Erzählungen
Mit Zeichnungen von Janos Nemeth
Die Erzählungen von Christine Pfammatter sind eine Welterfassung. Definitionen, Novellen, Dialoge, Miniaturen oder Manifeste erkunden die Gegenwart auf einmalige Weise. Autobiographisches und Episodenhaftes trifft auf Fiktionen, wobei Themen wie Geistesleben, Schreiben, Familie, Zukunft oder Ausnahmezustände in diesem Band Platz finden. Der Stil der Erzählungen bleibt dabei, trotz philosophischem Grundton, leicht und unterhaltsam.
Christine Pfammatter: geboren 1969 in Leuk-Stadt, Schweiz, studierte Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte in Bern, lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin. Sie schreibt regelmässig über zeitgenössische Kunst und verbringt viel Zeit mit Spazieren, Diskutieren und Schlafen.
Leseprobe:
– Ich möchte nicht unsterblich sein. Es ist mir zu anstrengend. Wieso soll ich nach vielen Jahren in flüssigem Nitrogen und Trockeneis wieder zum Leben erweckt werden? Ich schätze Ihr Bemühen, wirklich, aber ich mag nicht. Ich bin müde. Ich halte den Gedanken einfach nicht aus, dass alles wieder von vorne beginnt. Alle Schwierigkeiten. Alle Sorgen. Ich bin müde.
– Aber Sie müssen nicht mit Ihrer emotionalen Struktur wiedergeboren werden. Wir können das auch neu programmieren.
– Ach wirklich?
– Ja sicher. Sie würden einfach mit Ihrem Körper auferstehen. Und einem bereinigten Bewusstsein.
– Das verstehe ich nicht. Wie soll ich mich denn als mich selbst wiedererkennen, wenn nichts mehr da ist?
– Gar nicht. Sie kommen einfach als neuer Mensch aus dem Tank heraus. Ihr Körper wird derselbe sein, Ihr Bewusstsein muss sich jedoch neu formieren.
– Alles klar. Aber das würde heissen, dass ich wie ein Kind alles neu lernen müsste?
– Genau.
– Dann wäre ich ja total ausgeliefert. Und wem? Wer würde sich um mich kümmern?
– Unsere Mitarbeiter.
– Das scheint mir reichlich riskant.
– Nun, ich kann Ihnen garantieren, dass Sie mit unseren neuen Methoden in kurzer Zeit einen hohen Bewusstseinsstand erreichen.
– Gut. Aber das ist bestimmt teuer.
– Wir haben da verschiedene Modelle. Sie können zwischen drei Stufen wählen. Die günstigeren Varianten beinhalten einen weniger hohen Grad an Intelligenz. Die teuerste Variante sichert Ihnen ein Leben im ersten Kreis.
– Im ersten Kreis?
– Ja, im ersten Kreis.
– Heisst das, dass die Klassengesellschaft weiter existiert?
– Wenn man so will. Aber sie existiert nur, weil nicht alle mitmachen.
– Ich weiss nicht. Sie preisen in Ihrem Katalog die Unsterblichkeit für alle an. Aber was macht das für einen Sinn, wenn nachher alles wieder beim Alten ist?
– Das ist Ihre Meinung. Unsere Erfahrungen zeigen, dass wir eine bessere und friedlichere Gesellschaft schaffen.
– Und die Leute der untersten Stufe, ich nehme an, es sind die, welche arbeiten müssen, begehren nicht auf?
– Nein. Denn sie wurden ja so programmiert.
– Verstehe.
– Nun, Sie können es sich ja noch einmal überlegen. Wir sind jederzeit für Sie da. Und in unserer Broschüre hier finden Sie die genauen Konditionen. Noch ist die Unsterblichkeit, wie Sie wissen, freiwillig.
– Danke. Darf ich Sie noch etwas fragen?
– Aber sicher.
– Sind Sie auch ein Replikant?
– Oh, die Frage berührt mich. Doch will ich es Ihnen verraten: Ja, ich bin ein Replikant. Und ich bin sehr glücklich.