Eine Perlenkette mongolischer Dichtung
Mit Aquarellen von Barbara Große
Die Mongolen werden hierzulande zuweilen als nomadisierendes Hirtenvolk belächelt. Daß sie eine über 800 Jahre alte literarische Kultur besitzen, ist dem deutschen Leser weitgehend unbekannt. Dieser Band ist darum bemüht, einen ersten Einblick in die Vielfalt einer fremden Dichtung zu geben, der Poesie des „Landes des Ewigen Himmels“. Die hier versammelten 108 Gedichte, deren Anzahl eine symbolische Anspielung auf die buddhistische Gebetskette ist, spannen einen Bogen von der Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts, die die Weisheit des Tschingis Chaan preist, bis hin zur Lyrik der Gegenwart, die sich durch ihre besondere Form auszeichnet. Diese Anthologie zeigt das helle und das dunkle Gesicht der modernen Mongolei, die sich in einer Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne befindet – ein Band voller Einblicke und Entdeckungen.
"Vom genügsamen Leben inmitten einer übermächtigen Natur erzählen diese Verse. Starke Emotionen fallen einem als Besonderheit auf. Diese Verse scheinen mehr den menschlichen Sinnen als dem Kopf entsprungen. Selbst lebensphilosophische Weisheiten sind noch in eine Landschaft gebettet. Dazu begegnet uns eine innige Beziehung zur Mutter, auch Großmutter, ein starkes Band zwischen den Generationen. So schmal der Band wirken mag, er offenbart Schätze einer Poesie mit einer elementaren, faszinierend fremdartigen, doch anrührenden Bildsprache." Tomas Gärtner, Dresdner Neueste Nachrichten
Klaus Oehmichen: geb. 1942, lebt in Dresden, mehrere Mongolei-Reisen und Veröffentlichungen zur mongolischen Literatur und Kulturgeschichte sowie zu den deutsch-mongolischen Beziehungen, erhielt 2012 die Ehrenmedaille „Für die Literatur“ des mongolischen Schriftstellerverbandes.
Barbara Große: lebt in Dresden, unternahm mehrere Mongolei-Reisen und gestaltete Mongolei-Abende mit. 1997 arbeitete sie als Deutschlehrerin in der Westmongolei.
Leseprobe:
Dulduityn Rawdshaa (Dandsanrawdshaa)
(1803-1856)
Auf völlig wahre Ansicht
So reite ich in Richtung des weiten Westens
Ihr, die hier zurückgebliebenen hellen und dunklen Gefährten
Ihr seid jeder für sich, doch draußen warten Tiere und Arbeit
Seid gerüstet mit des Menschen Scharfsinn
Lebt wohl.
Alles, was ich früher gelehrt
Harmonie und die Lehren des Lamas
Ist vergangen wie der Schatten am Abend
Warum noch lehren.
Ihr seid es, die lehren werdet
Ich bin da, um nicht mehr zu lehren
Bin fröhlich, singe ein Trinklied
So folgt jeder dem Pfad der Lehre
Schwer wäre der Weg zurück
Darum eile ich, um anzukommen
Für diesen Weg sing ich ein Lied
Euch alles Gute
(aus dem „Sterbegedicht“, 1856)
Wantschinbalyn Gulrans
(1820-1851)
Zweiklang des steinernen Denkmals
In der Zeit, in der die Wahrheit zur Lüge wird, ist Lüge auch Wahrheit.
Im Moment, in dem Nichtsein zum Sein wird, ist das Sein auch Nichtsein.
Beim Schreiben eines Gedichts
Haltend den drei Jamach langen Bambus, ist mein Schreiben
recht unvollkommen
Doch besser als Schuhe und Socken abnutzend, um zu hasten
nach Ruhm.
(...)
Wantschinbalyn Gunnatschug
(1832-1866)
Zweiklang
Obwohl Pflanzen und Berge nie altern
Grau wird der Kopf durch den Schnee.
Fließendes Wasser kennt kein Leid
Faltig wird das Gesicht durch den Wind.
Wantschinbalyn Indshinasch (Indshannaschi)
(1837-1892)
Die so ersehnte, endlich gefundene Melodie
Schwingt wirbelnd sich auf ins hohe Blau.
Ach könnte sie mitreißen das Gefühl
Wie würde ich stechen mit leichter Feder.
Kühler Herbst
(...)
Wenn der Herbstwind klar ist und frisch
Wirbelt er melodisch auf das schwingende Gras.
Als hätte ich das Gedicht auf ein rotes Blatt geschrieben
Bin ich enttäuscht vom engen Freund.
Westwind weht den Himmel klar
Der Besserwisser, begreift er es oder nicht?
Frühmorgens verweht das trockene Laub, dessen Rascheln
Wie das Gefühl eines Verlorenen ist.
*
Nie erreichen die Klagen das hohe Ministerium
So, wie eine Jurte zu bauen in den Bergen des Westens.
Wenn auch die Farben vergehen, blüht es erneut
Ergraut das Haar, wird es nie wieder schwarz.
Inhaltsverzeichnis:
Aus den Weisheitssprüchen des Tschingis Chaan 5
Auch wenn der Chaan über das Recht herrscht 5
Das Heldentum des Löwen passt nur zu ihm... 5
Auch wenn das Dasein eines Menschen schwierig ist 6
Fragment eines auf Birkenrinde geschriebenen Wechselgesangs zwischen einem mongolischen Krieger und seiner Mutter
7
Bacharain Zogt (Chalchyn Zogt Chuntaidsh) 8
Stehlende Menschen von fern und nah. 8
Luwsandandsan 8
Das Geschenk des Tschingis Chaan. 8
Batyn Sagansezen 9
Aus dem „Lehrgedicht vom Nehmen und Verlieren“. 9
Volkslieder
Der falbe Wallach. 11
Der Pappelfluss. 12
Chuultsch Sandag
Worte einer in die Falle geratenen Antilope. 13
Worte des Schleierkrauts, fliegend im Wind. 14
Dulduityn Rawdshaa (Dandsanrawdshaa)
Der Berg ist wie ein Dom... 15
Des Hochsommers Freuden. 16
Die beiden. 17
Die vier Jahreszeiten. 19
Ei, es verbrennt 21
Auf völlig wahre Ansicht 22
Wantschinbalyn Gulrans
Zweiklang des steinernen Denkmals. 23
Beim Schreiben eines Gedichts. 23
Wantschinbalyn Gunnatschug
Zweiklang. 23
Wantschinbalyn Indshinasch (Indshannaschi)
Die so ersehnte, endlich gefundene Melodie. 24
Kühler Herbst 24
Nie erreichen die Klagen das hohe Ministerium... 24
Bawuugijn Gelegbalsan
Bitte an den Himmel um Regen. 25
Schagdar
Loblied auf den Otgon tenger. 27
Rawdshaagijn Chischigbat
Passgang zweier Pferde. 28
Sedbadsaryn Luwsandondow
Die Verwandlung der Welt 29
Daschdordshijn Nazagdordsh
In ein fernes Land, um zu lernen. 30
Ein Traum... 31
Der Stern. 32
Meine Heimat 33
Die vier Jahreszeiten. 36
Sodnombaldshiryn Bujannemech
... Auf die vier Zeiten vergangener Jahre. 39
Zendijn Damdinsüren
Der Cherlen. 40
Tömörijn Nazagdordsh
Kühler Regen. 41
Gombyn Ser-Od
Der Herbst 42
Tschoidshilyn Tschimid
Der Zeiger der Zeit dringt ein in den erwachenden Tag. 43
Begdsijn Jawuuchulan
Der Herbst des Nomaden. 44
Des Silberzaumes Klang. 44
Wo bin ich geboren?. 45
Winternacht 47
Der Mond ist nah. 48
Ein mongolisches Gedicht 48
Dordshijn Gombodshaw
Der Krieg. 51
Mischigijn Zedendordsh
Du und ich, wir fliegen der Sonne entgegen. 52
Tangadyn Galsan
Die Melodie des Aufwärtsgehens. 53
Dendewijn Pürewdordsh
Die erschöpfte Großmutter. 54
Das Blatt 56
Njambuugijn Njamdordsh
Der Ast 57
Jetzt bin ich Njamdordsh. 57
Der Fluss Onon ist nur mein Fluss. 57
Sormuunirschijn Daschdoorow
Der Hügel 58
Wenn aufklart der sonnenlose Tag. 58
Rentschinij Tschoinom
Ein Gedicht, gewidmet manchen „Seelenkrüppeln“. 59
Ich bin geboren reicher als Prinzen und Fürsten. 61
Pürewdshawyn Pürewsüren
Im Winterwald. 62
Scharawyn Sürendshaw
Schlaflose Nacht 63
Schagdarsürengijn Zogt
Herbstliche Trauer. 65
Punzagijn Badartsch
Die Seele meiner Mutter. 66
Dolgoryn Njamaa
Das Herz. 69
In nächtlicher Steppe wiehert das Pferd. 70
Dodshoogijn Zedew
Das Mondlicht vor der Öffnung des Zeltes. 71
Damdinsürengijn Urianchai
Zwei stumme Vögel 71
Der Stein der Mongolei 72
Die Aussage. 72
Daramyn Batbajar
Der Himmel trübt sich ein. 73
Dshagdalyn Lchagwa. 74
Durstig bin ich schlafen gegangen. 74
Toomoin Otschirchüü
Ich bin geboren inmitten von Steinen. 75
Dsundujn Dordsh. 76
Weil der Berg so hoch, wird sein Gipfel 76
Bawuugijn Lchagwasüren
Elegie. 77
In meinem Traum ist die Gobi 78
Die kalte Quelle. 78
Der Herbst 79
Als ich mit meiner Mutter war. 80
Döngötijn Zoodol
Kniet nieder! 81
Dandsangijn Njamsüren
Neben dir. 82
Auch in diesem Sommer wächst das Gras. 83
Trübe Nebel verdichten sich. 83
Sandshaadshawyn Ojuun
Saxaul 84
Wie ein verlassner Jurtenplatz im Herbst 84
Gombodshawyn Mend-Oojoo
Die Welt hat ein Wiegenlied meiner Mutter. 85
Zendijn Tschimeddordsh
Die Viehhirten. 86
Der Krummbeinige. 89
Tschimidrawdangijn Mjagmarsüren
Der Sum-Elefant 92
Du, meine Frau, und ich. 93
Otschirbatyn Daschbalbar
Ahnung. 94
Jeden Tag, jeden Augenblick geh ich gemeinsam mit dir. 95
Wie erfroren hasenhelle Jurten geduckt unterm eisigen. 96
Bjambadshawyn Enchtujaa
Der Siebzehnte des mittleren Herbstmondes 97
oder Die Hochzeitsnacht 97
Bjambadshawyn Zenddoo
In öder Wüste. 100
Dshamjangijn Bold-Erdene
Leidvolle Heimat
Vermächtnis an meine Heimat 101
Batdshargalyn Odgerel
Das Wort eines unwissenden Menschen. 102
Chaidawyn Tschilaadshaw
Ich liebe meinen Vater. 103
Battörijn Mjagmardshaw
Die Bäume legen ihr Blattgewand an, die Mädchen entblättern sich. 104
Zogdordshijn Bawuudordsh
Die große Stille der Mongolei 105
Zoodolyn Chulan
Das Besondere. 108
Ganz einfach möchte ich leben. 108
Gun-Aadshawyn Ajuurdsana
Was morgen ist 109
Luwsandordshijn Öldsiitögs
Ein Frosch springt in den Teich. 110
Arlaany Erdene-Otschir
Frühlingstage. 111
Baataryn Galsansüch
Das Organ Seele erkrankt wie die Leber. 112
Wolken wandern, wie man eine Schachfigur zieht 112
Gompildoogijn Mönchzezeg
Der Blick. 113
Bajarchuugijn Itschinchorloo
Ich blicke in deine Augen, so, wie ich ein klassisches Gedicht lese. 114
Ach, mein Leben ist traurig. 114
Ein sehr junger Adler. 115
Nachwort 116
Biographische Notizen. 133
Anmerkungen. 148
Quellennachweise. 150
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