Der Klassiker vom Weg und seiner Wirkkraft. Aus dem Chinesischen von Viktor Kalinke. Mit Kalligraphien von Thomas Baumhekel
Das Daodejing entstand in einer politischen Wendezeit. Während sich die autoritären Lehren des Konfuzius als Staatsideologie durchsetzten, deren Kenntnis von den Beamten gefordert wurde, war das Daodejing dank seiner vieldeutigen Metaphorik und subversiv-kritischen Aussagen der heimliche Klassiker der gelehrten Beamten. Das Faszinierende des Daodejing besteht in einer einzigartig anmutenden Bündelung kosmischer, seelischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, die mit Recht als unio mystica bezeichnet werden kann.
Laozi (Schreibweisen: Lao tse, Lao-tse, Lao tzu, Laudse): Legendärer chinesischer Philosoph, der der Sage nach ein älterer Zeitgenosse des Kongzi (Konfuzius) gewesen sei und als königlicher Schrifthüter gearbeitet habe. Die Schilderung eines Treffens, bei dem Kongzi (5. Jh. v. Chr.) von Laozi über die Riten belehrt, findet sich bei Zhuangzi und gilt als phantasievolle Erfindung ohne historischen Gehalt. Auch die „Biographie“ des Laozi, die der chinesische Hofhistoriker Sima Qian (2. Jh. v. Chr.) wiedergibt, beruht auf Gerüchten. Ob je ein Mann namens „Laozi“ (wörtlich: „Alter Meister“) gelebt hat, wird von der Forschung bezweifelt. Die ihm zugeschriebene Aphorismensammlung „Daodejing“ entstand vermutlich zu Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. als Meditationsgrundlage für philosophische Schulen. Die heute übliche Kanonisierung des Textes in 81 Kapitel geht auf den Han-Kaiser Han Gi Di (156-140 v.Chr.) zurück.
Viktor Kalinke: geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.
"Es ist eine große Arbeit, die Sie geleistet haben. Ihr Fleiß und Ihre Beharrlichkeit verdienen besondere Anerkennung. Der Nutzen Ihrer Publikation steht außer Frage. Ich wünsche den Bänden, daß sie gut angenommen werden." Prof. Dr. Ralf Moritz (Universität Leipzig, Ostasiatisches Institut)
"Mit großem Interesse studiere ich Ihre Ausgabe vom Daodejing, die interessanteste Ausgabe, die mir bis jetzt begegnet ist." Ulrich Hasler (Trogen, Schweiz)
Leseprobe:
Kapitel 20
Wirf ab, was du gelernt hast
und du hast keinen Kummer
Wie wenig trennen Ja und Nein?
Wie wenig unterscheidet gut und schlecht?
Gibst du den Menschen Anlaß zum Fürchten
und ist es unmöglich, sich nicht zu fürchten
so hat die Not kein Ende!
Alle freuen und vergnügen sich
als gingen sie zum Opferfest Tailao
als zögen sie im Frühling auf Terrassen
nur ich ruhe still und ohne Zeichen
dem Säugling gleich, der – noch nicht Kind –
noch nicht gelächelt hat, müde, immer müde
als fehlte mir ein Ort zur Heimkehr
Alle leben sie im Überfluß
nur ich verschenke noch
Eines Narren Herz und Geist hab ich: einfältig, unverdorben
Die gewöhnlichen Menschen sehen klar
nur ich bin dunkel und wirr
Die gewöhnlichen Menschen unterscheiden scharf
nur ich bin dumpf und stumpf
Dahintreibend wie das Meer
unaufhörlich wie der Wind
Alle verdingen sich nützlich
nur ich bin unvermögend wie ein Tölpel
nur ich bin von den andern verschieden
und achte die nährende Mutter