zu den Geschenken der Natur gehört auch die Natur selbst. Mutter Erde versorgt alle auf ihr lebenden Wesen in gleicher Weise mit Nahrung: Die Nahrung, die Himmel und Erde gewähren, ist für alle ein und dieselbe. [24.2] Ohne diese Lebensmittel würden wären wir nicht überlebensfähig: Die Geschenke der Natur: von ihnen ernähren wir uns. [5.5] Und deshalb kann Zhuang Zi auch zu Recht sagen: Mensch und Natur sind eins. [20.7]
Für Zhuang Zi ist der Mensch gut beraten, sich bei seinen Tätigkeiten von der Natur leiten zu lassen: Um etwas zu begehren oder zu verabscheuen, sich fernzuhalten oder anzunähern, dazu braucht es keinen Lehrer – dies liegt in der Natur des Menschen. [20.3]
Die Natur der Lebewesen bedarf keiner Erklärung und Pflege, sie wirkt von selbst so: Der Schwan badet nicht täglich und ist weiß; die Krähe schwärzt sich nicht täglich und ist schwarz. Die ursprüngliche Einfachheit ihres Schwarz und Weiß bedarf keiner Erörterung. [14.6]
Deshalb ist es für den Daoisten Zhuang Zi – im Gegensatz zu den Konfuzianern – überflüssig, die Natur (des Menschen) kultivieren zu wollen: Das Dao ist solide beschaffen, es bedarf keiner kleinlichen Maßnahmen. [16.3] Es genügt, ihrem „Rhythmus“ zu folgen, um sich seine Natürlichkeit zu bewahren. Und weil die Lebenskraft des Menschen im Natürlichen liegt, [17.7], darf er sie auch nicht zerstören: Dem Menschen zuliebe bringe nicht die Natur zum Erlöschen. [17.7]
Was passiert, wenn man sich nicht naturgemäß verhält, erläutert Zhuang Zi am Beispiel eines Tierpflegers, der Tiger füttert: Weißt du nicht, wie der Wildpfleger Tiger füttert? Er wagt es nicht, ihnen lebende Tiere vorzuwerfen wegen der Kampflust, die zum Töten erforderlich ist; er wagt es nicht, ihnen ganze Tiere vorzuwerfen wegen der Kampflust, die zum Zerfleischen erforderlich ist. Indem er beobachtet, wann ihr Hunger gestillt ist, erkennt er die Kampflust in ihrem Herz-Geist. Tiger und Menschen gehören verschiedenen Gattungen an, doch sie sind zutraulich zu ihren Pflegern, wen diese ihrer Natur folgen, und sie töten jene, die sich ihrer Natur widersetzen. [4.4]
Auch für den Umgang mit unseren Mitmenschen empfiehlt Zhuang Zi, sich die Natur
zum Vorbild zu nehmen: Wer einem anderen Menschen dient, wird ihn nicht im Stich lassen. Im Sinne des Dao dient er umso besser, wenn er sich auf die Natur stützt. [20.7]
Mit schillernden Farben malt sich Zhuang Zi einen paradiesisch wirkenden Ur- bzw. Naturzustand aus, der mehr Wunsch als Wirklichkeit ist und ein „Goldenes Zeitalter“7 beschreibt, das so niemals existiert haben dürfte. Aber ein solches Szenario wirkt auch als rückwärtsgewandte Utopie: In der Urzeit lebten die Menschen sorglos im Chaos, wie waren eins mit der Welt und genossen Ruhe und Teilnahmelosigkeit. [16.2] bzw. Wenn die Lebenskraft vollkommen ist, geht man gemächlich und sieht sich aufmerksam um. […] Die zahllosen Lebewesen leben in Gruppen, jede Art an ihrem natürlichen Ort. […] Es ist möglich, Vögel und wilde Tiere spazieren zu führen. […] Vereint in Wunschlosigkeit, befinden sie sich in ursprünglicher Einfachheit. Im Zustand ursprünglicher Einfachheit finden die Menschen zu ihrer Natur. [9.2]
In Zhuang Zis Gegenwart führen Wildpferde in der Steppe ein vergleichbares Leben: Pferde, die frei in der Ebene leben, fressen Gras, saufen Wasser; wenn sie glücklich sind, reiben sie die Hälse und erfreuen sich aneinander; […] Den Pferden genügt es dies zu wissen. Weiter reicht ihr Wissen nicht. [9.3]
In diesem Argumentationszusammenhang lässt Zhuang Zi vor allem die Konfuzianer wissen, dass wir bis zu unserem Lebensende an unsere ursprüngliche Natur gefesselt sind: Die ursprüngliche Natur lässt sich nicht ändern, die Bestimmung lässt sich nicht wandeln, die Zeit kann nicht stehen bleiben, das Dao kann nicht angehalten werden. [14.7] Denn diese sind davon überzeugt, dass man den Herz-Geist so lange schulen muss, dass er mit Hilfe der Vernunft zwischen richtig und falsch entscheiden kann.8
Zhuang Zis Schilderungen der paradiesischen Urzeit erinnern stark an die Phantasien des französischen Aufklärers Jean-Jaques Rousseau (1712-1778). Auch er idealisiert den Naturzustand der Menschen, ohne dabei auf wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Ontogenese der Menschheit zurückgreifen zu können. Er verfolgt damit – genau wie Zhuang Zi – didaktische Ziele. So und nur so glaubt er seinen Leser/-innen die fragwürdigen Entwicklungen der Zivilisation vor Augen führen zu können:
„[Im] Naturzustand [ist der Mensch] ein Tier, weniger stark als die andern, weniger beweglich als die andern, aber, alles in allem genommen, am vorteilhaftesten von allen ausgerüstet. Ich sehe es, wie es sich unter einer Eiche sättigt, im ersten besten Bach seinen Durst löscht und sein Bett zu Füßen desselben Baumes findet, der ihm seine Nahrung lieferte. Damit sind seine Bedürfnisse befriedigt.“9
In diesen Zusammenhang gehört auch die unübersehbare Zahl der Wandlungen, die ein Körper im Laufe seines Lebens durchmacht. Das Zhuangzi spricht in Kapitel 6.2 von zehntausend. Diese Zahl ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen, sondern soll – so ähnlich wie im Märchen die Mengenangabe tausend mal tausend – eine unvorstellbare große Zahl10 solcher Veränderungen thematisieren und damit auch das Grundprinzip des Daoismus: das unaufhörliche Entstehen und Vergehen.
Der Mensch wird geschaffen, aber nicht gefragt, ob er geschaffen werden will und in welcher Gestalt. Zhuang Zi vergleicht die Schöpfernatur mit einem großen Schmied: Wer Himmel und Erde als großen Schmelzofen betrachtet und die schöpferische und verwandelnde [Natur] als den großen Schmied, wohin sollte es dann unmöglich sein, ihnen zu folgen? [6.5]
Diese Ansicht könnte den Eindruck erwecken, als sei der Mensch durch und durch determiniert. Aber er hat für Zhuang Zi noch genügend Handlungsspielraum, um naturgemäß zu leben oder eine unnatürliche Haltung einzunehmen:
Um etwas zu pflücken, stellt er [= derjenige, der wahrhaft großes Wissen hat] sich nicht auf die Zehenspitzen11 [17.3]. Wer auf den Zehen steht, steht nicht fest12, stellt schon Lao Zi im Dao De Jing in Kap. 24 fest, er verliert seinen natürlichen Halt, denn zum Auftreten [benötigt] man genug Platz auf dem Boden.“ [24.14]
Das Zhuangzi lässt den von Zhuang Zi (zum Teil sehr) kritisch betrachteten Begründer des Konfuzianismus, Kong Fuzi, mit Blick auf das Schicksal des Menschen feststellen: Die zahllosen Lebewesen wandeln sich, doch wir wissen nicht, was dies bewirkt. Woran erkennen wir, wann sie enden, woran erkennen wir, wann sie anfangen? Wir können nur innehalten und nehmen, wie es kommt – das ist alles. [20.7]
Aber diese agnostizistische Haltung verführt Zhuang Zi nicht zu einem Glauben an (ein) höhere(s) Wesen, dem/denen wir unterworfen sind: Wer seine Zeit zufrieden annimmt und den Lauf der Dinge akzeptiert, in den können Trauer und Freude nicht eindringen. Dies nannten die Alten Befreiung aus dem Gefesseltsein an Gott. [3.5]
Mit Blick auf die Länge des Lebens gesteht Zhuang Zi dem Menschen großzügig maximal 100 Jahre zu und minimal 60 Jahre: Die höchste Lebensspanne des Menschen beträgt hundert Jahre, die mittlere Lebensspanne beträgt achtzig Jahre, die geringe Lebensspanne beträgt sechzig Jahre. [29.1]
Gleichwohl erscheint Zhuang Zi die gefühlte Dauer des menschlichen Lebens sehr kurz zu sein, denn er vergleich sie mit einem vorbeigaloppierenden Pferd, das huschhusch13 wieder verschwindet: Himmel und Erde haben kein Ende, der Mensch aber stirbt, wenn seine Zeit gekommen ist; was nur eine befristete Zeit hat, verglichen mit dem, was unendlich ist, gleicht es nicht einem edlen Schlachtross, das losgaloppiert und im nächsten Graben verschwindet? [29.1]
Wer ein langes, gelungenes Leben führen will, sollte sich nach Zhuang Zi folgenden Rat zu Herzen nehmen: Wenn das Auge nichts hat, was es sieht, das Ohr nichts hat, was es hört, der Herz-Geist nichts hat, was er weiß, denn gelingt es deinem Geist, den Körper zu erhalten, und der Körper wird lange leben. [11.3]14
Was die alles entscheidende Lebensqualität betrifft, macht sich Zhuang Zi bezüglich des menschlichen Daseins keine Illusionen. Nur vier bis fünf Tage im Monat können wir glücklich sein, belehrt der große Räuber Zhi den Weisen Kong Fu Zi: Abgesehen von den Zeiten, in denen man an Krankheiten leidet, um Todesfälle trauert oder sich um Gefahren sorgt, bleiben höchstens vier bis fünf Tage im Monat, an denen man den Mund öffnet und lacht – das ist alles. [29.1] 15
1 Henrik Jäger weist darauf hin, dass „Zhuangzi […] nie bestritten [hätte], dass die Vernunft eine den Menschen auszeichnende, herausragende Fähigkeit ist, die ihn von anderen Wesen unterscheidet. Jedoch der rechte Gebrauch der Vernunft kann nur dem gelingen, der seinen Körper, seine Träume, seine Gefühle und Instinkte wahrnimmt.“ – Zhuangzi - Jäger 2018:63ff.
2 An anderer Stelle vergleicht Zhuang Zi das Leben des Menschen mit einem „schwankenden Grashalm“ [2.3] und unterstreicht so seine kosmische Bedeutungslosigkeit
3 Zitiert nach Kalinke 2019. Dies gilt auch für alle folgenden Zhuangzi-Zitate. Zhuangzi. n
4 Die darin zum Ausdruck kommenden Gleichgültigkeit ist nicht im Sinne von Teilnahmslosigkeit zu verstehen, sondern im Sinne von: Alles ist gleich gültig oder in gleicher Weise nützlich: „Von den zahllosen Lebewesen [gibt es] keines, das nicht nützlich ist; erscheint nutzlos, was keinen Nutzen hat, dann gibt es von den zahllosen Lebewesen keines, das nicht nutzlos ist.“ [17.5] – An einem praktischen Beispiel erläutert Zhuang Zi in der für ihn bekannten Art („Grobes zu verfeinern“ [33.6]), was das konkret bedeutet. Ein Gastwirt, der zwei Konkubinen hat, gibt der hässlichen den Vorzug vor der schönen, und zwar mit folgender Begründung: „Die Schöne hält sich selbst für schön, so dass wir ihre Schönheit nicht mehr erkennen; die Hässliche hält sich selbst für hässlich, sodass wir ihre Hässlichkeit nicht mehr erkennen.“ [20.9]
5 Marx 1990:578
6 In Kapitel 11.3 heißt es: Hunderte Geschöpfe, die jetzt gedeihen, sie alle entstanden aus Staub und werden wieder zu Staub. Dies stimmt – interkulturell betrachtet – mit dem AT überein: "Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst; denn von ihm bist du genommen, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück" (Gen 3,19).
7 Vorstellungen von „friedlichen Urphasen der Menschheit vor der Entstehung der Zivilisation“ gibt es auch in der antiken Mythologie. Sie sind Ausdruck einer Sehnsucht nach einem für immer verloren gegangenen Idealzustand. - https://de.wikipedia.org/wiki/Goldenes_Zeitalter
8 Für Menzius gilt: „Erst der Herz-Beamte denkt“ beim „Menschen und stellt mit seinen moralischen Kategorien dessen Eigenheit dar. Enzinger 2002:115-121
9 Rousseau 1983:84
10 Kap. 25.10: „Die Zahl der Lebewesen hört nicht bei zehntausend auf, aber wir sagen >zehntausend Lebewesen<, um die Vielzahl irgendwie einzuordnen und zu benennen.“
11 Für Zhuang Zi ist diese unnatürliche Körperhaltung der Anfang vom Ende unseres ursprünglichen Lebens. „Dann erschienen die Weisen [= Konfuzianer und Mohisten], um mit Ritualen und Musik alles unterm Himmel zurechtzubiegen und zurechtzurücken; sie ließen dem Land Menschlichkeit und Rechtschaffenheit angedeihen, um den Herz-Geist von allen unterm Himmel zu beruhigen – und das Volk begann, sich auf die Zehenspitzen zu stellen in seiner Gier nach Wissen, es wetteiferte im Erzielen von Gewinn und konnte nicht mehr aufhören. Das ist der Fehler der Weisen.“ [9.3]
12 Laotse 1923:26
13 In der Todesanzeige des bekannten Kinderbuchillustrators Wolf Erlbruch (1948-1922) wird ein themengleiches Haiku des amerikanischen Dichters Ron Padgett zitiert: „Das ging aber schnell / ich meine / Das Leben.“ („That / Was fast. / I mean life.“)
14 Den umgekehrten Vorgang zur Geist-Herz-Askese beschreibt das Zhuangzi in Kap. 7.7. Darin wird erzählt, wie der die Herrscher über Süd- und Nordmeer [= der Schnelle und der Plötzliche] in ihren Freund Hundun, einen Urkloß ohne Sinnesorgane, sieben Körperöffnungen bohren, damit er endlich etwas von der Farben-, Geschmacks-, Geruchs- und Geräuschvielfalt der Welt erleben kann. Die Pointe dieser wissenschaftssatirischen Geschichte lautet: „Am siebten Tag war Hundun tot.“
15 In seinem Buch „Sand and Foam“ formulierte der libanesische Dichter, Denker und Maler Khalil Gibran (1883 -1931) eine ähnliche Einsicht mit den Worten: „We live only to discover beauty. All else is a form of waiting.”
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