Utz Rachowski

Mit Utz Rachowski verbindet mich eine gemeinsame Berliner Zeit in den Jahren um den Mauerfall. Es waren unsere Anfänge im Publizieren damals in den Räumen des Berliner Oberbaum Verlags. Damals lernte ich Utz Rachowski als Mensch und Autor schätzen. Utz Rachowski ist ein Autor, der ein Schicksal hat, ein polititisches Schicksal. Für sein Schreiben ist er in der DDR für vierzehn Monate in den Gefängnissen Karl-Marx-Stadt und Cottbus inhaftiert und schließlich des Landes verwiesen, sprich von der BRD freigekauft worden. Diese Erfahrung hat ihn und sein Werk geprägt. Da war nicht allein der Gefängnis-Aufenthalt, sondern war der Verlust von Heimat, familiärer und freundschaftlicher Kontakte und echter Ausbildungmöglichkeiten. „Das Urvertrauen ist gebrochen, ist absolut weg, man fühlt sich immer irgendwie bedroht“, so beschreibt Utz Rachowski die Folgen seiner Inhaftierung.
Für ihn ist die Kunst zu einem „blutigen Geschäft“ geworden, wie er es in seiner Erzählung „Der letzte Tag der Kindheit“ ausführt, die im Band „Beide Sommer“ im Leipziger Literaturverlag erschienen ist. Das „blutige Geschäft“ teilt er mit vielen, die unter totalitären Regimen nicht schweigen und wegsehen wie z.B. Walam Schalamow, Alexander Solschenizyn in der Sowjetunion, wie Jürgen Fuchs in der DDR. Es ist die Stimmung eines Autors, der unfreiwillig politisch werden muss. Das Unrecht liegt vor aller Augen und jedes Verschweigen bedeutet Mittäterschaft. Moral und Charakter stehen auf dem Prüfstein. Wer sich eine Vorstellung machen möchte, wie ein Duktus eines Autors mit politischem Schicksal im Vergleich zu einem Autor, dem ein solches Schicksal nicht widerfahren ist, sich anhört, der lese je eine Seite vom obenerwähnten Schalamow und eine von Marcel Proust. Für Proust bleibt das Verhängnis aber nicht weniger gegenwärtig. Es wird nur nicht konkret. Dass man für ein Wort mit der Haut bezahlen muss, lag den meisten Autoren des liberalen Westens fern. Außerdem wollte man im links dominierten Literaturbetrieb nicht gern schlechte Nachrichten aus dem Vorzeigestaat DDR drucken, der für viele ein identitätsstiftendes Narrativ bildete. Das bedeutete für Utz Rachowski und viele andere Dissidenten ein doppeltes Vakuum der Kommunikation.
Utz Rachowskis Erzählkunst, die eine Prosa der Trauer, aber gleichwohl eine des melancholischen Hoffens ist, arbeitet mit kurzen Aussagesätzen, manchmal einfach nur Nomen zwischen zwei Punkte gesetzt, mit Vor- und Rückblenden. Der schnörkellose Satz variiert und insistiert. Die Stimmung ist ernst, aber es klingt auch Humor durch. Hier gibt es Linien zu Wolfgang Borchert, Heinrich Böll, Herta Müller. Hesses Erzählkunst wird ihm zur „Calwer Unschärferelation“. Danach sind Ort und Impuls nicht gleichzeitig messbar. Es ist ein Schwebezustand. Und damit ist Dichtung gut beschrieben. Aber fast im gleichen Atemzug ruft er – und so einer suizidalen Versuchung entkommend - das „produktive, das künstlerische Dagegen“ eines Jürgen Fuchs auf. Eines wird Utz Rachowski stets wieder beschäftigen und eine Art produktiven Streit in ihm lebendig halten, der seine Erzählkunst charakterisiert: Was ist der Hauptschauplatz der künstlerischen Perzeption? Die Kinderseele, die immer auch die Künstlerseele ist, oder die politischen Verhältnisse, die ein Schweigen verbieten? Durch alle bedrückenden Zustände eines feinsinnigen Autors, der von einem totalitären Regime verletzt wird, aber schwingt die „gewaltige, die erste, die grüne Liebe“.
Utz Rachowski: geb. 1954 in Plauen/Vogtland. Er wurde aus der "Freien Deutschen Jugend" ausgeschlossen und machte danach eine Elektrikerlehre und leistete den Grundwehrdienst. 1977 machte er sein Abitur und studierte zwei Semester Medizin in Leipzig. Danach arbeitete er ein Jahr als Heizer. Er wurde wegen "staatsfeindlicher Hetze" (Vervielfältigung und Verbreitung eigener Texte sowie von Texten von Jürgen Fuchs, Wolf Biermann und Reiner Kunze) verhaftet und zu 27 Monaten Gefängnis verurteilt. 1980 wurde er dann schließlich ausgebürgert und studierte daraufhin Kunstgeschichte und Philisophie in West-Berlin und Göttingen. Heute lebt er in Berlin und im Vogtland. Er erhielt u.a. neben einem Alfred-Döblin-Stipendium den Andreas-Gryphius- und den Eduard-Mörike-Förderpreis. Seit März 2006 setzt er die Mitgliedschaft im re-aktivierten P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (Centre of German-speaking Writers Abroad) fort.
Von Utz Rachowski ist im Leipziger Literaturverlag erschienen: