Junge deutschsprachige Lyrik
Die vorliegende Anthologie nähert sich dem zeitgenössischen Gedicht in Form einer Dreiteilung: 28 Dichterinnen und Dichter aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol werden zunächst mit einführenden Kurzessays vorgestellt. Für diese Beiträge konnten Autoren wie Brigitte Oleschinski, Kurt Drawert, Jan Wagner, Björn Kuhligk, Ron Winkler, Hendrik Jackson und Helwig Brunner gewonnen werden, die in der Vergangenheit selbst als Herausgeber und Multiplikatoren in der Lyrikszene hervorgetreten sind. Diesen wurde zugleich das Recht für die Auswahl der vorzustellenden Dichter eingeräumt. Jeder der in der Anthologie enthaltenen Dichter stellt sich mit neuesten Gedichten vor. Den Gedichten nachgestellt ist jeweils ein poetologischer Text des Dichters. Auf diese Art ist eine reiche Sammlung von Texten entstanden, die es dem Leser ermöglicht, das weite Feld der neuesten deutschsprachigen Lyrik zu überschauen und zugleich einen Einblick in die Beweggründe und Arbeitsweisen heute schreibender Dichter zu nehmen.
Beiträge von ADRIAN KASNITZ, ANJA UTLER, BEATRIX HAUSTEIN, Björn Kuhligk, Brigitte Oleschinski, CHristian filips, CHRISTIAN LEHNERT, Christian Teissl, CRAUSS., DAN FALBEIL, DANIEL FALB, DOROTHEA GRÜNZWEIG, HAUKE HÜCKSTÄDT, Helwig Brunner, Hendrik JacksonHENDRIK ROST, HERBERT HINDRINGER, Jan Wagner, Jayne-Ann Igel, Kurt Drawert, LISA ELSÄSSER, LUTZ SEILER, MARCUS POETTLER, MARCUS ROLOFF, MONIKA RINCK, Nora Bossong, RENÉ HAMANN, Ron Winkler, SEPP MALL, SILKE SCHEUERMANN, SONJA HARTER, STEFFEN POPP, TOM SCHULZ, UDO GRASHOFF, ULF STOLTERFOHT, ULJANA WOLF, ULRIKE ALMUT SANDIG
Axel Helbig: geb. 1955 in Freital, Mitherausgeber der Zeitschrift für Literatur und Kunst OSTRAGEHEGE, lebt in Dresden, 2024 Bundesverdienstorden
"Es ist das Leben selbst, das sich in den Versen ausspricht. Unterschiedlich intensiv, mit durchaus verschiedenem Gestus. Aber ernst gemeint." Ralf Julke
"Zeugnisse für Konzentration und Leichtigkeit, die sich am Zungen- und Begriffsgrund formen und über die das große Getümmel des Buchmarktes ohne langes Verweilen hinweg steigt." Peter Gehrisch
„Für Entdecker und Entdeckungen ist Skeptische Zärtlichkeit geradezu ein Fund.“ Bernd Heimberger
Die Lyrik geht ihren ureigenen Weg
Peter Gehrisch, Dresdner Neueste Nachrichten
Mit „Skeptische Zärtlichkeit. Junge deutschsprachige Lyrik“ legen Ulf Großmann und Axel Helbig als Herausgeber (gleichzeitig auch Redakteure der Zeitschrift für Literatur und Kunst, OSTRAGEHEGE) einen Band vor, der an einen Versuch anknüpft, die aktuelle Lyrikszene zu beleuchten. Es handelt sich um Kurt Drawerts Sammlung „Lagebesprechung“, einen kleinen, vor acht Jahren bei Suhrkamp erschienenen Band. Beide, Drawerts wie die neue im Leipziger Literaturverlag edierte Publikation: ein Unterfangen, mutig gegen den Mainstream gestellt. Denn: Wie im Vorwort zum 29 Beispiele umfassenden Material vermerkt, besteht eine Diskrepanz in der großen Zahl von ernsthaft um eigene Lyrik bemühter Autoren (sie belaufe sich auf ca. 50 000) und den ca. 500 Lesern, die einen Lyrikband käuflich tatsächlich erwerben, und zwar auch nur den besten eines betreffenden Jahrgangs. Die durchaus ironisch angelegte Nützlichkeitsthese kennzeichnet die Außenseiter-Situation von Poesie in gleichem Maße: „… neben den Literaturforschern dürften zumindest noch die Verhaltensforscher und Soziologen ihr Brot mit der Lyrik verdienen können.“ – Folgerichtig: das Motto zur vorliegen-den Publikation: „Den unentwegten Lesern deutscher Lyrik“.
In Deutschland führt Lyrik ein Dasein im Schatten des heiß umkämpften Nimbus um den Bestseller-Platz, der in aller Regel Romanen und Mono-graphien zukommt. Wie der im neuen Band vertretene Udo Grashoff sagt, ist Poesie „etwas, das ich nicht definieren kann“, ganz im Sinne Gerhart Falkners, der das Phänomen wie folgt expliziert: „Wir wissen nichts vom Gedicht.“ Denn es ist mit der ureigenen Erfahrungswelt eines Ichs verbunden. Mit seinem poetischen Text legt es doch nur immer ei-nen Blitz seiner Innenschau frei.
So sind es neben Kurt Drawert einige Kennerinnen und Kenner der Szene, die die junge deutschsprachige Lyrik in den Fokus der Betrachtung (Autorinnen und Autoren mit dem Geburtsjahr von 1951 bis 1983) rücken: Brigitte Oleschinski, Jan Wagner, Björn Kuhligk, Ron Winkler, Hen-drik Jackson und Helwig Brunner, zumeist selbst ausgewiesene Dichter. Eröffnet wird der Zyklus mit dem Beispiel Dorothea Grünzweigs. Eine gute Entscheidung. Interessanterweise ist diese Autorin neben dem deutschen auch mit dem finnischen Thema befasst. Ihr Devise: „Früher gab es zwei Sprachen. Die Allerweltssprache – und die heilige Sprache. Die Allerweltssprache … war vielfältig, würzig, Übermut auslösend und fasslich. … Die Worte der heiligen Sprache waren Berge“. Mit Grünzweig wird der Leitgedanke von sacrum und profanum in die Debatte geworfen. Eine Größe, um die man sich sicher in Zukunft stärker zu kümmern hat. Denn in diesem Bezirk wohnen die Lebensgeister, die – letztlich – zu den verborgenen, indessen tatsächlich wichtigen Boten zählen. Zu studieren sind nun die Texte junger Begabungen, ob nun als kassiberhafte fachsprachen Ulf Stolterfohts oder als Gedichte „im Unterschied zu allem bisher Produzierten“, wie René Hamann es apostrophiert. Mit Marcus Poettler sind es Verse, orientiert am Vogelsang, mit Uljana Wolff sagen sie, „was ich nicht zu sagen habe …, was nicht ich zu sagen ha-be“. Nora Bossong spricht von einer Hilfskonstruktion, „die das Ich davor bewahrt, in sich zusammen zu stürzen“. Am Ende nimmt sich Ron Winkler der Autorin Sonja Harter an. Mit dem Blick auf die Art ihres Dichtens, benennt er, was gleichsam für alle gilt: „… kühle, menagerie, manege / der möglichkeit auf mindestens / etwas // das kurze aufleuchten, aufflüstern / von präsenz“ („Über mit S. H.“).
Die Lyrik geht ihren ureigenen Weg. Mit den Worten von Jayne-Ann Igel in der Nachbemerkung: „… endgültig vorbei scheint die Zeit klarer und chronologisch sich fortschreibender Traditionslinien und Anknüpfungspunkte.“ Insgesamt trifft der Leser auf Texte, die einen gewichtigen Teil der Situation demonstrieren, auf das Myzel eines Ingeniums, das form- und sinnbildend wirkt, Zeugnisse für Konzentration und Leichtigkeit, die sich am Zungen- und Begriffsgrund formen und über die das große Getümmel des Buchmarktes ohne langes Verweilen hinweg steigt. Insofern gebührt den Editoren Anerkennung und Dank.
Absichtsvolle Annäherung
von Bernd Heimberger, Neues Deutschland
Sowas ist in keinem Eingangsbereich keiner Großbuchhandlung zu finden. Sowas kommt selten in eine Buchhandlung. Sowas ist das, was sich renommierte Verlage generell vom Halse halten. Sowas ist vor allem Sache der kleinen und kleinsten Verlage: Sowas wie „Skeptische Zärtlichkeit.“ Ein Buch, das Ulf Großmann und Axel Helbig herausgegeben haben und eine Vers-Sammlung ist, die „Junge deutschsprachige Lyrik“ vereint. Mit dem wohlmeinenden Anspruch junge deutsche Lyrik unter die Leute zu bringen, halten auch andere Lyrik-Editionen des Jahres Ausschau. Wem da vertrauen? Wem da was abnehmen?
„Skeptische Zärtlichkeit“ ist im Leipziger Literaturverlag erschienen. Der Verlag versteht sich als Vertreter und somit Verteidiger der Versliteratur. Die neue Ausgabe ist der 33 Band der Reihe „neue Lyrik“, die mit ihrer Vermehrung mehr und mehr ein Ort der Entdeckungen wird. Für Entdecker und Entdeckungen ist „Skeptische Zärtlichkeit“ geradezu ein Fund. Die Herausgeber widmen ihre Publikation „Den unentwegten Lesern deutscher Lyrik“. Das ist ambitioniert, überaus ambitioniert und unterscheidet sich nicht von den Ambitionen Anderer. Inwiefern ist die Widmung wirklich gerechtfertigt? Ist sie das?
Die Herausgeber haben sich zu einem dualistischen Publikationsprinzip durchgerungen. Mehr oder weniger bekannte Poeten sprechen über die Poesie meist wenig bekannter Lyriker. Also gibt’s was von Kurt Drawert über Sepp Mall und etwas von Sepp Mall zu lesen. Also etwas von Brigitte Oleschinski über Monika Rinck und etwas von Monika Rinck. Also etwas von Jan Wagner über Steffen Popp und etwas von Steffen Popp. Also etwas von Ron Winkler über Sonja Harter und etwas von Sonja Harter. Es ist klar, wer da auf wen aufmerksam macht, wer wen mitzieht. Die Essayisten strengen sich an, ihre Handreichung zu einer hilfreichen Handreichung zu machen. Wie das aber schaffen und zugleich ein Helfender und Zurückhaltender zu sein? Ehrgeiz und Eitelkeit der Essayisten sind nicht immer im Einklang. So vorrangig die Hilfestellung ist, so wenig Zurückhaltung gibt es gelegentlich in dem Eifer, sich selbst einen Kranz als Essayist zu flechten. Das erinnert an jene Professoren, die im Seminar nicht das Thema gelten lassen, sondern ihren Ehrgeiz, sich zum Thema zu äußern. Wie da ein vorsichtiger, verständnisvoller, verständnisgebender Vermittler sein und bleiben? Ein Vermittler, der sehr wohl weiß, daß Lyrik ohnehin immer ein literarisches Experiment ist. Nicht nur, wenn Lyrik Experimentelle Lyrik ist.
Die Texte sind dann hilfreich und gut, wenn ihre Verfasser sich selbst nicht als Mittelpunkt sehen. Die Lyriker und die Leser sind der Mittelpunkt. Und der Tatsache ist schwer gerecht zu werden, weil das die doppelte Verantwortung der Vermittler ist, also etwas Anstrengendes. Mancher Text ist in manchen Passagen nur anstrengend. Schlimm wär´s, darunter litten die Lyriker, für die zuerst diese ungewöhnliche Lyrik-Edition da ist.
Alles, was man sofort denkt und sagen möchte, wenn eine Publikation wie „Skeptische Zärtlichkeit“ vor Augen kommt, sagt Jayne-Ann Igel im Nachwort. Am besten mit dem das Buch anfangen, wenn man es aufschlägt.
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