Eine Biographie
Aus dem Georgischen von Lascha Bakradse
150 S., 100 Abb., erweitert um den Nachruf von Lehmann-Haupt (Vossische Zeitung, 1907)
Wie kein anderer hat Ilia Tschawtschawadse, der 1837 in Kwareli geboren und 1907 auf dem Weg nach Tiflis unter nie ganz aufgeklärten Umständen ermordet wurde, das Werden Georgiens im 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende geprägt. Er war Schrifsteller, Redakteur, Bankier und zuletzt Mitglied des russischen Staatsrates. In Georgien gilt er als der georgische Nationalheld schlechthin und wird als ‘Vater der Nation’ bezeichnet. Das Buch, ausgestattet mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen aus dem Bestand des Literaturmuseums Tiflis, führt in Leben und Werk des großen georgischen Dichters ein.
"Ilia Tschawtschawadse wird bei seinem Volk und über dessen Kreis weit hinaus fortleben als einer der begnadeten Charaktere, deren Wandel und deren Betätigung in Leben, Leben, Wort und Schrift durch einen großen, warmen Gedanken, durch die Liebe zur Heimat und zu den Volksgenossen getragen und verklärt werden.durch die Liebe zur Heimat und zu den Volksgenossen getragen und verklärt werden." C. F. Lehmann-Haupt (Vossische Zeitung, 1907)
Akaki Bakradse (1928-1999): war Schriftsteller, Herausgeber, Publizist, Film-, Theater- und Literaturkritiker, Autor von mehr als zwanzig Büchern, darunter von vier biographischen Monographien. Wegen seiner oppositioneller Haltung fiel Bakradse während der Sowjetherrschaft mehrfach in Ungnade und erhielt Arbeitsverbot. Sein Buch Zähmung der Literatur (1983), in dem er die Unterdrückung und die Einflussnahme auf die Literatur unter dem Regime anprangerte, sowie einige seiner publizistischen Schriften und Essays durften in der Sowjetunion offiziell nicht erscheinen.
Leseprobe:
Im ersten Band der Reihe „Literarischer Nachlass“, 1935 erschienen, findet sich auf Seite 565 folgende Notiz: „Im allgemeinen mochte Ilia die Jagd nicht. Ich erinnere mich, wie wir mit einigen Männern nach Alasani gingen. Wir warteten. Nicht weit von mir entfernt stand Ilia. Es war ein dichter und großer Wald. Die Hunde bellten schon. Es schien, sie hätten die Spur aufgenommen. Aufmerksam spähte ich nach dem Tier. Und schon nach kurzer Zeit erschien ein großer Hirsch. Aber die Äste und Sträucher schützten ihn so gut, dass ich nicht schießen konnte. Ilias Stellung hingegen war sehr günstig. Ich hielt den Atem an: gleich wird es knallen, jetzt, jetzt... Es geschah aber nichts. Die Zeit verging, der Hirsch stand und stand, dann schnaubte er, tat einen Satz und verschwand im Dickicht. Ich eilte zu Ilia und fuhr ihn an: „Mensch, was ist mit dir, warum hast du nicht geschossen?“ – ‚Er war so schön, so anmutig, wie könnte ich auf ihn schießen und ihn opfern!‘“
Diese Erinnerungen stammen aus der Feder von Kochta Abchasi, Ilias Kindheitsfreund und Verwandten. Er war so schön, darum habe ich ihn verschont, rechtfertigte sich Ilia. Oder gab es einen anderen, tieferen Grund, weswegen er nicht auf den Hirsch geschossen hat? Wer weiß? Wer mit den Naturreligionen vertraut ist, kennt die Vorstellung der übergreifenden Seele. Danach ist die Seele eines Menschen auch außerhalb seines Körpers gegenwärtig – in Bäumen, Pflanzen, Vögeln, Tieren usw. Verbarg sich vielleicht ein Teil von Ilias Seele in jenem Hirsch? Hätte der Schuss, ohne dass er es wusste, seine eigene Seele getroffen? Wer will das wissen? Die Frage lässt sich nicht beantworten. Wie auch immer, wir werden jedenfalls dem Hirsch nach Ilias Tod nochmals begegnen.