Gedichte
Zweisprachig
Aus dem beglischen Niederländischen von Stefan Wieczorek
978-3-86660-244-1
"Max Temmerman erkundet die großen literarischen Themen wie Leben, Liebe und Tod, von denen die Poesie von Anfang an beherrscht wird. Obwohl er ein junger Dichter ist, hat die Art, wie er Verlust und Schmerz thematisiert, aber auch Neuanfänge und das Loslassen der Vergangenheit, dazu geführt, dass seine Poesie bereits als ‚klassisch‘ bezeichnet wird.“ (Patrick Peeters, Poetry International Web).
Im Buch geht es auch darum, was es bedeutet, in einer ‚kleinen‘ Sprache zu schreiben, und wie sich politische und kulturelle Aspekte Belgiens in seinem Werk niederschlagen. „Die Geduld der Gärten“ von Max Temmerman ist zugleich der erste Band der Reihe „Literatur aus Flandern“ im Leipziger Literaturverlag, die von Stefan Wieczorek herausgegeben wird.
Max Temmerman: geb. 1975 in Brasschaat in Belgien. Er ist Dichter und Direktor des Kulturzentrums De Kern in Wilrijk, Antwerpen. Er hat bislang vier Gedichtbände publiziert: Vaderland (Vaterland, 2011), Bijna een Amerika (Beinah ein Amerika, 2013), Zondag acht dagen (Sonntag in acht Tagen, 2015) und Huishoudkunde (Hauswirtschaftslehre, 2018), alle im Verlag Vrijdag. Eine Auswahl aus den ersten drei Bänden ist als Hörbuch erschienen. Max Temmerman war Projektkoordinator von Antwerpen Boekenstad (Buchstadt Antwerpen). Vaderland wurde für den C. Buddingh'-Preis nominiert, Bijna een Amerika für den Herman-De-Coninck-Preis und den Jo-Peters-Poesiepreis. Er gewann den Herman-De-Coninck-Publikumspreis. Max Temmerman thematisiert und reflektiert in seinen Gedichten häufig Flandern und Belgien und die eigene Position als Autor. Sein Großvater war der gleichnamige Widerstandskämpfer Max Temmerman.
Stefan Wieczorek: geb. 1971 in Koblenz, ist Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Herausgeber und lebt in Aachen, im Dreiländereck Niederlande-Belgien-Deutschland, studierte Neuere deutsche Literatur, Komparatistik und Soziologie und promovierte an der RWTH Aachen, danach Lehrtätigkeit an der RWTH Aachen und der Universität Utrecht. Herausgeber der Anthologie Polderpoesie. Junge Lyrik aus Flandern und den Niederlanden (gem. mit Chr. Wenzel, 2016), Gastherausgeber des horen-Bandes Bojen & Leuchtfeuer (Bd.?263?/2016).
Leseprobe:
Topografie
Het kanaal naar Leuven – of nee: alle kanalen, dokken en havens – dat ben jij,
met die tuin, dat riet, dat jaagpad.
De E19 naar Brussel, net voorbij de tunnel is mijn tante uit Amerika
die in 1983 met luide stem verklaart dat álle straten in de US of A zo breed zijn.
Brussel blijft de rotonde bij de NAVO, die vriend die achterbleef toen zijn lief
hem verliet en ik de weg niet vond.
Oost-Vlaanderen is Brel en West-Vlaanderen ook.
Elke boom is de Ardennen en de volle klankkast van een loofbos.
Schaatsen doe je in Lier, naar vliegtuigen kijken in Kampenhout. Je hebt seks
in Antwerpen-Noord en ook in Oostende, Durbuy en in Putte-Kapellen.
Executies vinden plaats in Leopoldsburg en bij uitbreiding tegen elke wand
van opgestapeld blank hout.
Maar waar de geur van zomer? Het stof in de zon? Het halen van adem?
Topografie
Der Kanal nach Löwen – oder nein: alle Kanäle, Docks, Häfen – das bist du,
mit diesem Garten, dem Schilf, jenem Treidelpfad.
Die E19 nach Brüssel, kurz nach dem Tunnel, ist meine Tante aus Amerika,
die 1983 mit lauter Stimme erklärt, dass alle Straßen in den US of A so breit sind.
Brüssel bleibt der Kreisel bei der NATO, der Freund, der zurückblieb als seine Liebe
ihn verließ und ich den Weg nicht fand.
Ost-Flandern ist Brel und West-Flandern auch.
Jeder Baum ist die Ardennen und der volle Klangkörper eines Laubwaldes.
Schlittschuh fährst du in Lier, Flugzeuge beobachtet man in Kampenhout. Sex hast du
in Antwerpen-Nord und auch in Ostende, Durbuy und in Putte-Kapellen.
Exekutionen finden statt in Leopoldsburg und bei Ausweitung an jeder Wand
aus gestapeltem Naturholz.
Aber wo ist der Geruch des Sommers? Der Staub in der Sonne? Das Atemholen?
Continentaal
De rancune van Europeanen hangt
hier als een kring onder water
en daar is geen eeuw tegen opgewassen,
geen enkele verzameling van dagen.
Wij moeten lichter durven leven
en luider ook beginnen praten
als we ons continent weer als van gisteren,
in volle polaroidkleuren willen weten.
Op tv zag ik een caissière in de camera
spreken, recht uit de diepe jaren vijftig.
‘Het is hier goed.
Dit is bijna een Amerika voor mij.’
Haar handen en band bleven ritmisch bewegen.
Niet weten wat morgen komt, kan een zegen zijn.
Te veel ervaring maakt een werelddeel belegen.
Kontinental
Das Ressentiment der Europäer hängt
hier wie ein Ring unter Wasser
da kommt kein Jahrhundert gegen an,
keinerlei Ansammlung von Tagen.
Wir müssen uns trauen, leichter zu leben,
und lauter, auch anfangen, zu reden,
wenn wir unseren Kontinent wieder wie gestern,
in satten Polaroidfarben haben wollen.
Im Fernsehen sah ich eine Kassiererin in die Kamera
sprechen, geradewegs aus der Tiefe der fünfziger Jahre.
„Hier ist es gut.
Das ist beinah ein Amerika für mich.“
Ihre Hände und das Band bildeten eine einzige rhythmische Bewegung.
Nicht zu wissen, was morgen kommt, kann ein Segen sein.
Zu viel Erfahrung macht einen Weltteil schal.