Berlingedichte und Fotografien
Dieses Buch ist keine Hommage an die Hauptstadt. Die Gedichte Esther Mohnwegs benutzen Berlin als Hintergrundkolorierung im Bild menschlicher Existenz. Schauplatz ist das turbulente Treiben des eigenen Ichs, sind die Höhen und Tiefen im Spiel menschlichen Miteinanders. Die Gedichte erzählen von Sehnsüchten, Abschieden, Erkenntnissen und Illusionen, sie huldigen, klagen an – wehmütig, zuweilen heiter – ein authentisches Erleben, das durch die Fotoserie der Autorin unterstützt wird, und ein tiefer Einblick in das, was den Menschen bewegt, wenn der Horizont nicht mehr zu sehen ist.
Esther Mohnweg: geb. 1964 in München, lebt in Berlin, Studium Linguistik/Philosophie, anschließend Tätigkeiten an Fließbändern und Kaufhauskassen, sowie im Buchhandel.
Berlingedichte von Esther Mohnweg
Ralf Julke, L-IZ
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www.l-iz.de/Bildung/B%FCcher/2011/12/Zuerst-versinkt-der-Horizont-Esther-Mohnweg-40160.html
Leseprobe:
den leeren Sessel neben mir
benutzte ich als Blumentopf
und goß eine Kanne Wasser darüber
ich streute Samen auf den Samt
so werden Wurzeln im Stoff versinken
das Grün nicht mehr wegzubekommen sein
hüten kann ich dann was wächst
nicht gefeit ist dagegen
das Gerede der Stadt
Beckett sagt er Geburt des Absurden
Endzeitstimmung Reduktion
er glaubt wir verstünden uns das
Flußbett seiner Eloquenz
rauscht von Sekundärem
im Nieselregen sage ich
die Arucarie
Beckett sprang vom Fenster da hinein
um zu fliegen
und Mama zu schrecken
er bleibt ernst
die Schnittmenge aus ihm und mir
paßt unter meine Fingerkuppe leicht
zu zerquetschen
auf dieser Insel gestrandet zu sein
gibt keiner gerne zu
man tut groß und im Ganzen
angekommen als Kenner
Berlin das Chamäleon paßt
seine Haut nur den eigenen Launen an
ergreift nicht
so hofft man
beim täglichen Fluchtversuch
das fing so an wie
nichts beginnt was zu denken
Anlaß gäbe
die Wohnung hatte er von einem Freund
für drei Monate auch
der Freund lebte ohne Dinge
kleine Rätsel auf Papier
lagen um das Bett verstreut
das genügte mir
ich nahm mir heraus was
er unter der Haut besaß
das zog wie Zigarettenrauch wohin
für den Moment genügte auch ich
als Päckchen ohne Schleife
nichts war zu feiern niemand
wurde geboren
ich sehe Kinder die
meine sein könnten
vor dem Fenster im Sand untergehen
und bin froh um meine Fremdheit
Statistik sagt die
Hälfte sei allein
in dieser Rummelplatzstadt
ich denke an deine Bilder und
daran daß ein blinder Fleck in mir
seitdem unberührbar ist