Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Russischen von Erich Ahrndt
Angelina Polonskaja hat sieben Gedichtbände veröffentlicht, von denen zwei, ins Englische übersetzt, in den USA erschienen. Ihre Gedichte wurden auch in russischen Zeitschriften und Zeitungen publiziert, aber in den letzten Jahren konnte sie praktisch nichts mehr veröffentlichen: Sie schrieb das Libretto zum Oratorium „Kursk“ des australischen Komponisten David Chisholm, einem Requiem auf die im Jahr 2000 umgekommene russische U-Boot-Besatzung. Es wurde 2011 in Melbourne uraufgeführt. Seitdem ist Angelina Polonskaja für die Mächtigen im Kreml eine Dissidentin. Schnee und Kälte sind ihre Metaphern für soziale und menschliche Kälte, auch für das Leiden daran. Den Wunsch nach Harmonie versagt sich Angelina Polonskaja, sie will sich der nüchternen Analyse und dem Widerstehen-Müssen stellen. Es ist an der Zeit, diese Lyrikerin, zweifellos eine der bedeutenden Dichterinnen der Gegenwart, im deutschsprachigen Raum vorzustellen. Unvollendete Musik ist ihr zweiter Band in deutscher Übersetzung.
Polonskajas Lyrik bricht mit russischen Traditionslinien, indem sie ihnen zum Schein folgt und anschließend irritiert. Ihre Texte sind politisch, ohne zu agitieren oder zu appellieren. Sie ruft Landschaften und Jahreszeiten auf die Bühne, als wären sie Mörder oder Präsidenten. Im Schnee gefriert das Blut, knarrende Türen symbolisieren den unbarmherzigen Fortgang der Geschichte, der selten ein Fortschritt ist. ›Asche‹ gehört zu ihren zentralen Metaphern. Angelina Polonskaja’s Poetologie bedient sich einer aufgeladenen, bilddichten Sprache, hinter jedem Abstraktum wittert der Leser ein menschliches Schicksal.
Angelina Polonskaja wurde in Malakhovka, einer kleinen Stadt in der Nähe von Moskau, geboren. Seit 1998 ist sie Mitglied des Moskauer Schriftstellerverbandes, seit 2003 des russischen PEN. Angelina Polonskaja nahm zahlreiche Schreibresidenzen wahr, darunter am Cove Park Scottish Arts Council, am Hawthornden International Retreat for Writers, an der MacDowell Colony, am Bellagio Center der Rockefeller Foundation und an der Villa Sträuli in Zürich. Sie arbeitet außerdem als literarische Übersetzerin. Ihre Arbeiten wurden bisher ins Deutsche, Niederländische, Slowenische, Lettische und Spanische übersetzt.
Неоконченная музыка
Из всех предшествующих зим
одна подкатывает к горлу,
где человек уходит в дым,
в чужую музыку уходит.
Ты, всемогущая печаль,
земная маска повторенья,
не будет сна в твоих ночах
до той, до самой, до последней.
За скрипом двери – двери скрип,
и сколько их, дверей забытых!
Снег отпоëт, отпустит всех:
и нелюбимых, и любимых.
И что там в ледяной крови,
еë неслышимой капели…
Мы жили, жили, как могли,
и умирали, как умели.
Unvollendete Musik
Von allen Wintern, die zuvor,
steigt einer mir hinauf zur Kehle,
wo sich ein Mann in Rauch verlor,
verlor sich in Musik, in fremde.
Du, Traurigkeit, allmächtige,
irdische Maske alter Leier,
kein Schlaf wird sein in deinen Nächten
bis zu der letzten, jener einen.
Nach einer Tür die nächste knarrt,
vergessen schon so viele Türen!
Der Schnee singt alle tot und fort:
Die Lieben wie die Ungeliebten.
Das eisig kalte Blut, es möcht
unhörbar auftaun in der Sonne…
Wir lebten, lebten schlecht und recht
und starben, wie wir’s eben konnten.
К пеплу
Мы в ночь. Мы абрисы из пепла
верхом на призрачных конях.
Гнедые никуда, ни с места,
а только плачут и горят.
Хлестать коней и видеть шрамы,
и черпать от пустого дна.
Там за спиной – одни утраты.
Плыть, но куда? – кругом зола.
И наши мëртвые повсюду –
в деревьях, в праздниках, в цветах.
От смерти не даëт очнуться
им тот же пепел на устах.
А хлынет свет, постой: как трудно,
когда уходит ночь из глаз.
И вместо сердца гаснет уголь,
и рассыпается тотчас.
Zu Asche
Ritt in die Nacht. Umriss sind wir
aus Asche, die Pferde Geistern gleich.
Die Braunen – nicht vom Fleck sich rühren,
sie weinen nur und glänzen bleich.
Peitschen die Pferde, sehn die Narben
und schöpfen vom geleerten Grund.
Im Rücken nur Verlust. Wir darben.
Schwimmen? Wohin? Asche ringsum.
Und unsre Toten stets inmitten
von Bäumen, Blüten, Festgetös.
Die gleiche Asche auf den Lippen
ist’s, die vom Tod sie nicht erlöst.
Und flutet Licht, dann wart: ‘s wird schmerzen,
wenn aus dem Aug die Nacht entflieht.
Kohle verglüht dir statt des Herzens,
und schon zerfällt sie und zerstiebt.
Крещенское гадание
Всë сбылось, что писала
на белом костре бумаги.
Пепел остыл.
Было войско,
остался один.
Нищий палкой сгребает
остатки костра,
он копейку подал,
чтобы я
погадала
с пустого листа.
И стою, глядя в небо, зажав этот дар,
и бедняк теребит, вижу ль
свет или мрак?
А я вижу и свет, и сирень всю в цвету,
и молчу про огонь и про пепел молчу.
Wahrsagen zum Dreikönigsfest
Alles traf ein, was ich schrieb
auf weißem Feuer Papier.
Die Asche ist erkaltet.
Es war ein Heer,
geblieben ist einer.
Ein Bettler kratzt mit dem Stock
in den Resten des Feuers,
er gab mir eine Kopeke,
dass ich ihm
wahrsage
vom leeren Blatt.
Und ich stehe, in den Himmel schauend, die Gabe in der Faust,
und der arme Kerl drängt mich, ob ich nun
Hell sehe oder Dunkel?
Ich sehe Licht und auch voll erblühten Flieder
und verschweige das Feuer und verschweige die Asche.