Dieser Band stellt ausgewählte Aufsätze zur lateinamerikanischen und spanischen Kultur- und Sprachgeschichte vor. Thematische Schwerpunkte sind neben einem Überblick über die Sprachpolitik in Peru ein Beitrag zu neuen Forschungsansätzen in der Toponomastik Spaniens und Portugals in der Zeit der germanischen Siedlungen des Toledanischen Reiches. Reflexionen zum Modernismo und seinem Einfluß auf die Literatur Spaniens spiegeln die hispanozentrische Sicht der ehemaligen Madre Patria auf die Länder in Übersee wider.
Das Buch beinhaltet außerdem eine anregende Studie zu den Amerika-Bildern von Gottfried Herder und der Epoche der Aufklärung, in der die Stereotypenforschung innerhalb der europäischen Geistesgeschichte diskutiert wird.
Ellen Müller-Pons: Studium der Romanistik mit dem Schwerpunkt in Lateinamerikastudien, Cultural Studies, Linguistik und Translatorik, mehrere Studienaufenthalte in Süd- und Mittelamerika; Übersetzerin.
Von Macchu Piccu nach Iberien: Spanien, Lateinamerika und die Ignoranz der europäischen Welt-Sicht
Ralf Julke, L-IZ
⇒ www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2013/12/Von-Macchu-Piccu-nach-Iberien-Spanien-Lateinamerika-52979.html
Leseprobe:
Handschriften auf Rindenbastpapier und der Codex Dresdensis
Zeitliche und geographische Einordnung der Maya-Kultur
Die vorkolumbische Hochkultur der Maya hatte sich in Mittelamerika in der Zeit um 2000 v.Chr. entwickelt und erlosch nach ihrer Eroberung durch die Spanier um 1550. Die Blütezeit bzw. klassische Zeit, zwischen ca. 300 n.Chr. und 900 n.Chr., brachte herausragende kulturelle Leistungen hervor. In Inschriften und Codices wurde ein höchst komplexes und künstlerisch anspruchsvolles Schriftsystem, anhand von genauen astronomischen und mathematischen Kenntnissen ein äußerst präziser Kalender entwickelt und neben einer beeindruckenden Architektur – Pyramiden, Tempel, rituelle Ballspielplätze – besaßen die Maya ein reiches Kunsthandwerk. In dieser Zeit entstanden die großen Zeremonialzentren wie Tikal (Guatemala), Palenque (Mexiko) und Copán (Honduras). In jeder größeren Stadt fand man Archive, deren Codices über Mythen, Rituale, astronomische, astrologische und kalendarische Berechnungen, Geographie, Heilkunde und die günstigen Zeiten für die Aussaat des „heiligen“ Maises berichteten.
Die Maya lebten in einer Art Bündnis von Stadtstaaten mit jeweils unterschiedlichen Herrschern. Ein gottgleicher König, der zugleich Priester war, suchte durch Rituale seine Macht zu legitimieren. Ursprünglich nahm man an, daß die Staaten friedlich nebeneinander existierten und sich gegenseitig künstlerisch sowie ideell beeinflußten. Neuere Theorien konnten diese These widerlegen und sehen in der Zersplitterung des Gebiets in eine Vielzahl konkurrierender Kleinstaaten einen Grund für den plötzlichen Untergangs der Hochkultur.[1] Nachdem um 900 viele Maya-Stämme aus unbekannten Gründen ihre Zentren verließen und auf die Yucatán-Halbinsel auswanderten, wurden ihre Zeugnisse, die beschrifteten Steindokumente des klassischen Zeitalters, mit der Zeit vom tropischen Dschungel überwuchert, die übrigen, in Holz geschnitzten Inschriften und die auf Stoffen und Feigenbastbüchern, verwitterten oder wurden vom Ungeziefer zerfressen.
Die Zeit der Eroberung und Kolonialisierung durch die Spanier brachte eine fast vollständige Zerstörung der Maya-Kultur mit sich. Viele Werke wurden durch den religiösen Fanatismus der Spanier durch systematische Bücherverbrennungen vernichtet. Nach der Konquista haben die Indianer einen Teil ihrer Literatur in lateinischer Schrift aufgezeichnet. Die wichtigsten sind die Geschichtschroniken Chilam Balam und der Popol-Vuh, in denen religiöse und mythologische Schriften der Maya überliefert wurden.[2]
Traditionell wird das Volk und die Kultur der Maya in zwei Gruppen unterteilt: Die erste Kultur im Tiefland von Petén und Yucatán zeichnet sich durch die Entwicklung der Schrift und eine monumentale Architektur aus. Die zweite Kultur ist im Hochland von Chiapas und Guatemala angesiedelt.[3] Die heutige Verbreitung der indigenen Maya-Bevölkerung reicht von Mexico über Guatemala und Belize bis nach Honduras.
Die territoriale Zersplitterung in die ehemaligen Stadtstaaten spiegelt sich in der Existenz zahlreicher Dialekte wider.[4]
Die heute bedeutendsten noch gesprochenen Maya-Sprachen sind in Guatemala das K`iche`, das Kaqchikel, das Q`eqchi` und das Mam, in Mexico das Yucatec, das Tzoltzil, das Tzeltal und das Ch`ol. Der Name der Sprechergruppen entspricht dem ihrer Sprache. Die größte Gruppe, die nochmal dialektal gegliedert ist in das Kaqchikel, K`iche`-Achí u.a., sind die K`iche`, mit ca. 2 Mio. Sprechern. Das Yucatec hat ca. 900.000 Specher, das Kaqchikel, Mam, Q`eqchi`, Ch`ol, Tzeltal und Tzotzil hat zwischen ca. 150.000 und 500.000 Sprecher. Die Angaben zu den Sprecherzahlen variieren. Insgesamt leben heute in Chiapas, Tabasco, Yucatán, Guatemala, Belize und Honduras ca. 2 Mio. Maya-Sprecher.[5]
Seit 1989 gibt es eine einheitliche Orthographie für die alphabetisierte Schreibung aller Maya-Sprachen. Sie wurde von den Maya selbst entwickelt, um die Kommunikation und damit den politischen und kulturellen Zusammenhalt der verschiedenen Gruppen zu fördern. Zuerst wurde diese Rechtschreibung nur von den Maya in Guatemala verwendet, doch mittlerweile hat sie sich auch in Mexiko als offizielle Orthographie durchgesetzt und wird von indianischen Institutionen akzeptiert.[6] Die Aussprache lehnt sich, soweit phonetische Ähnlichkeit besteht, an die spanische Rechtschreibung an, aber die indigenen Sprachen weisen natürlich einige lautliche Besonderheiten auf, die die Adaption erschweren.
Entzifferungsgeschichte und die Rolle der Missionare
Um die Missionierung durchführen zu können, erlernten die Geistlichen die Sprachen der indigenen Bevölkerung, um die Einheimischen in ihrem Glauben unterweisen zu können oder Predigten zu halten. Es wurden Katechismen verfaßt und der Schulunterricht, an dem auch die Kinder der indigenen Bevölkerung teilnahmen, erfolgte in Spanisch und Latein, daneben aber auch in einheimischen Sprachen. In der Zeit von 1524 bis 1574 entstanden in Neu-Spanien über 100 Werke, die als Hilfsmittel für die Unterweisung in Nahuatl und später auch den Maya-Sprachen dienten. Durch die Aufzeichnung in lateinischer Schrift wurden wichtige Geschichtschroniken und andere Werke der Maya-Kultur überliefert.[7]
Mit der Herausgabe von Grammatiken und Wörterbüchern der indigenen Sprachen, v.a. der Lenguas Generales, trugen Angehörige des Klerus sowohl zur Erhaltung als auch Verbreitung dieser Sprachen bei. Die Unterweisung der Ureinwohner in den einheimischen Sprachen wurde durch das Konzil von Trient 1545-1563 beschlossen.[8]
In Mexico und Guatemala zerstörten die Spanier die Zeugnisse der indianischen Geisteskultur, in der Überzeugung, daß die Bücher und die Schrift der Maya die Eroberung und die christliche Mission behinderten. Dabei trat der Franziskaner Diego de Landa als besonders fanatischer Inquisitor in Erscheinung. So schreibt er in seiner Abhandlung (1566) über die Maya:
Wir fanden bei ihnen eine große Zahl von Büchern mit diesen Buchstaben, und weil sie nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschungen des Teufels frei wäre, verbrannten wir sie alle, was die Indios zutiefst bedauerten und beklagten.[9]
Die schriftkundigen Angehörigen des Maya-Adels wurden in Klöstern umerzogen. Die Verwendung der Schrift wurde bei Androhung harter Strafen verboten.
Der Gebrauch und die Kenntnis der Hieroglyphen erloschen innerhalb weniger Jahre. In abgelegenen Urwaldregionen im Süden und im Zentrum der Halbinsel hielt sich die Schrift noch bis 1697.
Massentaufen hielten die Maya nicht davon ab, ihre Götter weiterhin zu verehren, sie paßten ihre Gottheiten an die neue Religion an und so wurde z.B. Ix Chel, Göttin der Fruchtbarkeit und der Webkunst, als Jungfrau Maria verehrt. Die Missionare reagierten darauf mit Folterungen, Bücherverbrennungen und Zerstörungen. Viele Handschriften verschwanden so für immer. Der Hauptverantwortliche, Diego de Landa, mußte sich daraufhin sogar in Spanien wegen Überschreitung seiner Befugnisse verantworten. Nachdem er Buße getan hatte, kehrte er nach Mexico zurück – als Bischof von Yucatán. Zu seiner Rechtfertigung verfaßte er eine Abhandlung, die Relación de las cosas de Yucatán (1566). Darin beschreibt er das Land, seine Sitten, seine politisch-gesellschaftliche Struktur sowie die religiöse Welt der Maya.
In seiner Abhandlung über Yucatán versuchte Diego de Landa auch die Schrift der Maya zu beschreiben und aufzuzeichnen. Da er die Struktur der Maya-Sprache und -Schrift nicht kannte, übertrug er das Prinzip des spanischen Alphabets auf die ihm vorliegenden Zeichen.[10]
Die [...] fehlenden Buchstaben sind in dieser Sprache nicht vorhanden, und sie hat weitere, die unseren hinzugefügt werden, um andere Dinge auszudrücken, die für sie notwendig sind; jetzt gebrauchen sie ihre Schriftzeichen für nichts mehr, besonders gilt das für die jungen Leute, die unsere Buchstaben erlernt haben.[11]
Das Manuskript von De Landa ging verloren und wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wiedergefunden. Seine Wiederentdeckung war entscheidend für die Entzifferung der Hieroglyphen, da es erste Anhaltspunkte lieferte, um den phonetischen Charakter der Maya-Schrift zu erkennen.
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelangte der heutige Dresdner Codex auf geheimnisvollem Weg nach Wien und von dort nach Dresden, wo er das Interesse von Alexander von Humboldt weckte, der einen Teil in seinem Reisebericht „Kordillerenreise“ abdruckte. 30 Jahre danach veröffentlichten die beiden Forschungsreisenden John Lloyd Stephens (1805-1852) und Frederick Catherwood (1799-1854) detailgetreue Zeichnungen von Hieroglypheninschriften auf Stelen, Türsturzen, Altären, Hauswänden und Treppenstufen. Sie waren auch die Ersten, die für die Erbauer der alten Stätten das Wort „Maya“ verwendeten und in der indianischen Bevölkerung die Nachfahren der alten Bewohner sahen. Die wenigen von Stephens und Catherwood minutiös aufgezeichneten Beispiele für Hieroglyphentexte boten noch keinen Ansatzpunkt für eine systematische Entzifferung, jedoch erkannte man, daß es sich bei den Steininschriften an den Ruinenorten um die gleiche Schrift handelt wie in den erhaltenen Rindenbastbüchern. [12]
Als Erstem gelang es dem königlich-sächsischen Hofbibliothekar in Dresden Ernst Förstemann (1822-1906) die Entschlüsselung des Zahlensystems und des Kalenders der Maya. Er erkannte, daß das Zahlensystem ein Vigesimalsystem war und die Maya mit der Null rechneten.[13]
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden dann neue Forschungsreisen und Expeditionen in die Urwälder Mittelamerikas unternommen und neue Mayazentren entdeckt.
Die aus Tomsk in Sibirien stammende amerikanische Architektin und Zeichnerin Tatiana Proskouriakoff (1909-1985) identifizierte als Erste zahlreiche Verben, die sich auf Ereignisse im Leben von Herrschern, wie Geburt, Tod, Inthronisation und Gefangennahme, bezogen.
Der deutsch-mexikanische Archäologe und Kunsthistoriker Heinrich Berlin (1915-1987) führte in dieser Zeit den Nachweis, daß es in den Texten des Tieflandes ortsspezifische Hieroglyphen gibt, die er „Emblemglyphen“ nannte. Diese sollten auf Städte oder Fürstenhäuser verweisen. Seitdem sind viele neue Emblemhieroglyphen entdeckt worden, die belegen, daß das Tiefland in der klassischen Zeit in eine Vielzahl kleiner Staaten zersplittert war.[14]
Erst dem russischen Anthropologen, Schriftforscher und Linguisten Yurii Knozorov (1922-1999) gelang der eigentliche Durchbruch in der Entzifferung der Maya-Schrift: Er konnte als Erster Beweise dafür erbringen, daß die Maya-Hieroglyphen Silbenzeichen besitzen und daß die Schrift nicht nur Ideen und Begriffe, sondern eine komplexe Sprache wiedergibt. Er erkannte, daß die Maya-Schrift mit ihren ca. 800 Schriftzeichen keine Alphabetschrift, aber auch keine reine Begriffs- oder Wortschrift, sein konnte[15] und daß in den Handschriften die meisten Texte illustriert waren. So konnte er nachweisen, daß die Silbenzeichen immer nach dem gleichen Verfahren kombiniert wurden und ermittelte eine Vielzahl von Silben.[16]
[1] Vgl. Grube und Martin, Die dynastische Geschichte der Maya, 149f.
[2] Vgl. u.a. Noll, 63. Im 20. Jahrhundert hat der guatemaltekische Nobelpreisträger Miguel Ángel Asturias die Mythen der Maya in einer eigenen poetischen, dem Magischen Realismus entlehnten Sprache, in Lyrik und Prosa umgesetzt, u.a „Leyendas de Guatemala“ oder „Tres de cuatro soles“.
[3] Vgl. Hansen, Die ersten Städte, 50ff. und Fahsen, Von Häuptlingstümern zu Staaten, 86ff.
[4] Vgl. Noll, 62
[5] Vgl. Noll, 63
[6] ebd.
[7] Vgl. Noll, 67
[8] Vgl. Gugenberger, 151
[9] Vgl. Grube, Hieroglyphenschrift, 115 und 123.
[10] De Landa hatte wenig Kenntnisse über andere Schriftsysteme der Welt und kannte vermutlich nur das Prinzip der Alphabetschrift, wie des Lateinischen und Griechischen.
[11] Vgl. Grube, Hieroglyphenschrift, 123
[12] Vgl. Grube, Hieroglyphenschrift, 116
[13] ebd.
[14] Vgl. Grube, Hieroglyphenschrift, 118 f.
[15] Die Zahl der Schriftzeichen ähnelt anderer antiker Schriftsysteme (die sumerische Keilschrift kennt ca. 700, die hethitische hat ca. 500 Zeichen). Das Prinzip dieser Schriften besteht in einer Kombination von Silben- und Wortzeichen.
[16] Vgl. Grube, Hieroglyphenschrift, 121 f. Die Hieroglyphen-Schrift ist eine logosyllabische Schrift, das heißt es konnten Bild- und Silbenzeichen beliebig miteinander kombiniert werden. Die zusammengesetzten Glyphen können aus einem Hauptzeichen und Affixen bestehen, die in der Regel von links nach rechts und von oben nach unten gelesen werden. Die Silbenzeichen haben stets die gleiche Struktur. Sie bestehen aus jeweils einem Konsonanten und einem Vokal. Für jede mögliche Kombination von Konsonant und Vokal gibt es mindestens 1 Zeichen. Die Mayahieroglyphen haben von den ersten nachweisbaren Anfängen bis zum Untergang des letzten Mayastaates in Nordguatemala 1697 einen gleichartigen Charakter bewahrt.
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