Gedichte, zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Ron Winkler
Wer die Gedichte von Billy Collins liest, läßt sich schnell von ihnen fesseln, oder besser gesagt: einspinnen. Es sind Gedichte, die oft geerdet beginnen, um dann illuster zu werden, magisch und paradox. Billy Collins entlädt seine Lakonie an der nächsten Umgebung, führt Dinge in Fallen oder errichtet ihnen feine metaphorische Gehege. Collins Gedichte sind Akte der Entbanalisierung, Entdeckungen eines mit selbstironischem Humor ausgerüsteten Träumers, der die Kunst des Ertrinkens beherrscht, eine Historie des Wetters verfaßt und die Vögel von Arizona zu adressieren vermag. Billy Collins schreibt nicht nur Poesie, er erzählt sie auch. Mit klarer, leichter und geistreicher Stimme, unverblümt und poetisch. Berechtigterweise hat man ihn in den USA als Poet Laureate geehrt.
Billy Collins: geboren 1941, lebt in New York City. Von ihm erschienen sechs Gedichtbände, zuletzt "Picnic, Lightning" (1998), "Sailing Around the Room". "New and Selected Poems" (2001) und "Nine Horses" (2002, alle bei Random House).
"A poet of plentitude, irony and Augustan grace." (The New Yorker)
"A typical Collins poem has a self-illuminating quality to it, or a gratifyingly organic feel about it, a sense that like some splendidly blooming plant, it develops naturally from a most inauspicious instant of germination." (The Boston Globe)
"Collins verrät in seiner Lyrik auch einen Teil seiner Poetologie: Er wehrt sich gegen die Überinterpretation von Gedichten ... Stattdessen empfiehlt Collins den Lesern: 'betretet den Innenraum des Gedichts / und tastet die Wände nach einem Lichtschalter ab.' Dieses Betreten und Abtasten ist in Collins Gedichten ein großer Genuß, denn trotz ihrer Klarheit und ihrer zum Teil angenehm unverschlüsselten Sprache eröffnen sie große Gedankenräume und geben die Möglichkeiten zum Sich-Verlieren und Weiterdenken. Das Leben in Collins Gedichten ist 'ein geladenes Gewehr, / welches dich anschaut mit einem gelben Auge.' In ihrer Treffsicherheit und ihrem Gespür für den richtigen Moment kann man sogar die Gedichte selbst als ein solches Gewehr bezeichnen." Katharina Bendixen (Kunst-Stoff)
Leseprobe:
Nightclub
You are so beautiful and I am a fool
to be in love with you
is a theme that keeps coming up
in songs and poems.
There seems to be no room for variation.
I have never heard anyone sing
I am so beautiful
and you are a fool to be in love with me,
even though this notion has surely
crossed the minds of women and men alike.
You are so beautiful, too bad you are a fool
is another one you don’t hear.
Or, you are a fool to consider me beautiful.
That one you will never hear, guaranteed.
For no particular reason this afternoon
I am listening to Johnny Hartmann
whose dark voice can curl around
the concepts of love, beauty, and foolishness
like no one else’s can.
It feels like smoke curling up from a cigarette
someone left burning on a baby grand piano
around three o’clock in the morning;
smoke that billows up into bright lights
while out there in the darkness
some of the beautiful fools have gathered
around little tables to listen,
some with their eyes closed,
others leaning forward into the music
as if it were holding them up,
or twirling the loose ice in a glass,
slipping by degrees into a rhythmic dream.
Yes, there is all this foolish beauty,
borne beyond midnight,
that has no desire to go home,
especially now when everyone in the room
is watching the large man with the tenor sax
that hangs from his neck like a golden fish.
He moves forward to the edge of the stage
and hands the instrument down to me
and nods that I should play.
So I put the mouthpiece to my lips
and blow into it with all my living breath.
We are all so foolish,
my long bebop solo begins by saying,
so damn foolish
we have become beautiful without even knowing it
Nachtclub
Du bist so wunderschön und ich bin ein Idiot,
in dich verliebt zu sein
ist ein Thema, das immer wieder auftaucht
in Liedern und Gedichten.
Es scheint keinen Raum für Variationen zu geben.
Ich hörte nie jemanden singen
Ich bin so wunderschön
und du bist ein Idiot, mich zu lieben,
obwohl dieser Satz sicher Frauen wie Männern
schon einmal in den Kopf kam.
Du bist so wunderschön, zu schade, dass du ein Idiot bist
ist ein anderer, den du nie hörst.
Oder: Du bist ein Idiot, mich schön zu nennen.
Diesen wirst du niemals hören, garantiert.
Aus keinem besonderen Grund höre ich
heute Nachmittag Johnny Hartman,
dessen dunkle Stimme sich durch die Themen
Liebe, Schönheit und Idiotie schlängelt,
wie keine andere es kann.
Sie wirkt wie Rauch, der von einer Zigarette aufsteigt,
die jemand auf einem kleineren großen Flügel
drei Uhr morgens hat brennen lassen;
Rauch, der in Richtung der Scheinwerfer kräuselt,
während sich in der Dunkelheit draußen
einige der wunderschönen Idioten kleine Tische
organisieren, um zuzuhören,
manche mit geschlossenen Augen,
andere in die Musik gelehnt,
als hielte sie das,
andere rühren das Eis in ihrem Glas,
allmählich verloren in einem rhythmischen Traum.
Ja, da ist all diese idiotische Schönheit,
nach Mitternacht komponiert,
die nicht die Absicht hat, nach Hause zu gehen,
gerade jetzt, wo jeder im Raum
dem großen Typen mit dem Tenorsaxofon zusieht,
das an seinem Hals hängt wie ein goldener Fisch.
Er kommt nach vorn an den Rand der Bühne
und reicht mir das Instrument herunter
und nickt mir zu, dass ich spiele.
Also führe ich das Mundstück an meine Lippen
und blase hinein mit all meinem Atem.
Wir alle sind so idiotisch,
fängt mein langes Bebop-Solo zu erzählen an,
so verdammt idiotisch,
dass wir schön geworden sind ohne davon zu wissen.
Sonnet
All we need is fourteen lines, well, thirteen now,
and after this one just a dozen
to launch a little ship on love’s storm-tossed seas,
then only ten more left like rows of beans.
How easily it goes unless you get Elizabethan
and insist the iambic bongos must be played
and rhymes positioned at the ends of lines,
one for every station of the cross.
But hang on here while we make the turn
into the final six where all will be resolved,
where longing and heartache will find an end,
where Laura will tell Petrarch to put down his pen,
take off those crazy medieval tights,
blow out the lights, and come at last to bed.
Sonett
Wir brauchen bloß vierzehn Zeilen, okay, dreizehn jetzt,
und nach dieser hier gerade ein dutzend noch,
um ein Boot auf die tosenden Meere der Liebe zu setzen,
dann nur noch zehn weitere, übrig wie einige Reihen Bohnen.
Wie leicht das geht, bis du Elizabethanisch wirst
und du meinst, die jambischen Bongos gehören gespielt
und Reime an die Enden der Zeilen positioniert,
einer für jede Station des Kreuzes.
Aber bleib dran, während wir wenden, in Richtung
der letzten sechs, wo alles gelöst wird,
wo Sehnsucht und Herzweh ein Ende finden,
wo Laura Petrarca bittet, den Stift niederzulegen,
diese irren mittelalterlichen Strumpfhosen abzustreifen,
die Kerzen zu löschen und endlich ins Bett zu kommen.