Gedichte, zweisprachig. Aus dem Litauischen von Mala Vikaite & Viktor Kalinke
Das eigene Leben, vor und nach der Wende, verwebt sich mit historischem Geschehen zu einer privaten Weltgeschichte, die intime Einblicke in das Heute eines jungen Europäers gewährt.
"Am meisten zog mich eine Konstruktion an, die einer Panzerkette samt einer auf ihr rollenden Kugel ähnelte. Beim Herunterrollen wickelte die Kugel ein Band auf und wurde durch ihre eigene Trägheit wieder nach oben befördert, wo sie in ein Loch fiel, und das Ganze begann wieder von vorn..." (Aus dem Tagebuch)
Laurynas Katkus: studierte Lituanistik in Vilnius sowie Vergleichende Literaturwissenschaft in Leipzig und Berlin, arbeitete beim Radio, in Verlagen und als Übersetzer, seine Texte wurden bislang ins Englische, Deutsche, Slowenische, Polnische und Lettische übertragen, er selbst übersetzte Hölderlin, Benn, e. e. cummings, Yeats und Sontag ins Litauische, Katkus ist Mitglied im P.E.N.
"In kraftvollen Bildern beschreibt er sowjetische Kindheit und Jugend zwischen Indianergeheul und Panzerparade, Punkkonzert und Neubaugebiet." Gisela Reller
Leseprobe:
Šilutės plentas
Liepų gretos, lydinčios lekiantį
ir slid¸ios tiltų konstrukcijos
niekas šiame kraštovaizdyje
Jūros taurė, kurią norėjau išgerti
akmuo, prabudęs prieš nugrimzdamas
prūsų kelias į tiltų nasrus
į mano ¸ingsnius iš urvelių išlindo
ilgaūsiai vabalai – atpa¸ino, vadinas
Vilius ir Elzė, susiraizgiusios šaknys
neuronų kapinyne
kas dabar tiki vietos dvasia
Radau savo vardą kirchės prieangyje
tiltų lygintojas nutolęs sakytojas marių brolis
nekritaes uz teviski
Chaussee nach Šilutė
Linden, doppelt aufgereiht, den Eilenden begleitend,
und glitschig: die Konstruktionen der Brücken,
hier ist niemand, in dieser Landschaft,
das Meer: ein Kelch, den ich leere,
Steine, die vorm Versinken zu Leben erwachen,
der Preußen Weg: über abgründige Brücken,
Käfer, die mit gezwirbelten Fühlern aus ihren Höhlen kriechen,
stellen sich mir entgegen – erkannt, sie heißen
Vilius und Else, verflochtene Wurzeln
im Friedhof des Hirns,
Geisterort, jetzt, wer glaubt noch daran?
Meinen Namen fand ich im Kirchhof:
Brücken-Einebner, ferner Verkünder, Bruder des Haffs,
der nicht gefallen ist für die Heimat