Gedichte
Zweisprachig
Aus dem Portugiesischen von Ilse Pollack
Wenn „jegliche Utopie in den Händen stirbt“, so bleibt in den Worten der Poesie festgehalten, was überdauert. Sarkastisch setzt sich Mendes mit der Unerbittlichkeit des heutigen Kapitalismus auseinander. Ironie blitzt auf, wenn er sich gegen die eigene Berufsgruppe richtet und beispielsweise „die Regeln des Protokolls“ karikiert.
Castro Mendes hat den Ruf, ein „poeta doctus“, ein „gelehrter Poet“ zu sein, der die für ihn wichtigsten Werke der Weltliteratur gelesen hat und Zwiesprache mit ihnen und ihren Verfassernhält. Unter den deutschsprachigen sind das vor allem Rilke und Hölderlin, auf die er sich auch in dieser Anthologie expressis verbis bezieht. Was die portugiesische Tradition betrifft, so ist seine Verbundenheit mit der Lyrik von Camões unüberhörbar, etwa in dem ebenfalls in diese Anthologie aufgenommenen Gedicht: Camões auf der ilha de Moçambique: Eine Variation. Unter den Dichtern des ausklingenden neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts seien der 1926 in Macau verstorbene Camilo Pessanha, sowie, naturalmente, Fernando Pessoa genannt.
Ein poeta doctus zu sein, bedeutet bei Mendes nie, einem rein intellektuellen Spiel zu verfallen. Wenn, wie es in einem seiner Gedichte heißt, die Poesie „dieser enge Weg/zwischen der Einsamkeit und dem Leben“ ist, so ist die ihn umgebende Wirklichkeit auf eindrückliche Weise präsent. Das konkrete Erlebnis wird zum Ausgangspunkt für eine Reflexion über den Zustand der Welt. Immer wieder kehrt er zu den Orten und Leidenschaften seiner Vergangenheit zurück, lässt das, was einmal war und nicht mehr sein kann, Revue passieren und weiß um die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens.
Luis Filipe Castro Mendes: geb. 1950 in Idanha-a-Nova, Mittelportugal, Jurastudium in Lissabon, Diplomat in Luanda, Madrid, Paris, Brüssel, Rio de Janeiro, Budapest und Neu-Dehli, 2016-2018 Kulturminister der Republik Portugal, 2018 erschienen seine „Poemasreunidas“ auf 800 Seiten.
Seine erste Stelle war 1975 Luanda, Hauptstadt von Angola, das im November des gleichen Jahres die Unabhängigkeit von Portugal erlangte. Eine dramatische Zeit: Am 25. April 1974 hatte in Lissabon die Nelkenrevolution stattgefunden, die der ältesten Diktatur in Europa ein Ende setzte; doch in Angola entbrannte bald darauf zwischen den ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung ein neuer Krieg, der noch bis ins 21.Jahrhundert währen sollte. Nicht nur diese erste, sondern auch alle weiteren Stationen seiner außergewöhnlichen diplomatischen, alle Kontinente umspannenden Karriere, sollten in das Werk von Castro Mendes Eingang finden; in seinen Gedichten reflektiert er auf sehr persönliche Weise die Erfahrungen an diesen Orten; und ebenso den Zwiespalt, nirgends wirklich zu Hause zu sein, auch wenn der „andere Odysseus“ inzwischen „heimgekehrt“ ist ist. Outro Ulisses regressa a Casa lautet der Titel seines Lyrikbandes, der 2016 erschienen ist. (Im gleichen Jahr wurde Castro Mendes auch zum Kulturminister in der Regierung von António da Costa ernannt.) Luis Filipe Castro Mendes hat in den 60er Jahren begonnen Gedichte zu schreiben und zu veröffentlichen; er selbst sieht seine persönliche Identität als Lyriker Mitte der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erreicht. 2018 erschienen in Lissabon seine „Poemasreunidas“, in dem alle bisherigen veröffentlichten Werke (bis 2016) auf 800 Seiten vorliegen.
Ilse Pollak: geb. in Leibnitz, Steiermark. Studium der Romanistik in Wien und Paris, Promotion, von 1976 bis 1984 Universitätslektorin in Portugal, arbeitet nach ihrer Rückkehr aus Portugal als Übersetzerin und Publizistin, Lusitanistin aus Leidenschaft. Zuletzt bei Wieser: Slataper: Mein Karst (Europa Erlesen Literaturschauplatz).
Leseprobe:
INDIEN SPRICHT
I spentfouryears in India
So, whydidyouleave?
(Dialog mit einem indischen Kollegen)
Du bist weggegangen
bevor ich begonnen habe, mit dir zu reden.
Wie ein kleiner ungezogener Junge
Der aus dem Haus einer alten Senhora geht,
bevor sie noch ein Wort an ihn gerichtet hat,
du hast nichts verstanden. Doch das ist nicht von Belang,
denn niemand versteht mich,
außer meinen Völkern,
meinen Gesichtern, den tausend Köpfen die auftauchen
aus dem verstummten Fluss.
Was mich beleidigt ist, dass du,
du, oh Armer,
gegangen bist,
bevor ich
beschlossen habe,
das Wort an dich zu richten.
DE SENECTUDE
Ich nützte von mir was nicht das Beste war
und das Beste was es in mir gab, habe ich nie verstanden.
Heute gewahre ich Schatten
und mein Gedächtnis irrt umher zwischen undeutlichen Bildern
und spröden Worten.
Wer wird mir sagen was ich war?
DIE TOTEN
Nein, wir sprechen nie von den Toten:
Denn wir erinnern sie mit verstohlener Verlegenheit
oder weil wir stets denken
dass wir vielleicht etwas getan haben könnten
um das Schicksal zu ändern.
Und dann schweigen wir.
Wir ziehen es vor zu schweigen.
GESPRÄCH IM TIERGARTEN
Es stimmt, wir sind aus dem Süden.
Sie hatten recht, uns zu bemerken.
Wir sind jene, die aus Maurern und Putzfrauen,
welche ihre Aufgaben bescheiden und einfach erfüllten,
zu fröhlichen und unverantwortlichen Schuldnern wurden,
die auf Kosten der Opfer der Arbeiter von Rheinland-Pfalz leben,
genau die sind wir, gnädige Frau.
Ja, ich habe gelesen wir Ihre Eltern lebten
in jenem Jahr als sie den Krieg verloren:
In feuchten Kellern von zerstörten Gebäuden
von einzelnen Almosen der Besatzungssoldaten.
Doch haben Sie bemerkt
wie sie danach von den Siegern behandelt wurden?
Ja, Sie haben mir auch gesagt
dass Sie seit Ihrer Jugend nicht verstehen
dass Sie für die Schuld Ihrer Eltern zahlen müssen
und für die Kriminellen die Ihr Volk regierten
noch bevor Sie geboren wurden.
Doch wenn in Ihrer Sprache Schulden und Schuld
nur ein Wort ist,
werden wir jetzt die sein die
bis zu den Enkeln unserer Enkel zahlen,
da Eure Schuld schon beglichen ist?
Ist es das, gnädige Frau?
„SCHUHE“ VON VAN GOGH
Nur das.
In den Ruinen die man immer aus einem Leben macht,
reden die verschlissenen Schuhe zu uns von den Bergen die wir erklommen
höher als das Herz und der verlorenen Glanz
von Landschaften aus Gold und des dünnen Eises
das beinahe brach unter unseren Schritten.
Es ist der Rest und der Stolz eines Lebens.
Nur das.
DANS LE PORT D’AMSTERDAM
Es wird Nacht im Hafen von Amsterdam:
Ich weiß nie genau wo ich glücklich war,
doch weiß ich, wo ich mich frei fühle:
In den Städten, wo ich keine Geschichte habe,
wo ich nichts von mir hinterließ,
wo eine Straße nur eine Straße ist und nicht eine ehemalige Begegnung,
wo ich an keinem Ort auftauchen sehe ein verflossenes Gesicht
am Tisch des Restaurants an dem wir uns versammelten
an der Ecke, an der wir uns gleichzeitig lächeln sahen,
ganz hinten im kleinen Zimmer der Wohnung des Freundes,
immer dann, wenn das Gedächtnis das Herz überfällt.
Frei sind wir dort, wo wir keine Geschichte haben
und das aufmerksame Herz sich an nichts erinnert:
Doch du, neben mir, lächelst und sagst mir
wo wir Blumen gekauft, am Kanal.
LISBOA REVISITADA
1.
Es ist nicht wirklich eine Rückkehr: eher verstehe ich mich in den engsten Straßen von
Lissabon und vergesse mich zwischen seinen Mauern.
2.
Die erduldete Würde derer, die Mangel leiden und die außer Rand und Band geratene Hysterie der Mächtigen.
3.
Wie ein Haus, das seine Türen öffnet, so ließ die Wärme der Straßen das Gesicht von Lissabon sehen.
4.
Wo uns niemand erwartet, fängt das Versprechen Feuer.
REGELN DES PROTOKOLLS
Die keinen Platz am Tisch haben
sollen sich leise nach hinten begeben
und verschwinden lautlos und unbemerkt.
Die Plätze wurden reduziert um
eine wachsende Zahl von Eingeladenen zu
hindern am Bankett teilzunehmen, ohne jegliche Vorankündigung
oder improvisierte Entschuldigung. Unverzüglich.
Notwendig ist, die Regeln zu kennen,
sie zu ignorieren
souverän.