Als Zermaa aufwachte, räkelte sie sich noch einmal behaglich, um den letzten Rest Müdigkeit zu vertreiben, dann streichelte sie den gelben Lichtstrahl. Jedes Mal, wenn sie das tat, glaubte sie in ihrer Handfläche ein warmes Kribbeln zu spüren. Das gelbe Licht! Sie konnte sich nicht erinnern, wann das eigentlich angefangen hatte, seit wann dieser helle runde Fleck, der nicht größer war als der Fuß einer Teeschale, ihr folgte, wann er ihr Gefährte geworden war in dieser Einsamkeit, wo sogar die Golios und die Heuschrecken mit ihrem Gezirp ihr wie Unglücksboten vorkamen. Sie wusste weder, woher er kam, noch, was es mit ihm auf sich hatte. Irgendwie glaubte sie, dass es der Schein eines der Millionen Sterne sein könnte, die sie durch das Rauchloch der Jurte sah, doch von dieser Vermutung oder überhaupt von diesem Licht –? ihrem Licht –? mochte sie niemandem erzählen. Jedenfalls, das hatte sie inzwischen begriffen, konnte es sich um kein gewöhnliches Licht handeln, denn es wich weder am Tag noch in der Nacht von ihrer Seite. Jetzt musste sie schmunzeln, denn ihr war eingefallen, wie ihre Freundin Sewdshidmaa vorgestern extra deswegen zu ihr auf die Schafweide gekommen war…
Sie hatte gesagt: „Die Leute behaupten neuerdings, du wärst eine Dämonin. Die Herrin des gelben Lichts. Deine Schafe laufen in einem großen gelben Lichtkreis herum, sagen sie, und du in einem kleinen.“ Dann war sie erschrocken zusammengezuckt und hatte sich ängstlich umgesehen. Zermaa konnte sich gleich denken, von wem dieses Gerede stammte. Sie druckste ein bisschen herum, dann fragte sie lächelnd:
„Und du? Was glaubst du?“
„Keine Ahnung. Ich ... ich denke, das kann doch nicht wahr sein.“
„Na, dann wird es auch nicht wahr sein“, sagte Zermaa beruhigend. Doch dann packte sie plötzlich der Übermut, und sie schrie: „Auaah!! Du kniest ja auf meinem Licht!“ Da sprang Sewdshidmaa auf die Beine, und weg war sie, ohne sich noch einmal umzusehen…
Die Sterne, die durch das Rauchloch schienen, hatten noch nichts von ihrem Glanz verloren. Bis es dämmerte, war also noch Zeit. Jetzt glaubte Zermaa zu spüren, wie dieses gelbe Licht von unten her ganz sacht gegen ihre Handfläche pochte. Seltsam war das schon. Es übernachtete direkt neben ihr. Als ob da ein Mensch schlief. Tagsüber huschte es an ihr hin und her wie ein von einem Spiegel reflektierter Sonnenstrahl. Sie spürte, wie es auf ihren Wangen kribbelte, auf den Schultern und sogar zwischen den Schulterblättern.
Erstaunlich war auch, dass niemand außer ihr etwas davon bemerkte. Nur Badsar hatte anscheinend etwas mitbekommen. Vor einem Monat war das. Und nun tratschte er herum und erzählte solche Sachen. Das mit Sewdshidmaa war ja der Beweis.
Es musste ungefähr zwei Jahre her sein, dass die jungen Burschen angefangen hatten, Zermaa zur Kenntnis zu nehmen. Sie war höchstens fünfzehn damals. Wenn sie Schafe hütete, kamen sie auf ihren Pferden angejagt. Manche waren besonders aufdringlich und verfolgten sie bis zum Brunnen. Was sie wollten, war immer das gleiche. Unterschiedlich war nur, wie sie es zu erkennen gaben. Einige hatten überhaupt keine Hemmungen. Da war mal einer, der sagte ihr direkt ins Gesicht: „Na, Schwarzauge, wie steht’s? Heute könntest du mir mal eine Freude machen. Was meinst du? Wenn ich dir den Deel aufknöpfen dürfte … Wir könnten eine Menge Spaß haben.“
Manche taten, als wollten sie ihr nur ein Geständnis entlocken und nichts weiter. „Willst du behaupten, dass du’s noch nie gemacht hast? Gib’s ruhig zu, mal ehrlich! Mir kannst du’s ruhig sagen, ich erzähl es nicht weiter. Na, sag schon!“
Wenn Zermaa aber merkte, dass einer zittrige Hände bekam und drauf und dran war, seinen Führzügel loszulassen, wurde ihr die Sache mulmig, und sie ritt vorsichtshalber auf die andere Seite ihrer Herde. Ein Instinkt sagte ihr, dass dies die eigentlich Gefährlichen seien. Es kam aber auch vor, dass ihr einer half, die Schafe zu tränken und dabei kein einziges Mal den Mund auftat, ein Weilchen neben ihr sitzen blieb, ein bisschen seufzte und wieder verschwand. Auch solche gab es.
Dann war Badsar aufgetaucht. Er stieg aus dem Sattel und koppelte seinem Pferd die Vorderfüße. Da war nichts von Händezittern und so. Er saß nur da und redete belangloses Zeug: von Schafen, von guten Weideplätzen und wie saftig das Gras sei. Plötzlich aber packte er ihren Arm, zog sie mit einem Ruck zu sich heran und warf sich über sie.
„Älterer Bruder Badsar, was machen Sie ...“ schrie sie auf.
„Du wirst gleich merken, was der ältere Bruder macht.“
„Sie sind gemein!“
„Ts, ts, ts! Natürlich! Die Frauen mögen mich nicht besonders, das ist mir nicht neu.“ Kurzerhand schob er ihr den Deel hoch. Sie strampelte verzweifelt, zerrte ihn an den Haaren, zerkratzte ihm Hals und Mund, doch es half nichts. Er fesselte sie einfach, indem er ihr die langen Ärmel über die Hände zog und unter ihren Rücken stopfte.
„Älterer Bruder Badsar, hören Sie doch auf! Ich bin eine Waise … Mich wird keiner mehr haben wollen ... Haben Sie doch Mitleid! Bitte ...“
„Na und? Wenn dich keiner mehr will, umso besser für dich, und für mich auch. Stell dich nicht so an! Wir können ja heiraten. Ich bin vielleicht ein Ekel, aber auch ein guter Ringer. Im Sum bin ich immerhin Falke . Ich lasse dich schon nicht im Stich, niemals.“ So näherte sich Badsar langsam aber sicher dem Ziel seiner Wünsche. Zu allem Unglück kam Zermaa mit dem Hintern auf einem spitzen Stein zu liegen. Vor Schmerz schrie sie auf, und vor Wut darüber, dass sie diesen Kerl trotz Aufbietung aller Kräfte nicht vom Fleck bewegen konnte, fing sie an zu weinen.
Schnaufend ruckte und zerrte Badsar an dem zerknüllten Deel unter ihrem Rücken, um ihn glatt zu bekommen. „Verdammt nochmal!“ Dann wischte er ihr mit den Fingerkuppen die Tränen ab. „Was heulst du? Hab dich nicht so! In deinem Alter! Das ist doch menschlich!"