Gedichte. Spanisch - Deutsch
Aus dem Kubanischen Spanisch von Udo Kawasser
Es handelt sich um eine Gedichtanthologie, die vom Autor selbst zusammengestellt wurde und sein poetisches Schaffen aus der Zeit von 1979 - 2011 dokumentiert. Die insgesamt 50 Gedichte stammen aus den folgenden Bänden:
- Cayama (Santiago de Cuba: Uvero, 1979)
- Con raro olor a mundo (La Habana: Unión, 1981)
- Noticiario del solo (La Habana: Letras Cubanas, 1987)
- Cuarto de desahogo (La Habana: Unión, 1993)
- Los poemas de nadie (Medellín: Tecnológico de Antioquia, 1994)
- El último de la feria (San José de Costa Rica: EDUCA, 1995)
- Oración inconclusa (Sevilla: Renacimiento, 2000)Actas de medianoche I (Valladolid: Junta de Castilla y León, 2006)
- Actas de medianoche II (Soria: Diputación Provincial de Soria, 2007)
- Tareas (Sevilla: Renacimiento, 2011)
- Reversos (Madrid: Visor, 2011)
Víctor Rodríguez Núñez: geboren 1955 in Havanna. Kubanischer Dichter, Journalist, Kritiker, Übersetzer und Universitätsprofessor. Veröffentlichte bisher dreizehn Gedichtbände: Cayama (1979), Con raro olor a mundo (1981), Noticiario del solo (1987), Cuarto de desahogo (1993), Los poemas de nadie y otros poemas (1994), El último a la feria (1995), Oración inconclusa (2000), Actas de medianoche I (2006), Actas de medianoche II (2007), tareas (2011), reversos (2011), deshielos (2013), desde un granero rojo (2013). Verschiedene spanischsprachige Anthologien seines Werks sind in Costa Rica, Kuba, Ekuador, Spanien und Mexiko erschienen. In Übersetzung liegen Anthologien auf Englisch, Italienisch, Französisch, Serbisch und Schwedisch vor. Ausgewählte Gedichte aus seinem Werk wurden in ein weiteres Dutzend Sprachen wie Ungarisch, Slowenisch, Russisch, Portugiesisch oder Bulgarisch übersetzt. Er nahm an literarischen Veranstaltungen in mehr als 20 Ländern teil.
Preise:
Neben anderen Preisen erhielt er den Premio David für junge Dichtung (Kuba, 1980), den Premio Plural (Mexilo, 1983), EDUCA-Preis (Costa Rica, 1994) und in Spanien den Premio Renacimiento (1999), Premio Leonor (2006), Premio Rincón de la Victoria (2010) und den Premio Alfons el Magnànim (2013).
Literarische Aktivitäten:
In den Achtziger Jahren war er Redakteur und Herausgeber der engagierten kubanischen Kulturzeitschrift „El Caimán Barbudo“, in der er zahlreiche Arbeiten über Literatur und Film publizierte. Eine Auswahl aus diesen Interviews ist im Band La poesía sirve para todo (Kuba, 2008) enthalten. Er legte drei grundlegende Anthologien seiner Generation vor, zuletzt La poesía del siglo XX en Cuba (2011). Er veröffentlichte kritische Ausgaben oder Studien zu lateinamerikanischen Autoren wie Julián del Casal, Dulce María Loynaz, José Coronel Urtecho, Emilio Ballagas, Cintio Vitier, Francisco Urondo und anderen. Gemeinsam mit seiner Frau Katherine M. Hedeen übersetzte er Werke von Mark Strand und John Kinsela aus dem Englischen ins Spanische und beispielsweise von Juan Gelman und Ida Vitale vom Spanischen ins Englische. Er ist Professor für Hispanistik am Kenyon College in den USA und Herausgeber der lateinamerikanischen Linie des britischen Verlags Salt bzw. stellvertretender Direktor der mexikanischen Literaturzeitschrift La Otra.
Stimmen zu Víctor Rodríguez Núñez
Víctor Rodríguez Núnez ist für mich ein einzigartiger Dichter. Man kann ihn mit niemandem, der heute in irgendeiner anderen Sprache schreibt, die ich lesen kann, vergleichen. Es scheint, als wäre sein Leben von Anfang an von einem Schicksal bestimmt worden, dem er hellsichtig und ehrgeizig mit großer Genauigkeit folgte. Einem Plan, der ihm zeigte, worauf er schauen musste und wie er den Menschen in sich freilegen konnte, damit er sich in einen Zeugen und Schöpfer verwandelt. Die Macht seines Erbes, die Intensität seiner Einfühlung und sein Sinn für die Erweiterung des Lebensraums sind gewaltig. Nur wenige haben die Gabe, so viele Saiten anzuschlagen, mit Vallejo in einen Zwiegespräch zu treten und gleichzeitig so frei und einzigartig zu sein. Nur wenige können so nett, alltäglich, wunderbar seltsam und Gewinner der Geschichte zugleich sein. Und seine Zweige und Wurzeln sprießen weiter. Tomaš Šalamun, Slowenien, 2009
Víctor Rodríguez Núñez emerges as one of those remarkable writers who has created a poetry and a world between a first home and culture and the new worlds in which he later finds himself. In With a Strange Scent of World, beautifully translated here, the range of that work and vision becomes clear, to show him as a Cuban poet —experimental and deeply rooted at once— who carries with him a sense of the new and old wherever he’s located. That he has remained active throughout his writing life as an advocate both for himself and others is another fact of that life worth noting. The pleasure is ours to welcome him into the ever growing pantheon of new world writing. Jerome Rothenberg, USA, 2014
Autorenfoto: Katherine M. Hedeen
Udo Kawasser: Geboren am 8.6.1965 in Vorarlberg. Studium der Dt., Frz. und Span. Philologie in Innsbruck + Wien. Magisterarbeit bei Prof. Schmidt-Dengler über Thomas Bernhard. Zeitgenössischer Tänzer, Choreograph, Dichter, Übersetzer spanischsprachiger Literatur.
Buchveröffentlichungen:
kleine kubanische grammatik. gedichte. keiper verlag, Graz, Okt. 2012
vom augenrand. gedichte. Mit Bildern von Karin Ferrari. Bucher, Hohenems, 2011
kein mund. mündung. gedichte. parasitenpresse, Köln, 2008
Einbruch der Landschaft. Zürich – Havanna. Prosa. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2007
Leseprobe:
Prólogo
— a La arboleda perdida de Rafael Alberti
Cuando el cometa Halley
ese viejo maleante de los cielos
cruzó a navajazos el vientre de la noche
mi abuela
que aún no era la abuela
de nadie en este mundo
soñó tener su limpia cabellera
y puso en el mortero seis huevos de gorrión
que volvió
quién sabe cómo
polvo enamorado
para rehacer su rostro húmedo
a la triste manera de la luna
Pero en otro rincón de este planeta
que gira como un enjambre de avispas
cuando el cometa Halley
guardaba ensangrentada de noche su navaja
un niño gaditano con ojos de bahía
quiso peinar la rauda cabellera del cielo
con su tridente de marinero en tierra firme
Ha tenido que pasar
desesperado
el siglo
han cicatrizado las heridas de la noche
el niño no es el niño
sino un viejo
poeta del destierro que regresa
la abuela no es la abuela
sino una abeja
que aguijonea el alma
a otro niño que peina en el recuerdo
la limpia cabellera
de una noche del mundo
Prolog
— zu Der verlorene Hain von Rafael Alberti
Als der Halleysche Komet
dieser alte Himmelsvagabund
mit einem Messer den Bauch der Nacht aufschlitzte
träumte meine Großmutter
die noch nicht Großmutter
von niemandem auf dieser Welt war
von sauberem Haar
und gab sechs Spatzeneier in den Mörser
der machte daraus
wer weiß wie
verliebten Staub
mit dem sie ihr nasses Gesicht
nach der traurigen Art des Monds herrichtete
Aber in einem anderen Winkel dieses Planeten
der sich wie ein Wespenschwarm dreht
als der Halleysche Komet
sein mit Nachtblut beschmiertes Messer einsteckte
wollte ein Bub aus Cadiz mit Augen wie Buchten
das widerspenstige Haar des Himmels kämmen
mit seinem Dreizack eines Matrosen auf dem Festland
Vergehen musste
verzweifelt
das Jahrhundert
vernarbt sind die Wunden der Nacht
der Bub ist nicht der Bub
sondern ein alter
Dichter im Exil der zurückkehrt
die Großmutter ist nicht die Großmutter
sondern eine Biene
die sticht die Seele
eines anderen Buben der in der Erinnerung
das saubere Haar
einer Nacht der Welt kämmt
Un poema con tigre
Para Alex Fleites
Me persigue el tigre de Blake
el oro de su piel
el fragor de su impaciencia
Ayer
mientras llovía
asaltó una reunión de mi comité de base
y no quedó un papel en su sitio
—lo siento por las actas
yo las hago
Se bebió los ojos de un amigo
y de un zarpazo dejó desnuda a Esther
—precisamente a Esther—
y sus pechos de madera bendita
temblaron en el aire
con olor a naranjas que presienten el fuego
Me persigue el tigre de Blake
su poderosa respiración de astro
el ardor de sus garras
No terminaré nunca este poema
Ein Gedicht mit Tiger
für Alex Fleites
Mich verfolgt Blakes Tiger
das Gold seines Fells
seine rasselnde Ungeduld
Gestern
als es regnete
attackierte er ein Treffen meiner Basisgruppe
und kein Blatt blieb auf dem anderen
—es tut mir leid um die Sitzungsberichte
ich verfasse sie
Er trank die Augen eines Freundes
und entblößte mit einem Prankenhieb Esther
—gerade Esther—
und ihre Brüste aus geweihtem Holz
zitterten in der Luft
mit dem Duft von Orangen die das Feuer ahnen
Blakes Tiger verfolgt mich
sein kräftiger Sternenatem
die Hitze seiner Krallen
Nie werde ich zuende kommen mit diesem Gedicht