Gedichte, 140 S.
Der Gedichtband versammelt Texte aus den letzten 15 Jahren und zieht eine Summe aus der poetischen Auseinandersetzung mit der Natur, die ein wesentliches Thema und Movens des Schreibens von Udo Kawasser darstellt. Die in ihm zusammengefassten Texte können daher auch nicht leicht auf einen Nenner gebracht werden, da sie sich durch unterschiedliche Schreibweisen auszeichnen. Was sie vielleicht alle kennzeichnet und womit sich Kawasser von anderen Dichtern abhebt, ist eine Schreibposition der Immersion, des Eingetauchtseins, in der die Natur nicht als getrenntes Gegenüber, sondern als etwas Umgebendes und im Menschen selbst Wirkendes wahrgenommen wird. Das schließt aber nicht aus, dass die sprachliche Arbeit sehr reflektiert mit avanciertesten sprachlichen Mitteln erfolgt, was hier kurz an drei ausgewählten Zyklen gezeigt werden soll:
- Der titelgebende Zyklus das moll in den mollusken stellt einen innovativen Versuch dar, fünf höchst kondensierte Gedichte jeweils mit einer extended version zu konfrontieren, die der Autor Echofassung nennt. Dabei falten sich die Kurzfassungen zu umfänglicheren Textlandschaften auf, in denen die räumliche Anordnung zur Bedeutungsträgerin wird. Die beiden Gedichte treten auf diese Weise in eine kreative Spannung miteinander.
- Die paliano takes entstanden während mehrerer Aufenthalte des Autors in Paliano bei Rom. Sie bestehen aus Momentaufnahmen der Landschaft zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten. Auf diese Weise sind zehn Aufnahmen entstanden, die cinematographisch mit takes betitelt wurden und dem äußerst variablen Wechselspiel zwischen Mensch und Landschaft nachspüren.
- vom augenrand wiederum ist ein Zyklus, der von der Wahrnehmung im Allgemeinen und von der Wahrnehmung von Wasser im Besonderen handelt, wobei sich in den Gedichten immer ein involvierter, oft im Wasser eingetauchter Beobachter artikuliert, der sein Eingebettetsein in den Naturzusammenhang nicht leugnet sondern mitreflektiert. Der zehnteilige Zyklus entstand sowohl in Wien an der Donau als auch in Vorarlberg am Bodensee und an der Bregenzer Ache, womit eine wichtige geo/biographische Klammer im Leben des Autors benannt ist.
Udo Kawasser: geb. 1965, aufgewachsen in Lauterach beim Bodensee. Studium der deutschen, französischen und spanischen Philologie in Innsbruck und Wien. Zeitgenössischer Tänzer, Choreograph, Dichter und Übersetzer spanischsprachiger Literatur. Staatsstipendium für Literatur 2006/7. 2.Platz beim Prosapreis Brixen/Hall 2007. Vorarlberger Literaturpreis 2001. Lebt hauptsächlich in Wien.
Leseprobe:
das moll in den mollusken
I.
heute sind wir
auf dem wendekreis
zwischen die farne
geraten
was wenn wir
uns täuschen ließen
auf dem wasserspiegel
uns den raum unterschlagen
muss mich erst wieder erinnern
an das licht
beim sprechen
zwischen uns
I. (echofassung)
heute sind wir
warm wie havanna
dachte ich und stehen senkrecht
auf dem wendekreis
wir reichen uns die hüften
doch dann gleitet ein hecht
zwischen die farne
und ich ringe
mit der plötzlichen sicht
bis auf die gründe
vom ufer aus
an das ich
geraten
bin ohne dich
was wenn wir
uns daran gewöhnt hätten
uns zu verfehlen
uns täuschen ließen
von den flackernden filmstills
auf dem wasserspiegel
uns den raum unterschlagen
unter den konzentrischen kreisen
muss mich erst wieder erinnern
was zwischen den wellen liegt
an das licht
an die winkel
in denen es einfällt
beim sprechen
die grade
in denen ich zu dir stehe
zu mir
natürlich haben wir auf nachfrage
für alles gründe
wie verrückt
an manchen tagen die verfärbungen
am unteren rand unserer sätze
wir erkennen das rebenrot erst
wenn die worte ausgesprochen
zwischen uns
liegen
II.
an den ufern
klar werden
eintauchen
kopfüber
an den dunklen schimmer
rühren
mit den umarmungen
unter wasser
wir ziehen kreise
in den lotrechten eigensinn
und verschwimmen
zwischen den pappeln
II. (echofassung)
unsere verlegenheit
an den ufern
klar werden
die feuchten stellen mehr an uns
wenn wir ins wasser
eintauchen und uns bespritzen
würden nur zu gern
kopfüber
in den anderen oder sollten wir weiden
uns besser übereinander beugen
doch wer ist dann wem ein spiegel
und schwimmt in wessen bild
mustere deine apfelhälften
halte mich
an den dunklen schimmer
den ich von deiner haut habe
als könntest du mich damit
rühren
aber wir rechnen nicht
mit den umarmungen
unter wasser
aufgegrätscht reichen wir viel weiter
wie von bibern gefällte baumstämme
in der flut
die bissspuren klagst du
und stößt beim brustschwimmen
mit dem schienbein gegen die astgabel
wir ziehen kreise
flackern sobald die hand eintaucht
in den lotrechten eigensinn
und verschwimmen
ohne dich
wäre ich nie in dieses wasser gestiegen
sähe ich es nicht silbern
zwischen den pappeln flirren