Originaltitel „A Intrusa“ (Garamond, 2016)
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Timur Stein
Das Buch der brasilianischen Dichterin sowie Literatur- und Übersetzungswissenschaftlerin Izabela Leal, das mit dem renommierten Literaturpreis Prêmio Rio de Literatura ausgezeichnet wurde, sucht einen Mittelweg zwischen Poesie und Prosa. Ohne das eine noch das andere zu sein, ist dieses Buch zugleich Kriminalroman und griechische Tragödie, die vergebliche Suche nach Identität, ein sprachlicher Balanceakt: Es projiziert das Innenleben einer zwischen zwei Großstädten hin- und hergerissenen Frau, verbirgt, indem es sichtbar macht, und überrascht auf jeder neuen Seite mit einem intimen Verständnis des Schreibens und Frau-Werdens. Geschildert wird die Begegnung mit "der Anderen", der nicht identifizierbaren „intrusa“ (weibliche Form von „Eindringling“).
Izabela Leal: geb. 1969 in Rio de Janeiro, Bachelor in Psychologie, Master-Abschluss in portugiesischer Literatur an der Katholischen Universität von Rio de Janeiro, Promotion in portugiesischer Literatur der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, Stipendium der Calouste Gulbenkian Foundation, 2008 Veröffentlichung der Dissertation Camilo Pessanha in zwei Ausgaben, unterrichtet portugiesische Literatur und Literaturtheorie, Stipendium des Bundesstaates Rio de Janeiro zu Übersetzungen von Herberto Helder, derzeit ist sie Professorin für portugiesische Literatur an der Federal University of Pará.
Timur Stein: geb. 1990 in Rybnica (Moldawien), Studium der Romanischen Philologie in Erlangen, Marburg und Bogota sowie der Translationswissenschaften in Germersheim.
Pressestimmen:
"Izabela Leal bewegt sich zwischen Prosa und Poesie, in der Atmosphäre eines Polizeiromans mit theatralem Ton." (Diário do Para)
"Izabela Leals Buch ist szenische Bewegung, frenetische Stimme, Theater, Magie, Akrobatik, Wörter und Sätze als Teile des Körpers ... Ich könnte nicht mehr sagen, wie oft ich dieses Buch gelesen habe. Es hat keinen Zweck, einen Schlussstrich zu ziehen, denn mit jeder Lektüre eröffnet sich ein neues Buch!" (Revista Caliban)
"Izabela Leal ist eine leidenschaftliche Stimme der lokalen Literaturszene." (A Escotilha)
Leseprobe:
20. Februar
Szene 1: Am Anfang.
das ist kein tagebuch. ich habe nicht vor meine memoiren niederzuschreiben oder von der zeit zu berichten als wir zusammenlebten. es ist kein geständnis. vielmehr ist es eine performance krümmung des körpers zurschaustellung der stimme. ich greife nach einem heft zerreiße seiten. verdächtige alles vor allen dingen sie. vernehme lärm sehe gestalten höre schritte. man erzählt sich frauen meiner familie seien dem wahnsinn verfallen sie streifen die haut ab wie schlangen. ich möchte keine schlüsse ziehen keinen bericht erstatten kein verfahren eröffnen. mache notizen streiche durch werfe fort. zerschneide ohne scham. habe von ihr gelernt. kritzele. will mir keine blöße geben keinen verdacht auf mich ziehen. mir sind verschiedene sorten mensch begegnet sie war nicht katalogisierbar. eine fremde stimme ohne melodie. mal sprach sie langsam mal hastig verschluckte silben würgte sätze heraus. mir sind verschiedene sorten mensch begegnet. ich lernte einmal jemanden kennen der sprach in der ersten person plural. er behauptete viele freunde zu haben und mit ihnen durch fantasiefelder zu ziehen. sie war sichtlich interessiert. wir unterhielten uns im haus einer freundin. er war ein komischer vogel. ließ sich von einem guru in die kunst des verschwindens einweisen. schließlich tötete er den eigenen meister und schrieb darüber mehrere briefe einige notizen und eine aussage. ich kann nicht sagen ob er verschwand.
22. Februar
Szene 2: Zu Hause.
am nachmittag war sie plötzlich da. sie trat nicht verstohlen ein machte lärm schlug mit den türen. der boden knarzte unter ihren füßen. sie lächelte. sagte sie sei gekommen um zu bleiben. ich habe mich nie von ihrer unergründlichen gestalt losmachen können. fremd und vertraut. sie lächelte weiter drang mit ihrem lächeln in alle spalten der wohnung. füllte die hohlräume formte sie nach ihrem ebenbild. das haus. skulptur. ich begann belanglose details in den falten des vorhangs zu erkennen die durch einen wasserschaden leicht zersetzte wand risse an der decke. resopal löste sich stückweise von den küchenschränken der marmor vergilbte im badezimmer. ich hätte es vorgezogen nicht so scharf zu sehen. blind sein tut wohl. von ihrem lächeln ging eine art verführung aus. es war gar nicht so unangenehm sie bei mir zu haben. unerwünschte gastfreundschaft vielleicht.
26. Februar
Szene 3: Zwischen Erkenntnissen.
ich muss wieder über den platz spazieren. beim laufen spreche ich besser. in letzter zeit ist der mund andauernd trocken. der hals schmerzt. die nachbarin empfiehlt zu gurgeln. honig mit propolis und granatapfel. geschädigte stimmbänder. fieber dyslexie. die kartenlegerin riet mir auf die gesundheit zu achten. geister auszutreiben umschläge zu machen wunschrituale durchzuführen. ich werde eine dose wd-40 kaufen. nie wäre ich darauf gekommen was sich hinter dieser marke verbirgt: water displacement, 40th attempt. ein produkt das den namen des prozesses trägt. der chemiker hieß norm larsen. er wollte wasser verdrängen. das ergebnis erzielte er beim 40. versuch. gar nicht so übel für unsere zeiten. beharrlichkeit ist schon so eine sache. das produkt ist marktführer streng geheime rezeptur. ich weiß nicht ob es schon an menschen getestet wurde. es auf die gelenke aufzutragen könnte ein weg sein. ich überlege mir es als halsspray zu benutzen. ob es wohl nebenwirkungen gibt? arrhythmie übelkeit vergiftung? probieren kostet nichts. wer nicht wagt der nicht gewinnt. das leben mit ihr war schon immer eine gefährliche sache.