Deutsche Nachdichtung von Jan Weinert
Die geheimnisvollen Sonette sind eines der meistkommentierten Werke der Weltliteratur. Shakespeare, der bis heute erfolgreichste Bühnenautor der Welt, versprach seiner Sonettdichtung die Unsterblichkeit. Vor etwa 200 Jahren wurden die Sonette in Deutschland bekannt. Seither ist eine Flut von Nachdichtungen entstanden. Es gibt romantische, biedermeierliche, in neuerer Zeit feuilletonistische und akademische Übertragungen.
Die Originale des honigzüngigen Shakespeare, des "Schwans von Avon" - so nannte man ihn zu seiner Zeit - immer wieder laut lesend, hat Jan Weinert eine Nachdichtung geschaffen, die nicht nur Shakespeares Humor - seinem ironischen Pathos - näher und so wortgetreu wie möglich ist, sondern zugleich seinem englischen Klangzauber eine deutsche Entsprechung gibt.
Der Versuch, Shakespeares Sonette in verschiedenen deutschen Übertragungen zu singen, mußte aufgrund der nicht beibehaltenen Rhythmik mißlingen. Mit der vorliegenden Nachdichtung geht es leicht. Mit ihr läßt sich der "Shakespeare-Sound" im Deutschen sprechen.
Möge dies Buch den Lesern ein Sprachvergnügen und den leidenschaftlich Liebenden eine heilende Medizin sein!
William Shakespeare: geb. vermutlich 23. April 1564 in Stratford-upon-Avon; † 23. April (jul. Kalender) / 3. Mai 1616 (greg. Kalender) in Stratford-upon-Avon, war ein englischer Dichter und gehört zu den bedeutendsten Dramatikern der Weltliteratur
Jan Weinert: geb. 1963 in Jena, lebt in Berlin
"Das Ergebnis überzeugt ohne Zweifel, vor allem wenn man die Übereinstimmung der Reimformen von Original und deutscher Entsprechung betrachtet." Undine Materni, Ostragehege
Leseprobe:
I
From fairest creatures we desire increase,
That thereby beauty’s rose might never die,
But as the riper should by time decease,
His tender heir might bear his memory:
But thou contracted to thine own bright eyes,
Feed’st thy light’s flame with self-substantial fuel,
Making a famine where abundance lies,
Thyself thy foe, to thy sweet self too cruel.
Thou that art now the world’s fresh ornament
And only herald to the gaudy spring,
Within thine own bud buriest thy content
And tender churl, mak’st waste in niggarding.
Pity the world, or else this glutton be,
To eat the world’s due, by the grave and thee.
I
Die schönsten Wesen wünschen wir vermehrt,
Damit der Schönheit Rose nie vergeht,
Ist dann die reifere von Zeit verheert,
Ein junger Erbe als Gedächtnis steht.
Nur mit dem eignen Leuchteaug im Bund,
Öl aus dir selbst nur nährt den Flammenschein,
So machst du aus der Überfülle Schwund,
Dir selbst ein Feind, mußt selbst dir grausam sein.
Wenn du die Welt heut farbenfrisch belebst,
Als erster Bote frohen Frühling hauchst,
Wenn in der Knospe du den Schatz begräbst,
Dich, zarter Knauser, du durch Geiz verbrauchst.
Fühl mit der Welt! Vom Prassen sonst betört,
Dein Grab und du frißt, was der Welt gehört.
...
CLIV
The little Love-god lying once asleep
Laid by his side his heart-inflaming brand,
Whilst many nymphs that vow’d chaste life to keep
Came tripping by; but in her maiden hand
The fairest votary took up that fire
Which many legions of true hearts had warm’d;
And so the general of hot desire
Was sleeping by a virgin hand disarm’d.
This brand she quenched in a cool well by,
Which from Love’s fire took heat perpetual,
Growing a bath and healthful remedy
For men diseas’d; but I, my mistress’ thrall,
Came there for cure, and this by that I prove,
Love’s fire heats water, water cools not love.
CLIV
Der kleine Liebesgott entschlummert war,
Bei ihm lag noch sein herzentflammend Brand,
Es kamen Nymphen, eine keusche Schar,
Vorbeigewandelt; und die Mädchenhand
Der Schönsten hob das Feuer in die Höhe,
Das Heere wahrer Herzen warm bewahrt’;
Daß der Gebieter heißer Liebeswehe
Von Jungfraunhand im Schlaf entwaffnet ward.
In einer kühlen Quell’ losch sie die Glut,
Die, immer hitzig nun vom Liebesglühn,
Zum Bade ward, sehr wohl als Heilkur gut
Für Sieche; doch ich, Knecht der Meisterin,
Kam her zur Kur, wo ich Beweis erhielt:
Die Lieb hitzt Wasser, Wasser Lieb nicht kühlt.