Prosagedichte. Aus dem Französischen von Margret Millischer
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"Es ließe sich denken, dass jemand eine Monographie des Blau schriebe." Rainer Maria Rilke
Vordergründig geht es um die Farbe Blau: "Eine scheue Farbe ist es, ohne Hintergedanken, Vorahnungen und Absichten, die sich dem Blick nicht jäh aufdrängt wie Gelb oder Rot, sondern ihn an sich zieht, ihn nach und nach zähmt, ihn kommen läßt, ohne ihn zu drängen, so daß er in sie eintaucht und in ihr versinkt, ohne es zu bemerken."
Blau ist die Farbe des Himmels und des Meeres. Aber: "Eigentlich ist es keine Farbe, eher eine Tönung, ein Klima, ein besonderes Klingen der Luft."
Es geht um Stimmungen, um impressionistische Momentaufnahmen, denen wir in uns nachspüren können. Es geht um das ungestillte und unstillbare Verlangen, um die Sehnsucht nach der Liebe, nach den Göttern, die in unserem Kopf nicht sterben, darum, daß wir niemals von der Liebe erlöst sein werden. Es geht um die großen Menschheitsfragen von Liebe und Tod, um den Zwiespalt zwischen erlebter Vergänglichkeit und ersehnter Unendlichkeit. Vergeblich, aber ungebrochen versuchen wir, mit Worten dagegen anzuschreiben.
Jean-Michel Maulpoix: geb. 1952 in Montbéliard, Literaturprofessor in Paris / Nanterre, leitet eine Literaturzeitschrift und veröffentlicht Essays und poetische Werke seit vielen Jahren in den renommierten französischen Verlagen Mercure de France und Poésie / Gallimard.
Margret Millischer: Jean-Michel Maulpoix war der erste Autor, den ich vor zehn Jahren übersetzt habe. Auch damals handelte es sich um einen Gedichtband im Prosa mit dem Titel „Une Histoire de Bleu / Eine Geschichte vom Blau“ (2008 beim Leipziger Literaturverlag erschienen). Als nächstes übersetzte ich seinen Rilke-Kommentar, daran anschließend von Rilke auf Französisch verfasste Briefe „Lettres à une amie vénitienne / Briefe an eine venezianische Freundin“, zu denen J.M. Maulpoix das Vorwort schrieb und schließlich seine „Pas sur la neige/Schritte im Schnee“ (Leipziger Literaturverlag, 2012)
Nous connaissons par ouï-dire l’existence de l’amour.
Assis sur un rocher ou sous un parasol rouge, allongés dans le pré bourdonnant d’insectes, les deux mains sous la nuque, agenouillés dans la fraîcheur et l’obscurité d’une église, ou tassés sur une chaise de paille entre les quatre murs de la chambre, tête basse, les yeux fixés sur un rectangle de papier blanc, nous rêvons à des es-tuaires, des tumultes, des ressacs, des embellies et des marées. Nous écoutons monter en nous le chant inépuisable de la mer qui dans nos têtes afflue puis se retire, comme revient puis s’éloigne le curieux désir que nous avons du ciel, de l’amour, et de tout ce que nous ne pourrons jamais toucher des mains.
Vom Hörensagen wissen wir, dass es die Liebe gibt.
Auf einem Felsen sitzend oder unter einem roten Sonnenschirm, in der Wiese liegend, in der Insekten summen, die Hände unter dem Nacken verschränkt, im kühlen Dunkel einer Kirche kniend, oder auf einem Strohsessel kauernd im Zimmer eingeschlossen, mit gesenktem Kopf, die Augen auf ein weißes Blatt Papier gehef-tet, träumen wir von Flussmündungen, Stürmen, Brandungen, Windstille und Gezeiten. Wir hören in uns den unerschöpflichen Gesang des Meeres aufsteigen, in unsere Köpfe strömen und sich wieder zurückziehen, wie das ständige Kommen und Gehen unserer seltsamen Sehnsucht nach dem Himmel und nach der Liebe und nach allem, was wir niemals mit Händen greifen können.
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