bücher für klein und groß
band 1
Mit 23 Aquarellen von Hein Semke
Ein Bilderbuch, illustriert von einer Geschichte? Als Hein Semke mir jedoch die Serie von 22 Fischbildern zeigte, schaute ich auf die Blätter, die er auf dem Boden ausgebreitet hatte, und dachte sofort an die Möglichkeit, das Ganze mit einer Geschichte zu begleiten, in der die dargestellten Fische miteinander agierten. Der Vorschlag, die Fischserie mit einem Text zu illustrieren, stieß auf Gegenliebe. Fast alle Fische, die Hein Semke gemalt hatte, kommen in der Natur vor. In ihrem visuellen Reichtum der kritischen und ironischen Darstellung wurden sie nun Teile eines Puzzles, das ich nach und nach legte, bis sich eine Geschichte abzeichnete: Eine Fantasie, die Tiere und Menschen, die Geschichte der Fische und unsere eigene vermischt, ein Echo unserer Lebensphilosophie. Ich schrieb den Text auf Deutsch, denn er ist Hein Semke gewidmet. 1997 übertrug ich ihn in meine eigene Sprache, da sich ein portugiesischer Verlag dafür interessierte. Hier wird erstmals das Original veröffentlicht.
„Warum Fische? Wir =Alle= sind Fische – Groß – Klein – Hässlich – Schön. Wir =Alle= fangen uns eines tags im Netz, das nur uns zusteht. So bekommen wir =unser Gesicht=. Der Rest ist Wasser aus dem =Alles= kam, zu dem =Alles= zurückfindet.“ (Hein Semke)
Teresa Balté: geb. in 1942 Lissabon, Studium der Germanistik und Musik in Lissabon, Hamburg und Chicago, Lehrtätigkeit an der ELTE, Budapest, und an der UNL, Lissabon, Übersetzerin und Autorin.
Hein Semke (1899-1995): geb. in Hamburg. Studium der Bildhauerei und Keramik in Hamburg und Stuttgart. Arbeitete seit 1932 in Lissabon. Zahlreiche Ausstellungen hauptsächlich in Portugal. Werke in öffentlichen Räumen, Museen und privaten Sammlungen.
Die im Buch reproduzierten 22 Fischaquarelle Hein Semkes von 1980 befinden sich in der Kunstbibliothek der Calouste Gulbenkian Stiftung, Lissabon. Für die freundliche Überlassung der Bilder möchten wir uns an dieser Stelle bedanken.
"Ein Kunst- und Künstlerbuch (Hein Semke) in 15 Kapiteln - angelegt als Gespräch zwischen der Autorin und einem Kind. Ein Kunstaustausch ganz eigener Art: individuell, philosophisch, mit Aufforderungscharakter einmal mit einem Künstler*in wirklich über Kunst ins Gespräch zu kommen ... mit dem Ergebnis sich später vielleicht einmal selbst künstlerisch zu versuchen. Letztlich geht es nämlich um das Entsehen von Bildern, ihren Schaffungsprozess aus Malersicht (s. Der Blattfisch). Nicht immer gelingt der kreative Prozess auf Anhieb (s. Der Sonnenfisch). Wenn er aber gelungen ist, dann treten die Bilder in Aktion. Sie werden lebendig, fangen an zu sprechen ... und manchmal auch an zu singen (Der Sträfling). Die Idee eines Bildes kann den Künstler sogar bis in seine Träume verfolgen (Der Traumfisch). Einige Fragen im Schaffungsprozess bleiben freilich ungeklärt, zum Beispiel ob man Liebe sehen kann, wenn sich zwei Seepferdchen (eines männlich, das andere weiblich) gegenüberstehen (Hippocampus). Und Bilder können sich auch schwierig gestalten. Da kann das milde Abendlicht helfen, das Menschen und Dinge vereinigt (Der Einsiedler). Zum Schaffungsprozess gehört zudem der Zweifel. Manchmal ist es daher gut Abstand zu gewinnen, sich für andere Künste (Musik) zu interessieren und sich einfach mal nur durchströmen zu lassen (Rosamunde). Nicht immer bringt der Schöpfergeist sanftmütige Figuren hervor (Haie, Sägefische). Ein Künstler hat eben auch Stimmungen. Zum kreativen Prozess gehören auch Unfälle, zumindest nicht geplante Aktionen (Kleckse - s. Die Lachse). Manche Bilder entstehen in Trance, so dass sich der Künstler gar nicht an die Erschaffung erinnert (Traumfisch - weitere Andeutungen). Kann ein Künstler glücklich sein? (mit sich und seiner Kunst?) Das Glück ist flüchtig und nur schwer auf Papier festzuhalten (Paare). Und wie geht der Maler mit Kritik um? (Der Pessimist). Nun, Angst ist ein schlechter Ratgeber, bleib deshalb ganz bei dir und mach dich nicht kleiner als du bist. Ganz wichtig zum Schluss: In der Kunst spiegelt sich der Künstler, seine Seele und sein Leben (Der Traumfisch)."
Christian Kühn, Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse
Leseprobe:
Nina hatte Sebastian zu mir gebracht. Wir setzten uns auf die Veranda und überlegten, was wir tun könnten. Am liebsten wollte er eine Geschichte hören.
Es war Oktober. Es regnete. Im Herbst regnet es immer viel.
So viel wie heute?
Fast. Auf alle Fälle fällt Vieles vom Himmel herab. Regen, Schnee, Hagel… oder Blätter von den Bäumen. Und es war Sonntag.
Und es regnete? Wo war denn die Sonne?, fragte Sebastian.
Hinter den Wolken versteckt oder versunken.
Ein Regentag also!, sagte er.
Ja. Ein grauer, trüber Tag. Hein mochte keinen Regen, wenn er arbeitete.
Wer war Hein?
Der Maler. Der Maler, der malen wollte.
Was wollte er denn malen?
Das wusste er selbst noch nicht. Nur dass er malen wollte. Er machte das Licht im Zimmer an. Maler brauchen Licht, Tageslicht oder elektrisches Licht. Und manchmal Wasser, wenn sie mit Wasserfarben malen.
Regenwasser?, möchte Sebastian wissen.
Oder Wasser aus der Leitung, antwortete ich. Und sie brauchen Pinsel und Papier. Blätter…
Der Maler mischte Herbstfarben...
Herbstfarben?
Gelb, Grün, Braun, Feuerorange. Und malte Farbflecken, Farbflächen, Farbformen… ein Blatt. Nein! Das Grün streckte sich lang, spannte feuerorange Flossen in alle Richtungen aus… öffnete ein Auge, einen Mund und grüßte:
„Hallo!“
Überrascht sah es der Maler an: in der Mitte des Papierblattes schwebend, schwimmend – ein Fisch.
Ein Fisch?, wunderte sich Sebastian.
Ja. Der Maler konnte kaum daran glauben: Ein Fisch. Ein Blatt, das ein Fisch wurde, zu einem Fisch wurde. Ein Fisch, der aus seinen Händen wuchs. ‚Er ist mir aus den Händen entschlüpft‘, dachte Hein. Und malte langsam das Wasser. Die blaue Wasserfarbe des Meeres um den Blattfisch herum.
Kann man einen Blattfisch umblättern?, wollte Sebastian wissen.
Wieso?
Kann man ein Blatt umblättern?
Nun…
Und einen Fisch?
Bücher kann man umblättern, erklärte ich. Schlag das Buch mal auf und schau hinein: Bücher haben Blätter.
Und Blätter können Bilder haben. Fischbilder wie hier. Also kann ich Fische umblättern!, meinte Sebastian.
Wenn du es meinst... Bilderbücher kann man umblättern, sagte ich. ‚Ein Buch mit Bildern von schwimmenden Fischen‘, dachte der Maler.
„Ein Fischbuch!“, sagte er plötzlich. „Das male ich!“
Jetzt wusste er, was er malen würde.