Irritationen und Mortalität - eine Anthologie
mit Beiträgen von Thomas Kunst, Undine Materni, Mariam Abdel Al, Thomas Winter, Steffen Balmer, Oliver Kossack, Gabriele Francik, Michael Touma
"Jeder Text, jedes Bild baut seine eigene, oft faszinierende Wirkung auf, und in ihrem Zusammenklang erzeugen sie geradezu hypnotische Wirkungen auf den Betrachter / Leser: irritierende, verstörende Geschichten und Bilder, zum Teil weit ab vom Gewohnten, regen zum Nachdenken und -fühlen an und hinterlassen Verunsicherung. Wer dieses Buch zur Hand nimmt, kann sich auf einen Wirbel von Assoziationen und ‘Irritationen’ gefaßt machen, sie weiterspinnen vielleicht, die Brüche wahrnehmen und ihren Sinn zu ergründen versuchen - und das ist heute bei der Menge von Eindrücken, die täglich auf die Menschen einstürmt, schon sehr viel." (Almut Nitzsche, Carpe librum)
Steffen Balmer: geb. 1962 in Naumburg, Philosoph, Medienkünstler, lebt in Leipzig: Fotocollagen mit Hilfe des Internets
Undine Materni: geb. 1963 in Sangerhausen, lebt jetzt in Dresden, mdr-Literaturpreis des Jahres 2000: ihre Lyrik, Prosa und auch Kinderbücher sprechen in einer plastischen, mythologisch gestärkten Sprache, in der sich fließend Bilder und Metaphern lösen und verknüpfen
Gabriele Francik: geb. 1964 in Leipzig, Malerin, lebt in Leipzig: naiv-elegante Zeichnungen auf geknittertem Untergrund
Thomas Kunst: geb. 1965 in Stralsund, lebt in Leipzig, Mitarbeiter der Deutschen Bücherei, mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem ersten Dresdner Lyrikpreis 1996: der Text als assoziative Transformation, gekennzeichnet von suggestiver Verwirrung, latenter Erotik, magischer Logik und zuweilen gebrochener Syntax
Oliver Kossack: geb. 1967 in Tel Aviv, aufgewachsen in Israel, Australien und Indonesien, Sprachwissenschaftler, Maler, Dozent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, lebt in Leipzig: absurde Zeichnungen, die es auf den Punkt bringen, Comicstrips der radikalen Art – der „Seifenopa“ läßt sich erst die linke, dann die rechte Hand abhacken, um sie im Kühlschrank aufzubewahren
thomas winter: geb. 1965 in Weidenau, aufgewachsen in München, Arzt: mit dem Seziermesser geschrieben, zeichnen sich seine Texte durch Präzision aus, unter dem Schnitt kommt etwas Unerwartetes, Unerklärliches zutage – kryptische, von feinem Humor durchsetzte Gedichte
Marion Quitz: geb. 1969 in Cottbus, Malerin, lebt in Leipzig: Federzeichnungen, die sich von der Fläche des Blattes soghaft in die dritte Dimension hinein öffnen
Viktor Kalinke: geb. 1970 in Jena, Studium in Dresden, Leipzig und Beijing, lebt in Leipzig: psychologisch ausgefeilte Erfindungen nicht stattgefundener Begegnungen - "post fiction"-Geschichten
mariam abdel al: geb. 1966 in Kairo seit ihrem 6. Lebensjahr aufgewachsen in Warschau, Promotion in Leipzig, lebt in Warschau, schreibt auf Polnisch (ihre Texte sind zweisprachig wiedergegeben): schildert Konflikte der religiösen Traditionen mit dem voller Magie wahrgenommenen Alltag
Michael Touma: geb. 1956 in Haifa, Maler, lebt in Leipzig: expressionistisch anmutende Graphiken, gesplittet für die Verwendung in Neuen Medien
Leseprobe:
Thomas Kunst
LÄSSIGKEIT UND ENDE.
Ein Monolog.
Ich sage ja nur. Ich sage doch nur. Siehst du sie nicht. Siehst du sie denn nicht. Aber ich sage immer nur. Ich sage nur halbrosa. Ich sage nur Wintergarten mit Gott. Ich sage nur Asien. Nur Rom. Ich sage nur kein Europa der Welt. Ich sage immer nur. Ich sage nur häng nicht so an mir. Ich sage nur Engel des Wassers. Nur Fee von der Wiederkehr. Ich sage nur Glück. Nur Lametta. Nur trink dieses Glas noch aus. Ich sage nur Wellblech und Lilien. Nur dans le lit. Ich sage nur jüdische Grenzen. Ich sage nur Schneenutten. Ich sage nur ultimativ. Ich sage immer nur. Ich sage nun deine Haare bei Schostakowitsch. Ich sage nur zlahtina chambre. Nur jetzt leider nicht. Nur mach dein Rom noch aus. Dein Arizona. Dein Asien. Ich sage nur Brüderchen. Nur keine Bescheidenheit. Nur lass mich in Ruhe. Ich sage nur lieb mich nicht mehr. Ich sage immer nur. Ich sage nur Küchentisch. Nur Ostküste. Ich sage nur ferne Länder. Nur Schaum. Nur Familienunterbrechung. Ich sage nur sinnvolles Tochterkind. Ich sage nur Tagebuchhotels. Ich sage nur halbrosa. Nur Hass. Nur Bureausterne in den Fabriken. Ich sage immer nur. Ich sage nur Schnaps ohne Städte. Ich sage nur Regen. Nur Schrittempo. Nur ohne zu bumsen. Ich sage nur genau richtig. ich sage nur verhältnismäßig weit. Ich sage nur wohl im Moment noch nicht. Ich sage nur Stühle im Winter. Ich sage nur Jazz. Nur mach doch endlich was aus deinen Nächten. Ich sage nur Luise. Nur Stolz. Nur Tod. Nur Monatsgift. Ich sage immer nur. Ich sage nur von Anfang an. Ich sage nur Ende September. Ich sage nur, ich hätte dich wohl besser nie. Ich sage nur Sekt. Nur Zentrum. Nur Sushi. Ich sage nur keine Müdigkeit für Wiederholung. Ich sage nur Filme im Winter. Nur Filme im Winter. Die Filme im Winter. Nur Filme. Nur Winter. Ich sage nur Filme. Ich sage nur Winter. Ich sage nur Filme. Die Filme im Winter. Die Filme. Die Winter. Nur Filme. Nur Winter. Siehst du sie nicht. Siehst du sie denn nicht. Du, ich rede mit dir. Es könnte doch einfach sein, ich rede mit dir. Siehst du nicht diese ultimativen Zugeständnisse an den Flüssen. An all deinen Meeren. Die sture Hilflosigkeit einer vereinzelten Zuneigung. Die späte Anteilnahme der Verlegenheit am Trost. Diese unüberwindlichen Zugeständnisse einer wirklichen Liebe. Siehst du sie denn nicht. Ich rede mit dir. Wo auch anders als an den Flüssen. Und an jedem deiner Meere. Kein Mut hört zu. Kein Gott der Gegenseitigkeit gibt acht. Kein Wunsch hält eine zweite Fieberkurve ein. Nicht die geringste Orchidee von dir benimmt sich in den Nächten auch nur halbwegs proletarisch. Woran ich das merke. Woran ich das merke. Siehst du sie denn nicht. Es könnte doch immerhin sein, ich rede mit dir. Über die unvermeidliche Schönheit zufriedener Fabriken. Über die jüdische Gelassenheit von allgemeinen Bäumen. Blut und die Reste von Schnee. Jazz und die Reste von Blut, Schnee und Jazz. In den hohen Steinen deiner Städte hat sich mein Bureau verkantet. Holzgeflechte, Strom und selbst die abgebremste Leidenschaft zu großer, ungestümer Seidenwürfel. Wenn ich mal Zucker brauche, gehe ich runter. Wenn ich mal Pferde brauche, gehe ich hoch. Du schläfst doch noch nicht. Du hast doch noch eine Drehung für mich, mein Stern, ein Zucken und ein Schweifen, ein Schleifen ohne Lässigkeit und Ende. Aus Nüchternheit. Aus Stolz und Sinnlichkeit und Stil. Aus den fatalen Möglichkeiten zögerlicher Gier ...