Gedichte. Aus dem Serbischen von Helmut Weinberger
Dieser Gedichtband handelt von "unserem Heimweh nach der Barbarei" (Cioran) und nur zum geringen Teil von unserer Zivilisiertheit. Er wird getragen von einer Poetik des Absurden. Der Mensch ist eingetaucht in die Situation des Orientierungsverlusts innerhalb der humanistischen Werte. Er hat sich zwar eine technologisch hochentwickelte Zivilisation geschaffen, aber er ankert nicht in einem ruhigen Hafen seiner Geschichte. Sich selbst gegenüber stets gleichgültig und endlich, hält der Mensch an der Schönheit des Zweifels fest und schöpft daraus neue Kräfte. Die Poesie steht für die Freude, Illusion und Melancholie dieser ewigen Erneuerung unserer Unvollkommenheit. Denn immer werden wir das sein, was wir nicht sind. Das Dichten als sprachliche Form, die zum Wesen vordringt, ermöglicht das Sprechen über das Dasein, über die Existenz selbst.
Boško Tomaševi?: geb. 1947 in Be?ej (Vojvodina), Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaft, Kunst und Literatur, der New Yorker Akademie für Wissenschaft, der Société des Gens de Lettre de France, des französischen und des österreichischen P.E.N. sowie des österreichischen Schriftstellerverbands, lebt seit 1998 in Innsbruck.
Ins Licht gefragt
von Ulrich M. Schmid
⇒ www.nzz.ch/magazin/buchrezensionen/ins_licht_gefragt_1.11047257.html
Die heimlich wütenden Gedichte des Bosko Tomasevic
Ralf Julke, L-IZ
⇒ www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2011/04/Bosko-Tomasevic-Fruechte-der-Heimsuchung.html
Leseprobe:
IDEM DA TRA´IM SVOJ ´IVOT
dok hodam i tra¸im svoj ¸ivot
po¸elim da nadjem samo onaj
svoj ¸ivot od pre i od nekad davno.
boljeg ne?u na?i od onog koga sam imao
i kakav je bio
mada ga je moje se?anje još ulepšalo
zamaglilo mu jasne okvire
i stavilo ga u bajku.
moj ¸ivot je tada davno bio
raskoš od radosti
praznik sati danâ nedeljâ
godišnjih doba.
ja sam bio sre?an ?ovek
a o sre?i se ne mo¸e dugo i iscrpno
pisati ona je neinteresantna spram
onog što mi je ¸ivot potom doneo rekavši
i ovo je tvoje uze?eš i sa time hodati
je li u redu?
u redu je ka¸em
i hodao sam sve do danas.
ali sre?a ima pam?enje
miluje moje o?i i kosu
još uvek imam majku i oca
ja sam u sredini
s ve?eri u podne u jutro
postoji jedna svetlost ima druga svetlost
barice posle kiše
vazduh stvari
i mirisi i mirisi.
kako da u toj pri?i ne spomenem sneg
me?ave i me?ave i blizu sam svega
blizina je utroba i toplina
i ti ideš kroz taj dan kroz to ve?e
i zašti?en si i ne znaš šta te više ?uva
Bog ti samog sebe u svojoj utrobi
roditelji prolaznici ulica i ku?e
zaštitni?ka hladno?a vejavice praporci
koji kraj tebe su i prolaze prolaze prolaze
dok sa krovova vetar baca sneg i glasovi ljudi
i kre?avost lopata kojima doma?ini ispred svojih
ku?a odbacuju sneg prave?i od njega mala brda.
ve?era u ku?i svetlost sijalice
roditelji i Bog
jednostavnost prisutnosti svega toga
ikona molitva pred spavanje krevet
u kome ?eš sanjariti pre sna i zaspati i sanjati.
prole?a su bila i ¸arka leta su bila
s jeseni su se ptice vra?ale na jug
hladno?a je dolazila postepeno
miris pose?enog drveta za pe? rastao sam
pridru¸ivao sam se velikim pesnicima ?utao
zima i sneg bili su opet blizu.
i tako godinama
vekovima eonima.
taj se ¸ivot istrošio.
idem da tra¸im svoj ¸ivot
ali kuda i gde?
izba?en iz ¸ivota
još u ¸ivotu
s kojim ne znam šta bih
a ipak ga tra¸im
i hodam.
ja sa sobom u vozovima
na univerzitetima u bibliotekama
sa ¸enama u tramvajima
visoke planine koje me okru¸uju šume
prokleto meteorološko vreme
zvukovi glasovi svetlost pogledi
retki poznanici
civilizovano varvarstvo
licemerstva la¸i gadosti
ja sa onima koji mi ne zna?e ništa
ja u novinama u ulozi tu¸ioca gonioca molioca
eti?ara popravljam svet
uklanjam ruine izbegavam ljudske gluposti i taštine
oholosti i hvalisavosti i samo pišem
i pišem i pišem svet ?e biti ugušen
od ovih re?i re?ima u novom kontekstu
u porecima od re?i stilom stihom
jalovoš?u i uzaludnoš?u energijom koja ne dopire
dalje od vazduha koji ju je proizveo
postojim i dalje i pro¸ive?u svoj ¸ivot
sede?eš jednoga popodneva u svojoj bašti
i jesenji vazduh ?e te milovati
prozra?nost i ?istota poznog leta
sa plodovima
ru¸e i hrizanteme
i pozne trave i tvoja deca u punoj ¸ivotnoj snazi
zapo?inju zapo?inju zapo?inju
jesen je i ¸ivot je pun smisla
uskoro ?emo vatru upaliti u pe?i
hladne su ve? ve?eri
ptice prele?u nebo sele se na jug opet
drva za zimu su tu
dolaze sve ?eš?e dani sa tobom
koji ne napuštaš ognjište
u daljini tutnji ¸ivot
tramvaji vozovi zvone telefoni
ljubav je u školjci
pišem i pišem
i ?itavim putem idem samo kroz ¸ivot
i pišem i pišem
i ne vra?am se
i nikad se više ne?u vratiti
niko i nijedan od mene
ne?e me više nikad više
imati.
u svetu koji menja traku
i vu?ji zavija na zvezde
i kao uvek ne kida njih
ve? lomi dušu
svi moji su otišli
sa svojim ¸ivotom
«a ja sam
sveden
na gledanje ptica»
dok je bo¸anski nakot pisanja
još ostao.
Ich gehe mein Leben suchen
während ich gehe und mein Leben suche
wünschte ich nur jenes mein Leben
zu finden von vorher und von einst.
ein besseres werde ich nicht finden als jenes das ich hatte
und so wie es war
obwohl es meine Erinnerung noch verschönerte
die klaren Umrandungen vernebelte
und es zu einem Märchen machte.
mein Leben war damals eine
Ansammlung von Freude
ein Fest von Stunden Tagen Wochen
Jahreszeiten.
ich war ein glücklicher Mensch
doch über das Glück kann man nicht lange und tiefschürfend
schreiben es ist verblasst im Vergleich zu
dem was mir das Leben danach bescherte mit den Worten
auch das gehört dir du wirst es nehmen und damit gehen
in Ordnung?
in Ordnung sage ich
und ich ging bis heute.
aber das Glück hat ein Gedächtnis
es streichelt über meine Augen und mein Haar
ich habe noch immer Vater und Mutter
gehe in ihrer Mitte
am Abend am Mittag am Morgen
es gibt ein Licht es gibt noch ein Licht
Wasserpfützen nach dem Regen
Luft Dinge
und Gerüche über Gerüche.
wie könnte ich in dieser Geschichte den Schnee nicht erwähnen
Schneestürme über Schneestürme und nahe bin ich allem
die Nähe ist ein Schoß und Wärme
und du gehst durch diesen Tag durch diesen Abend
und du bist beschützt und weißt nicht was dich mehr behütet
Gott du dich selbst in deinem Schoß
die Eltern Passanten auf der Straße und Gäste im Haus
die schützende Kälte des Schneegestöbers Glöckchen
die neben dir sind und vorbeigehen vorbei vorbei
während der Wind den Schnee von den Dächern fegt und die Stimmen von Menschen
und die Umtriebigkeit der Schaufeln mit denen die Hausherren den Schnee
vor ihren Häusern zu kleinen Bergen aufhäufen.
Abendessen im Haus Schein der Glühbirne
die Eltern und Gott
Einfachheit der Gegenwart von alledem
die Ikone das Gebet vor dem Schlafengehen das Bett
in dem du vor dem Schlafen in Gedanken versinkst und dann einschläfst und träumst.
Die Frühlinge waren heiß die Sommer auch
im Herbst zogen die Vögel gen Süden
unmerklich kam die Kälte
der Geruch geschnittenen Ofenholzes ich wuchs heran
schloss mich den großen Dichtern an schwieg
Winter und Schnee waren wieder nahe.
und so über Jahre
Jahrhunderte Äonen.
dieses Leben hat sich erschöpft.
ich gehe mein Leben suchen
aber wohin und wo?
vom Leben ausgesetzt
noch im Leben
von dem ich nicht weiß was ich mit ihm soll
trotzdem suche ich es
und gehe.
ich mit mir in Zügen
auf Universitäten in Bibliotheken
mit Frauen in Straßenbahnen
hohe Berge die mich umgeben Wälder
verdammtes Wetter
Geräusche Stimmen Licht Blicke
vereinzelte Bekannte
zivilisierte Barbarei
Heucheleien Lügen Gräuel
ich mit denen die mir nichts bedeuten
ich in den Zeitungen in der Rolle des Anklägers Verfolgers Bittstellers
Ethikers verbessere die Welt
beseitige die Ruinen entziehe mich menschlicher Dummheit und Eitelkeit
Anmaßung und Protzerei und schreibe nur
und schreibe und schreibe die Welt wird noch
ersticken an diesen Wörtern durch Wörter in neuem Kontext
in Zeilen aus Wörtern am Stil am Vers
an der Kargheit und Vergeblichkeit an der Energie die nicht weiter reicht
als die Luft die sie hervorbrachte
ich existiere auch weiter und werde mein Leben leben
du wirst eines Nachmittags in deinem Garten sitzen
und Herbstluft wird dich streicheln
der Spätsommer ist klar und rein
mit seinen Früchten
Rosen und Chrysanthemen
und spätes Gras und deine Kinder voller Saft und Kraft
brechen immer wieder auf zu neuen Gestaden
es ist Herbst und das Leben voller Sinn
bald werden wir im Ofen Feuer machen
kalt sind schon die Abende
Vögel ziehen am Himmel wieder gen Süden
das Holz für den Winter ist da
immer öfter kommen Tage mit dir
an denen du die Feuerstelle nicht verlässt
in der Ferne dröhnt das Leben
Straßenbahnen Eisenbahnen Telefone läuten
die Liebe ist in der Muschel
ich schreibe und schreibe
und auf dem ganzen Weg gehe ich nur durchs Leben
und schreibe und schreibe
und kehre nicht zurück
und werde niemals mehr zurückkehren
niemand und keiner wird mich
jemals mehr haben
als ich.
in einer Welt die sich ständig verändert
und wölfisch nach den Sternen heult
und sie wie immer nicht herunterholt
sondern die Seele zerbirst
sind all die Meinen weggegangen
mit ihrem Leben
„und ich bin auf
das Schauen der Vögel
reduziert“
während die göttliche Brut des Schreibens
noch übrigblieb.