Gedichte
Aus dem Portugiesischen von Ilse Pollack
In diesem Buch sind Tote versammelt, bekannte und weniger bekannte, die einmal nicht nur lebten, sondern höchst lebendig waren, und die Viale Moutinho vor dem Vergessen gerettet hat. Später ist der fröhliche Umgang mit Gevatter Tod naturgemäß einer anderen Stimmung gewichen, und auch der Ton ist rauer geworden. Alter und Krankheit haben Einzug gehalten. Die Toten stammen nicht mehr (nur) aus dem Reich der Literatur, sondern immer häufiger aus dem wirklichen Leben; immer schneller häufen sich die Abschiede, immer größer werden die Lücken um uns herum. Auch in den Dörfern und Städten spürt der Dichter Verfall und Ende. Ende einer Ära, deren Zeuge er/man war. Verschwinden von Gebäuden und Landschaften. Entfremdung zwischen den Generationen. Der verspielte Ton von einst weicht einer Lakonie der Reife, die jetzt den „scharfen Pfiff“ moduliert. Und die in der nüchternen Betrachtung allen Vergehens und Vergessen-Werdens eine außergewöhnliche lyrische Herausforderung meistert.
José Viale Moutinho: geb. 1945 auf der Insel Madeira. Lebt in Porto. 40 Jahre lang Journalist. Dichter. Erzähler. Essayist. Dramaturg. Zahlreiche Preise in Portugal und Spanien sowohl für sein belletristisches als auch für sein journalistisches Werk, u.a. ins Russische, Italienische, Bulgarische, Kastilische, Asturianische, Galizische und Katalanische übersetzt. Unter mehreren Dutzend Veröffentlichungen auch zahlreiche Kinderbücher. Theaterstück: Die Nacht von Ravensbrück.
Ilse Pollack: geb. in Leibnitz, Steiermark. Studium der Romanistik in Wien und Paris. Promotion. Von 1976 bis 1984 Universitätslektorin in Portugal. Arbeitet nach ihrer Rückkehr aus Portugal als Publizistin und Übersetzerin, Lusitanistin aus Leidenschaft. Zuletzt im LLV: Luís Filipe Castro Mendes, Fremde Nähe.
Leseprobe:
Fernando Pessoa no Mosteiro dos Jerónimos
O mosteiro dos jerónimos (sabia?)
vai ter este ano um botequim
e o túmulo de fernando pessoa
também as romagens de todos os
necro-pessoanos e afins e de
certo haverá uma bela exposição
dos seus retratos dos seus livros
e de quase todos os seus manuscritos
da papelada daquele baú, só fernando
pessoa não foi ouvido (nem
o centro de estudos pessoanos),
mas quem se importa com o poeta
quando os louros servem infelizmente
em toda e qualquer cabeça
e há tantas vontades literárias
como livros de versos ainda inéditos,
Fernando Pessoa im Hieronymuskloster
Das hieronymuskloster (wussten sie es?)
wird heuer ein café bekommen
und das grabmal von fernando pessoa
sowie wahlfahrten von sämtlichen
nekro-pessoanern und solchen die es noch werden
gewiss wird es eine schöne ausstellung geben
mit seinen fotos seinen büchern
und mit fast allen seinen manuskripten
aus den papieren jener truhe, nur
fernando pessoa wurde nicht gehört
(und auch nicht das centro de estudos pessoanos),
aber wer schert sich schon um den dichter
wenn die lorbeerkränze leider
auf jeden x-beliebigen kopf passen
und es so viele literarische wünsche gibt
wie bücher mit noch unveröffentlichten versen,
Já não tenho sombra
Já não tenho sombra, risco, ouvido,
pressa de chegar, o fim que se mova,
despi os dizeres da ganga das calças
coçadas do tempo, esqueço-me da voz
e já os lábios modulam o acre assobio,
mastigo o risco, o termómetro metido
debaixo do braço, conhecem-me mesmo
doente, de óculos escuros e silencioso,
não serei o último dos ladrões de cisnes,
despeço-me de cada gesto sentimemtal
como se fosse meu, aceno com o lenço
e entro numa outra carruagem, sorrio,
Ich hab keinen Schatten mehr
Ich hab’ keinen schatten mehr, kein profil, kein gehör,
keine eile anzukommen, das ende soll sich in bewegung setzen,
die sprüche hab ich entfernt vom stoff der hosen
an denen die zeit genagt, ich vergesse die stimme
die lippen modulieren schon den scharfen pfiff,
ich kaue am risiko, das thermometer unter die
achsel gesteckt, man kennt mich sogar
krank, mit dunkler brille und schweigsam,
ich werde nicht der letzte räuber von schwänen sein,
ich verabschiede mich von jeder sentimentalen geste
als ob sie meine wäre, winke mit dem taschentuch
und steige in einen anderen waggon, lächle,
Morte na urgência
E quando a máquina pára,
o paciente, sorrindo, condescende
em viajar no tempo,
não fazendo nada por isso,
não solta uma palavra,
possivelmente lhe escutarão
um suspiro como quem deixa
de respirar, os demais
ficam perplexos e dizem
que se apagou como
um passarinho sem nome,
doente, paciente e deitado,
Tod in der Notfallaufnahme
Und wenn die maschine stillsteht,
lächelt der patient, zufrieden
eine zeitreise anzutreten
ohne sein zutun,
kein wort kommt über seine lippen,
möglich dass man ihn noch einmal
seufzen hört wie jemand der
zu atmen aufhört, die anderen
sind perplex und sagen
dass er verlosch wie
ein namenloses vögelchen,
krank, geduldig, hingestreckt,