Neue Prosa
Mit neun Collagen der Künstlerin
Auch in diesem Band von Christine Pfammatter wird die kurze Form gepflegt: Miniaturen, Briefe, Skizzen, Deskriptionen oder philosophische Betrachtungen wechseln ab mit längeren Erzählungen, die unter anderem das Leben in Allgegenwart von Algorithmen, die Fragen nach Gott oder unsere politische Verantwortung befragen. Wohin führt unsere sziento-technologische Kultur? Und wie sprechen wir miteinander? Was heisst Duende? Wie erleben die Frauen die Gegenwart? Und wo fängt Faschismus an? Die Erzählungen sind sprachlich präzise, experimentell, sie sind fragmenthaft und höchst persönlich, in einem Wort: Literatur.
Christine Pfammatter: geboren 1969 in Leuk-Stadt, Schweiz, studierte Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte in Bern, lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin. Im Leipziger Literaturverlag sind bislang drei Prosabände erschienen (Zuviel Sonne, 2008; Andere Namen, 2012; Schnee im März, 2014) und ein Band mit Übersetzungen aus dem Englischen (James Laughlin, Dylan schrieb Gedichte, 2011). Christine Pfammatter schreibt zudem regelmässig über zeitgenössische Kunst. Letzte Publikationen: „Einen schweren Schuh hatte ich gewählt“, Lesen und Wandern rund um Leukerbad, Dörlemann Verlag, Zürich 2013; Collection Oreilles, Edition galleria graziosa giger, Leuk 2013; Viceversa 8, Jahrbuch der Schweizer Literaturen "Berlin – mein Ding", Rotpunktverlag, Zürich 2014.
Leseproben:
Die Nachtseite der Schrift
Ich möchte ein Buch schreiben über nichts, soll jemand, ich glaube ein Schriftsteller, einmal gesagt haben. Damit drückt er die Liebe zum Schreiben aus. Und zum weißen Papier. Das ist paradox, denn wenn du schreibst, bleibt das Papier kaum weiß. Dennoch sehnt sich der Schriftsteller nach der Schrift um ihrer selbst willen. Er will nichts sagen. Nichts erklären. Nichts erzählen. Er will nur schreiben. Und sich befreien vom Zwang der Mitteilung. Die Schriftstellerin ist da nicht anders. Sie hasst nichts mehr als Inhalte. Und die Frage, wovon ihr Buch denn handle.
- Worum geht es in deinem Buch?
- Es handelt von nichts.
- Aber willst du denn nichts sagen?
- Ich will nichts sagen.
- Hast du dich auch schon gefragt, ob das..... möglich sei?
- Gelegentlich. Manchmal kommen wir nicht umhin, etwas zu sagen. Aber dieses Etwas sind keine Informationen. Es sind eher Bewegungen der Seele. Oder mit anderen Worten: wir kommen nicht umhin, mehr zu sagen.
- Damit machst du das Fass der Hermeneutik auf. Aber Licht ins Dunkle bringst du damit nicht.
- Möglicherweise. Aber warum willst du immer alles Schwarz auf Weiß haben?
Krakau Kabbala
Die Baumkronen sind enorm weit oben, man sieht sie kaum. So fallen die Blätter lange. Sie schaukeln und schaukeln, sie segeln und segeln. Lautlos, ganz lautlos zu Boden. Was tun mit dem Nachmittag? Uns bleibt viel Zeit, was nicht heisst, dass wir weiser werden. Oder verständiger. Höchstens etwas stiller.
Du fragst mich, warum es Winter wird. Weil dort oben alles wie Bernstein leuchtet? Ich weiss auch nicht, was wir hier suchen. Ich verstehe nichts von der Farbe Gelb und ihren magischen Verwandlungen. Ich sehe nur Blätter, ihre Ankunft am Boden. Erde. Und haufenweise Laub, als wäre ein Fest vorbei.
Heute sind die Stämme schwarz, und vom Regen nass. Das Zeug klebt am Boden. Und riecht nach Moder, nach Verwesung. Brauchen wir mehr Liebe wenn der November kommt? Vor allem brauchst du einen wärmeren Pullover. Und lass mich bitte in Ruhe mit deiner Panik. Du zwingst mich zu einer Strenge, die mir zuwider ist. Ich weiss, du verlangst nur von dir das Unmögliche. Aber Ungenügen färbt ab.
Hast du gesehen, hier sammelt man noch Kastanien. Andernorts bleiben sie liegen. In Polen sind es Perlen, die dir vor die Füsse rollen. Du musst sie nicht einmal suchen, nur finden wie die Pilze in den weitläufigen Wäldern.
Der Park ist ein Ring, dem du nicht entkommst. Aber das tun wir ja sonst auch, im Kreis gehen. Dein Leuchtturm predigte zwar immer die Linearität des Ganzen, aber hier scheint der direkte Weg auch nur eine Idee. Jedenfalls sind alle Linien gekrümmt im All. Und noch viel mehr in Polen. Ob du an Wiedergeburt glaubst, ist da einlerlei, krümmst du doch meinen Raum gewaltig. Nenn es Sieg, oder einfach Gesetz der Anziehung. Unsere Eintracht bleibt nackt, so lange niemand unseren Weg teilt.
Hier treffen dich nur fremde Augen. Sie schauen an dir herab, sie beäugen dich und kichern, wenn du deinen samtrotenen Hut spazieren trägst, sie tuscheln noch mehr, wenn du ihn zusammen mit deiner eisblauen Hose glänzen lässt. Meiner Ansicht nach schmeichelt dein Borsalino dieser Stadtkulisse mit ihren italienischen Baumeister, auf die man ach so stolz ist. Aber vielleicht liegt dir das galizische Fundament ja näher. Extravaganz, sagst du, war noch nie eine herausragende Eigenschaft des realen Sozialismus. Die Palazzi sind nur Fassade, und das Königreich ist lange her.
Biographie
Ich bin eine Primzahl. Teilbar bin ich nur durch mich selbst. Und nochmals durch mich selbst. Dass ich grösser bin als die Eins, versteht sich von selbst. Hörst du, die Eins steht in meiner Biographie im Plural. Ich habe viele Gesichter. Aber nur wenn ich mich in einem anderen wiedererkenne, horche ich auf.