Fotografien & biographische Porträts zum Rechtsradikalismus in Ostdeutschland
Dieses Buch stellt Biographien inhaftierter rechtsorientierter Jugendlicher und Porträtfotografien anderer Jugendlicher, die sich in Freiheit der rechten Szene zugehörig fühlen, gegenüber. Die Lebensberichte wurden von Viktor Kalinke im Jugendstrafvollzug gesammelt. Dort gelang es ihm, mit Inhaftierten über sonst kaum geschilderte Kindheitserlebnisse, Familienstrukturen und Einstellungen ins Gespräch zu kommen. Er hat sie für das Projekt frei nacherzählt. Die Fotografien von Bertram Kober entstanden in Leipzig-Grünau, einer typischen ostdeutschen Plattenbausiedlung im Rahmen akzeptierender Jugendsozialarbeit.
"Freiheit macht Arbeit" provoziert. Am Punkt ihres Scheiterns - im Gefängnis - sind die Jugendlichen bereit, Selbstauskünfte zu geben. In der Zusammenstellung mit Bildern von "ganz normalen", in Freiheit lebenden rechten Cliquenmitgliedern, liegt die Brisanz des Projektes, das in dieser Form auf der Internationalen Fotoschau in Herten 2001 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Bertram Kober:
1961 In Leipzig geboren, lebt und arbeitet in Leipzig und Berlin
1981 - 1987 Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Fachstudium bei den Professoren Evelyn Richter und Arno Fischer
1988 - 1990 Zusatzstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
1990 Zusatzstudium Kommunikationsdesign an der Gesamthochschule Essen bei Professorin Angela Neuke, Mitbegruender der Fotografenagentur PUNCTUM Leipzig, seither freischaffender Fotograf
seit 1990 freiberuflicher Fotograf
1997 Kodak Fotokalender-Preis
2003 Berufung in die Deutsche Fotografische Akademie
2005 - 2007 Dozent für Fotografie an der fas Berlin
2007 Gründungsmitglied der Internationalen Akademie für Photografie e.V. in Berlin
Seit 2007 Dozent für Fotografie an der Neuen Schule für Fotografie Berlin
2011 "Best photograph of the 54th International Art Exibition” Biennale Venedig
Viktor Kalinke: geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.
"Die Fotografien bedienen weder voyeuristische Bedürfnisse, noch entsprechen die Fotos der Jugendlichen den Bildern, die Normalbürger über Rechtsradikale im Kopf haben. Das Konzept, die Darstellung der Jugendlichen aller Gewißheiten zu entziehen, geht auf. Und es muß Schluß sein, mit dem Mißbrauch der ‘Glatzen‘ zur Entlastung einer Erwachsenengesellschaft, die zu großen Teilen selbst tief in rassistischen Denkmustern verstrickt ist. Wenn dem ‘braven’ Bürger, der seine Gewaltphantasien gegenüber allem Andersartigen beim Feierabendbier pflegt, tagtäglich in Fernsehen und Hochglanzmagazinen mitgeteilt wird, wie die Verantwortlichen für Fremdenhaß aussehen, nämlich kurzhaarig, kann er sich entspannt zurücklehnen - schließlich sind es die anderen und nicht er. Projektive Verlagerung nennt man das in der Psychologie." (Eberhard Seidel-Pielen)
Drei Geschichten auf Youtube:
1) ⇒
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3) ⇒
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Leseprobe:
Michael, 16 Jahre
Meine Eltern haben sich getrennt, als ich 6 war. Mutter hatte einen Freund, Vater hat getrunken; meine Mutter ist zu ihrem Freund gezogen, als Vater ihr im Suff mal wieder ein Veilchen geschlagen hat. Ich bin immer dazwischen gegangen, wenn er sie Hure nannte oder Schlampe und sich vergaß. Ich kann Ihnen nicht sagen, was eher begonnen hat, ob meine Mutter einen Freund hatte oder ob mein Vater früher schon trank. Meine Mutter war eigentlich eine gutmütige Frau, sie konnte nicht Nein sagen. An meinen Vater erinnere ich mich nur, daß er aussah wie ein Bär, kräftig, schwarzhaarig, mit Vollbart. Er wirkte oft gereizt und knurrig. Manchmal habe ich als Kind geträumt, er würde mich irgendwohin schleppen oder in einem schmalen, ganz engen Zimmer erquetschen. Durch seine Anwesenheit. Als meine Mutter zu ihrem Freund zog, hatte ich ein lockeres Leben. Die beiden waren mit sich beschäftigt. Geschwister habe ich keine. Im Sommer fuhren wir an einen See, wo meine Mutter und ihr Freund am FKK lagen. Wissen Sie, ich konnte es nicht ertragen, die nackten Menschen zu sehen und bin den ganzen Tag am Ufer lang gelaufen, bis ich um den See herum war. Ich bin ein schüchterner Mensch. Das liegt vielleicht an meinem Vater. Er hat mir Respekt eingeflößt oder Angst. Mit acht Jahren habe ich angefangen, Fußball zu spielen. In der Mannschaft war ich der Jüngste. Ich mußte lange kämpfen, ehe ich Anschluß fand. Zu Beginn wurde ich als Verteidiger eingesetzt. Der Trainer demonstrierte Abstoß vom Tor und schoß mir zweimal hintereinander den Ball gegen den Kopf. Die andern lachten, wie Sie sich vorstellen können. Obwohl ich keine Miene verzog, haben sie mich seitdem „Rübe“ genannt, weil der Ball einen roten Abdruck auf meinem Gesicht hinterließ. Kriminell sind alle Jungs aus unserer Mannschaft schon mal geworden. Die meisten nur mal schwarz gefahren. Die Mutigeren haben Autos geknackt. Ich weiß nicht, wie oft ich dabei war. Wir haben Gras geraucht, haben uns tätowiert und die Haare rasiert oder grün gefärbt. Hauptsache schräg. Nach der siebenten Klasse bin ich von der Schule gegangen. Nachdem ich sie zweimal wiederholt hatte. War soundso nicht mehr viel los dort. Hab dann den ganzen Tag in der Clique rumgehangen. Geprügelt haben wir uns eigentlich selten, nur an besonderen Tagen, am ersten Mai oder so. Gegen wen es ging, war mir egal. Meistens haben wir ein bißchen getrunken vorher, soviel, bis wir zu waren. Vorbestraft bin ich viermal, zweimal Arbeitsstunden, zweimal Bewährung, immer wegen Diebstahl. Ich bin ins Heim gekommen deswegen, ein halbes Jahr, im Heim hatte ich großes Heimweh, jeden Tag bin ich zu meiner Mutter gelaufen. Einmal saß ich in U-Haft, drei Monate, vorm Berufsvorbereitungsjahr. Im Knast hab ich mich nur gelangweilt und ich hatte Angst, daß die älteren Häftlinge mich vergewaltigen, weil ich glatte Haut habe. Ich war froh, als ich wieder draußen war, das können Sie wissen. Am liebsten würde ich als Bürokaufmann arbeiten, oder als Kellner, als Putzer, meinetwegen als Fernfahrer, warum nicht.
Robert, 21 Jahre
Jacob wolte schon wider ‘ne Kippe von mihr da bin ich ihm an den Hahls gegangen. Es wahr dunckel und wir wahren alein im Zimer. Wir standen am Fenster und haben auf die Strase runtergeshaut. Wir haten schon ‘ne ganse Weile nich mehr geredet weil er imerzu schlaucht. Als ich ihm kene Zigarete mer abgeben wolte nante er mich Schwein. Da hab ich ein Meser genomen und bin auf ihn los. Er konte nichts daführ daß er keine Knete hat seine Ältern haben ihn rausgeschmisen. Aber er gihng mir auf die Nerwen mit seinem Geheule. Ich habe ihm vorher gesagt wenn er nich aufhört dann bring ich ihn um und ich steche nicht nur enmal zu sondern zwanzig Mal. Ich weiß daß ich krige was ich wil. Die anderen haben enfach Schiß vor mihr. Nohrmalerweise recht es wenn ich mich ein bischen vor ihnen aufbaue dann zuken si schon. Jacob war enfach zu aufdringlich. Er hats nich gemerkt. Ich meine er konte sich ja noch reten. Is rausgerant und hat um Hilfe geschrien. Blöderwese kamen zufälig die Bulen vorbei die ihn mit ‘ner Schrame am Kopp gesehen haben. Mich haben si auf dem Rewier verhört und wieder laufen lasen. ‘Ne kleine Keilerei komt schon mal vor unter Freunden. Eigentlich bin ich schrecklich in ‘nen Mädel verlibt aber die wont zwehundert Kilometer von hir weg. Hab ihr ‘nen Blumenstrauß für hundertzwansig Eier geschickt. Si hat ihn glech of die Strase geworfen haben mir Kameraden erzählt. Ich hab ihr vile Briefe geschickt und enmal hat si auch geantwortet. Um mir zu sagen daß si mene Briefe gar nich list. Hab si jetz schon ‘n halbes Jar nich meer gesehen denke jede Nacht an si und kan überhaupt nich meer schlaffen wegen ir. Wir haben uns auf ener Demo kenengelernt si war wie ‘ne Muter zu mir obwol si vir Jahre jünger is als ich. Anfangs hab ich jeden Abent bei ihr angerufen, irgendwan gabs die Numer nich mer. Von meinem Vater der vor drei Jaren bei einem Unfal gestorben ist hab ich siebsigtausend Mark geerbt di würde ich ir schenken. Ich wolte mich schon von einem dreisich Meter hohen Thurm stürzen und hab mene egene Wohnung abgefackelt. Weil es nicht zum Aushalten ist. Si wolten mich in die Klapse steken da bin aber wieder abgehauen. Bin doch nicht blöt. Eigentlich verlibe ich mich zimlich schnel in ‘ne Frau. Zum Beispiel die Schwarzharige die Jacob manchmal anschlept die find ich wirklich keil. Hab mich total in si verlibt. Mir würde das Herz brechen wenn si Nee zu mihr sagt und ich würde aus Rache entweder si umbringen oder Jacob.