Romanzen
Die vorliegenden Prosatexte sind Romanzen in mehrfachem Sinn: Sie behandeln Zwischenstationen, auf der Stelle tretende Romanansätze, in denen die großen Aufbrüche zu kleinen, die endgültigen Lieben zu Affären mutieren. Darin steckt weniger Fatalismus, vielmehr ein Stück Freiheit. In einer Zeit propagierter Überindividualisierung sucht der Erzähler nach Wegen zwischen Lossagung und Bindung, nach Einheit in der Zerrissenheit. Gleichermaßen beschäftigt ihn das Verhältnis von Tatsachen und Fiktion - die Frage, wie Diktaturen Literatur produzieren und in dieser unsichtbar werden.
Ulrich van Loyen: geb. 1978 in Dresden, Studium in München und Rom, lebt als Kulturwissenschaftler und Publizist in München, Mitherausgeber der TUMULT-Bände “Unveralteter Sinn” (Philo / Europäische Verlagsanstalt 2004) und “Gesichtermoden” (Alpheus / Merve 2006), 1997-2001 Mitherausgeber der Zeitschrift “kassandra. Literaturen”
"Die Personen in Ulrich van Loyens Erzählungen sind Reisende, im Ausland Lebende, Flüchtende - allen eigen ist die Ortlosigkeit, der gewählte Gang auf unbelastes Terrain. Aber die Altlasten, so verdeckt sie unter der Oberfläche schlummern mögen, tauchen irgendwann wieder auf ..." Adrian Kasnitz, Ostragehege
Stilles Weites Land: Ulrich van Loyen erzählt von den Zwischenstationen auf des Lebens Reise
Dörthe Stanke, L-IZ
⇒ www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2008/03/Stilles-Weites-Land-Ulrich-va-200803300010.html
Leseprobe:
Ich habe dich kennengelernt. Du bist sehr aufmerksam gewesen und ich habe mich ordentlich amüsiert. Ich schätze sehr, wie du dich um mich gekümmert hast, du wärest sicher ein guter Vater gewesen. Aber du bist kein richtiger Liebhaber, dazu bist du zu sozial. – Sie liest dieses Wort, sie läßt es sich auf der Zunge zergehen, so zi al, so zjal, es ist ein komisches Wort um Menschen zu beschreiben. Gutmütig, feige, das wären Wörter. Aber sozial? Sie hat es geschrieben, es klingt passabel, hart und ungerecht. Was ist ein Liebhaber? Sie hat nie einen gehabt, sie kennt diesen Typus von Freundinnen: verschlossene, hastende Männer, kurz vor dem endgültigen Durchbruch, der ihr letzter sein wird – vielleicht wissen sie es und zögern ihn deshalb hinaus, genauso wie den entscheidenden Abend mit ihrer neuen Eroberung – die niemals Zeit haben, die ihnen Geschenke machen und ihnen nachts den tiefen jugendlichen Schlaf mißgönnen. An denen man Erfahrungen sammelt, die man mit ihnen nicht macht. Sie hat sich für einen solchen Satz entschieden, warum? Wann ist einer ein guter Liebhaber, wann ein schlechter? Er hat sie angesehen mit einem verzehrenden Blick, ihr geboten, was er besaß, er weiß, wie es funktioniert. Wenn sie müde war, hat er sie gelassen, andererseits konnte er eine Nacht lang so wach sein, wie sie noch nie jemanden kennengelernt hat; so wach und schlaftrunken zugleich, jemand in einem andauernden Dämmerzustand. Und hat er ihr nicht schließlich Geschenke gemacht, hat er sie denn nicht in sein Auto gesetzt, abends, und ist mit ihr ins Herz der Stadt gefahren, die sie nicht kannte? Saß er denn nicht mit ihr auf dem Hügel, von wo sie Ruinen sah als die Schatten ungelenker, erstarrter Körper, die sich in der Dunkelheit vervielfachten, die jede Phantasie – von Forscherhirnen bis hin zu unglücklich Verliebten – bevölkern? Heute gehe ich nicht arbeiten, hatte er eines Morgens gesagt, sich auf die andere Bettseite gedreht und noch eine halbe Stunde geschlafen.