Gedichte, zweisprachig
Aus dem Mazedonischen von Wolfgang Eschker
Den größten Teil seines kurzen Lebens hat der 1908 in Veles geborene mazedonische Dichter, Erzähler, Essayist und Publizist Ko?o Racin in der Illegalität und in Gefängnissen verbracht. Angesichts eines solchen Lebenslaufes ist Ko?o Racins literarisches Schaffen umso erstaunlicher. Besondere Beachtung verdient sein Hauptwerk, die Lyriksammlung Beli mugri (Weiße Dämmerungen). Es ist dies die erste Gedichtsammlung in mazedonischer Sprache überhaupt. Der illegal im kroatischen Samobor gedruckte und im November 1939 in Zagreb erschienene schmale Band umfaßt nur zwölf Gedichte, wobei es sich zweimal ("Elegien für dich" und "Ach, hätte ich in Struga einen Laden") um je einen Zyklus von sechs beziehungsweise sieben Gedichten handelt. In diesen sozial engagierten Gedichten klagt Racin über die unhaltbaren Zustände in Mazedonien zwischen den beiden Weltkriegen an, über die bittere Not der Bauern, das Elend der Fabrikarbeiter, die Ausbeutung der Tabakpflanzer und das armselige Dasein der Tagelöhner, die als Wanderarbeiter oft monatelang von ihren Familien getrennt waren.
Auf den Punkt gebracht hat Racins soziales Engagement sowie den Einfluß der Volkspoesie auf sein lyrisches Hauptwerk Beli mugri der Münchner Slavist Alois Schmaus (1901-1970):
„Damals erwies sich besonders der junge Autodidakt Racin als begabter Lyriker, der in Rhythmus und Tonfall seiner Verse die volksdichterische Tradition dem Ausdruck persönlichen Erlebens und der Auseinandersetzung mit sozialen Problemen seiner Heimat dienstbar zu machen wußte.“
Die Bedeutung von Ko?o Racins Gedichtsammlung Weiße Dämmerungen ist in ihrer kulturellen, historischen und politischen Bedeutung für das mazedonische Volk nicht zu überschätzen.
Leseprobe:
Tage
Wie Ketten am Hals,
wie Reihen kalter Steine,
so lagen und lasteten
auf den Schultern die Tage.
Sind das etwa Tage – Tage
voll großer Qual im Tagelohn!
Steh am Morgen früher auf,
komm am Abend später heim,
am Morgen nimm die Freude mit,
am Abend bring die Trauer mit –
ach, verflucht sei dieses Hundeleben,
und verflucht auch soll es bleiben!
Der Mensch wird geboren und – wird zum Sklaven,
der Mensch wird geboren und – stirbt wie Vieh,
schuftet wie Vieh ein Leben lang
für anderen, fremden Besitz.
Für fremde weiße Paläste
grab du dir schwarze Gräber!
Für dich selbst nur schinde dich,
für dich selbst nur plage dich –
reih aneinander die Kette der Tage,
reih aneinander die ehernen Ringe,
lege die eiserne Kette
nur für dich selbst um den Hals!
Trauer
Gibt es kein Leben, gibt es keine
Liebe zum großen Leben,
Liebe zum menschlichen Leben
in der Brust der Tagelöhner?
Gibt es kein Herz, gibt es kein
Herz – Herz aller Herzen,
Herz – weit an Weite,
Herz – tief an Tiefe –
die ganze Welt darin zu fassen
und noch zu klein für diese Brust?
Gibt es keinen hellen Tag, gibt es keinen
Tag, der Tag der Tage wäre,
Tag für alle Tagelöhner –
Tag – hoch wie die hohe Sonne,
Tag – breit wie das breite Meer,
daß die Sonne stillesteht, daß verwundert
anhält auch die Zeit:
Es sprengt das Herz die Ketten,
entfaltet eine rote Fahne,
dies Herz, das ganz sich öffnet
und sich weit ins Weite weitet –
die ganze Welt zu umfassen!