Gedichte und Essays. Aus dem Kroatischen von Cornelia Marks
Festeinband mit Fadenheftung und Lesebändchen im eleganten Hochformat
"Cherubs Schwert" - so heißt, in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht, dieses Buch mit einer Auswahl an Lyrik und Essays des bosnisch-herzegowinischen Dichters Mile Stojic (geb. 1955 in Dragicina). In der Bibel sind die Cherubim mit besonderen Aufgaben bedachte Engel hohen Ranges. Sie wurden von Gott als Wächter vor dem Zugang zum Paradies aufgestellt.
Mile Stojics Gedichte sprechen vom Schmerz, den ein Menschenherz empfindet, das sich nach Frieden und Freude sehnt. Für den Sarajevoer Dichter Had¸em Hajdarevic ist Mile Stojic vor allem ein Dichter der Liebe, in jenem göttlichsten und irdischsten Verständnis dieses Begriffs. Seine Texte strahlen für uns einen besonderen Zauber aus, weil sie Europa aus einem anderen, südlicheren Blickwinkel beleuchten.
Auch sein Umgang mit der Sprache ist ein besonderer: Elemente der Poesie, der Essayistik, des Feuilletons, der Dramatik und des Wortspiels werden mit virtuoser Leichtigkeit verknüpft. Um das vielseitige Spektrum des schriftstellerischen Schaffens Mile Stojics zu zeigen, sind diesem Band einige seiner Essays angefügt, die er als wöchentliche Kolumnen im Tageblatt Dani aus Sarajevo oder in der satirischen Feral Tribune aus Split veröffentlicht hat.
Mile Stoji?: geb. 1955 in Dragi?ina (Bosnien-Herzegowina), Slawistikstudium in Sarajevo, Redakteur der Zeitung Oslobo?enje, 1989 bis 1992 Chefredakteur der Kulturzeitschrift Odjek, 1992 Flucht aus Sarajevo, lebte lange in Wien und unterrichtete südslawische Literatur an der dortigen Universität. Heute lebt er wieder in Sarajevo und kommentiert das Zeitgeschehen in Zeitungen und Zeitschriften. Mitglied des Schriftstellerverbandes Bosnien und Herzegowina, des Verbandes kroatischer Schriftsteller und des PEN. Über 20 veröffentlichte Bücher. Übersetzungen ins Deutsche, Polnische, Makedonische, Englische sowie ins Italienische.
Cornelia Marks: geb. 1969 in Erfurt; Bibliothekarin, Zeitungsredakteurin, Deutschlehrerin und soziale Betreuerin für Aussiedlerkinder, Weltreisende, Studium an der MLU Halle-Wittenberg zunächst ein Semester Kunstgeschichte, dann Slawistik und Germanistische Literaturwissenschaft, Studienaufenthalte in Makedonien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien, Russland; seit 2007 als freiberufliche Übersetzerin, Autorin und Lektorin tätig, außerdem regelmäßig als Dolmetscherin bei psychotherapeutischen Sitzungen im PSZ Halle/Saale; Teilnahme am Internationalen Poesiefestival in Sarajevo („Sarajevski dani poezije“) im Mai 2008, 2009, 2010 und 2011; schreibt seit der Kindheit Gedichte und Erzählungen (bisherige Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien; einige ihrer Gedichte wurden ins Bosnische/Kroatische/Serbische, Makedonische und ins Russische übersetzt).
Mile Stojics Gedichte über den Krieg, das Exil und die verwundete Heimat: Cherubs Schwert
Ralf Julke, L-IZ
⇒ www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2012/01/Mile-Stojics-Gedichte-ueber-den-Krieg-Bosnien-Herzegowina-40379.html
Leseprobe:
Kroz Istru
Vozim se kroz Istru, pejza¸e ita?ke
Vozim se s Vesnom, kao prije trideset godina
Kroz Hercegovinu. Zidine Motovuna
Postaju na tren ljubuške kule
A rijeka Mirna, rijeka
Tihaljina.
Razgovaramo o Joyceu u Puli
Rilkeu u Devinu
Mjestima što su mamila pjesnike ali ih nisu dr¸ala
O tom kako nam je netko amputirao
Uspomene i kako su naši ¸ivoti postali
Samo te¸ina
I ponavljanje.
Sve je ponavljanje
Pa i ova vo¸nja, ka¸em, i zapletem
Prste u njezinu kosu – Što misliš da se
Dr¸imo našeg starog scenarija
Punog malih vragolija
Kako bismo na bri¸na i zamišljena lica
Barem na tren
Vratili grimasu radosti.
Nemogu?e, ka¸e ona
S tu¸nim smiješkom
Jer ono što si nekad
Najviše volio na meni
Sada je napola
Izgri¸eno rakom
Amputirano.
Durch Istrien
Ich durchfahre Istrien, eine Ithaka Landschaft,
Ich fahre mit Vesna, wie damals, vor dreißig Jahren
Durch die Herzegowina. Die Stadtmauern Motovuns
Werden für einen Augenblick die Türme Ljubuškos sein
Und der Fluss Mirna der Fluss
Tihaljina.
Wir sprechen über Joyce in Pula,
Rilke in Duino,
Orte, die die Dichter anzogen, aber nicht hielten,
Darüber, dass uns jemand unsere Erinnerungen
Amputierte, und dass unser Leben nur
Zu einer Last wurde
Und zur Wiederholung.
Alles ist eine Wiederholung,
So auch diese Fahrt, sage ich, und verwickle
Meine Finger in ihr Haar – Was meinst du, ob wir uns
An unser altes Szenario
Voller kleiner Schelmereien halten,
Damit wir unseren sorgenvollen und nachdenklichen Gesichtern
Zumindest für einen Augenblick
Eine Maske der Freude zurückgeben.
Unmöglich, sagt sie
Mit traurigem Lächeln,
Denn das was du einst
Am meisten an mir geliebt hast,
Ist jetzt halb
Vom Krebs zerfressen,
Amputiert.
Svi moji prijatelji
Svi moji prijatelji nekamo ¸ure
farbaju kosu, drugi put se ¸ene,
Svi moji prijatelji nastoje pozabiti
kako zima gudi ledenim akordima.
Svi moji prijatelji nastoje ne misliti
na prošle dane i ispuniti nove igrama
Mladim ljubavima, što ih udaljuju
Od straha, sje?anja i sve bli¸e smrti.
Svi moji prijatelji pišu memoare
Jer njihove pjesme ugasle su, uvele
Jer misle da su bili svjedoci historije
pune no?ne sveske smiješnim u¸asima.
Dobri moji prijatelji pri?aju avanture
Koje im se nikad nisu dogodile
Potajno grade ku?e u bijelim oblacima
Znaju da malo su mrtvi, a da malo ¸ive.
All meine Freunde
All meine Freunde hetzen irgendwohin,
Färben ihr Haar, verheiraten sich ein zweites Mal.
All meine Freunde sind bestrebt zu vergessen,
Wie der Wind mit eisigen Akkorden spielt.
All meine Freunde bemühen sich, nicht zu denken
An vergangne Tage, und die gegenwärtigen auszufüllen
Mit neuen Spielen, jungen Beziehungen, die sie entfernen von den
Ängsten, Erinnerungen und dem immer näher kommenden Tod.
All meine Freunde schreiben Memoiren,
Weil ihre Gedichte erloschen sind, verwelkt,
Weil sie meinen, dass sie Zeugen der Geschichte waren,
Sie füllen nächtliche Notizen mit grotesken Schreckensbildern.
Meine lieben Freunde erzählen von Abenteuern,
Die sich in ihrem Leben nie zugetragen haben,
Sie bauen heimlich Schlösser in den weißen Wolken
Und wissen, dass sie ein bisschen tot sind, ein bisschen leben.
Eksponati u muzeju knji¸evnosti
Masivni radni stol od slavonske hrastovine
(premda su te pjesme napisane
ve?inom u uredu ili za kuhinjskim stolom)
Kolekcija naliv-pera, Mont-Blanc, Parker, Pelikan
(klasik je jedno dobio od poglavarstva za obljetnicu pisanja,
i ?uvao ga u ladici, ina?e se slu¸io kemijskom)
Francuska kapa, što izvrsno skriva sjedine
Ko¸na aktovka, koja i nakon
godina još miriše na rakiju
Nao?ale Rodenstock, ?ije je jedno staklo napuklo
Kravata, svilena, malo pokapana vinom.
Lula od mahagonija, mada je pokojnik
pušio uglavnom Kent, ili jeftiniju Opatiju
Nekoliko bilje¸nica s nejasnim
naslovima i ne?itljivim bilješkama.
Nedovršen referat na temu koliko je
poezija proza a proza poezija
Potpisana peticija o pravima manjinskih grupa
desetak izdava?kih ugovora, avionske
karte za sajmove knjiga u
Frankfurtu i Zagrebu, hotelski ra?un Esplanade
s nepoznatim prezimenom.
Razglednice iz Praga, Pariza, Strumice i Jasne Poljane
Slane na ime uvijek iste ¸enske osobe,
koje je precrtano, iz razumljivih razloga
Nekoliko prijava na me?unarodne stipendije
i pisama izdava?ima
u vezi s neispla?enim honorarima
Dokumentacija o nagradama i diplomama,
potkrijepljena izblijedjelim novinskim isje?cima
Pjesnikova tramvajska iskaznica s fotografijom iz automata
Dvije pisa?e mašine, sivimaslinasta „biserica“
i metalik elektri?na marke „Olivetti“.
Entropija fotografija, precizna dokumentacija propadanja
Knjige, razli?ita izdanja, prijevodi na strane
jezike kod nepoznatih izdava?a ili ciklusi po ?asopisima
Skice dva nenapisana romana, bra?ni prizori
Dijagnoza teške bolesti i nalazi lije?nika
Longplejka s pjesnikovim stihovima
Uglazbljenim od lokalnog rokera
Mala fonoteka tuge
Nigdje neobjavljenih rukopisa. Njih skriva
Osobno ra?unalo s upropaštenim hard diskom
Koje je slano ?ak u Seattle u centralu Microsofta
Ali ni oni nisu uspjeli dešifrirati ništa
Od onog o ?emu govore kliktavi stihovi i urnebesna fantazija
Onog što sad odiše formalinom i raspadanjem
Exponate im Literaturmuseum
Massiver Arbeitstisch aus slawonischem Eichenholz,
(Obwohl die meisten dieser Gedichte
Im Büro oder am Küchentisch geschrieben worden sind),
Kollektion Füllfedern, Mont-Blanc, Parker, Pelikan,
(Einen Klassiker erhielt er von der Behörde für den Jahrestag des
Schreibens,
Und er bewahrte ihn in der Schublade auf, ansonsten gebrauchte
er einen Kugelschreiber),
Französische Mütze, die vortrefflich das weiße Haar versteckt,
Lederne Aktentasche, welche auch nach
Jahren noch nach Rakija duftet,
Brille Rodenstock, deren eines Glas gesprungen ist,
Krawatte, aus Seide, ein wenig mit Wein beträufelt.
Pfeife aus Mahagoni, wenngleich der Verstorbene
Gewöhnlich Kent oder die billigere Opatija rauchte,
Einige Hefte mit unklaren
Titeln und unleserlichen Notizen.
Unvollendetes Referat zum Thema, wie viel
Poesie Prosa und Prosa Poesie ist,
Unterschriebene Petition über die Rechte von Minderheiten,
Etwa zehn Verlagsverträge, Flug-
Tickets für Buchmessen in
Frankfurt und Zagreb, Hotelrechnung Esplanade
Mit unbekanntem Nachnamen.
Ansichtskarten aus Prag, Paris, Strumica und Jasna Poljana,
Gesendet an den Namen der immer gleichen weiblichen Person,
Welcher durchgestrichen ist aus verständlichen Gründen,
Einige Anmeldungen zu internationalen Stipendien
Und Briefe an Verleger
Im Zusammenhang mit nicht ausgezahlten Honoraren,
Dokumentation über Auszeichnungen und Diplome,
Bestärkt durch blass werdende Zeitungsausschnitte,
Des Dichters Straßenbahnausweis mit Foto aus dem Automaten,
Zwei Schreibmaschinen, die olivenfarbige „biserica“
Und die metallfarbene elektrische der Marke „Olivetti“.
Entropie der Fotografien, präzise Dokumentation des Niedergangs
Der Bücher, unterschiedliche Ausgaben, Übersetzungen in fremde
Sprachen bei unbekannten Verlegern oder Zyklen in Zeitschriften,
Skizzen zweier ungeschriebener Romane, eheliche Auftritte,
Diagnose einer schweren Krankheit, Befunde des Arztes,
Langspielplatte mit Versen des Dichters,
Vertont von einem lokalen Rocker,
Kleine Phonetik der Trauer.
Nirgendwo unveröffentlichte Handschriften. Sie verbirgt
Ein Rechner mit zerstörter Festplatte,
Der sogar nach Seattle in die Zentrale Microsofts geschickt wurde,
Aber nicht einmal dort gelang es, irgendetwas von dem zu entschlüsseln,
Worüber brennende Verse und eine überschäumende Phantasie sprechen,
Von dem, was jetzt nach Formalin und Zersetzung riecht.