Gedichte. Zweisprachig
Aus dem Serbischen von Mirjana & Klaus Wittmann
Mit schockierender Direktheit artikuliert Radmila Lazic Dinge, über die man gewöhnlich schweigt, und gilt als "die einzige Katze in der serbischen Poesie, die kratzen kann". Unerschrocken nennt sie die Dinge beim Namen, schwimmt gegen den Strom und bricht Tabus, wobei sie sich nicht scheut, im patriarchalischen Serbien über die Wünsche, Bedürfnisse und Begierden der Frauen zu sprechen. Es ist ein völlig neuer Ton, den Radmila Lazic in die Lyrik einbringt, zumal diese Gedichte eine direkte, alltägliche und dennoch poetische Sprache sprechen. International bekannt wurde die serbische Dichterin Radmila Lazic dank der Übersetzung durch Charles Simic. Die vorliegende Ausgabe stellt sie nun erstmals den deutschsprachigen Lesern vor.
Radmila Lazic: geb. 1949 in Krusevac, Mitglied im serbischen P.E.N., veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände und erhielt in Serbien renommierte Literaturpreise, lebt in Belgrad.
Mirjana Wittmann: geb. 1938 in Sarajewo, wuchs in Belgrad auf, 1956 Übersiedlung nach Deutschland, Studium in Heidelberg, Tätigkeit für die Deutsche Welle, seit 1997 Übersetzerin und Journalistin, lebte mit ihrem Mann, dem 2023 verstorbenen Übersetzer Klaus Wittmann, in Bonn. Mirjana Wittman übersetzte in Zusammenarbeit mit Klaus Wittmann erzählende Werke, Theaterstücke und Hörspiele aus dem Serbischen, Kroatischen und Bosnischen ins Deutsche. 2006 erhielten beide für ihre Übersetzung von David Albaharis Mutterland den Brücke Berlin Literatur- und Übersetzerpreis, 2011 in Anerkennung ihres Lebenswerkes den Paul-Celan-Preis.
Rückkehr
Waren wir wirklich hier?
Diese Spuren –
Wer hat sie hinterlassen
Auf unserer Türschwelle?
Diese Landschaft –
Wer hat sie betrachtet
Aus unserem Fenster?
Diese Lampe –
Wem hat sie geleuchtet
Nacht für Nacht?
Und diese Tür –
Wer ist durch sie in unseren Traum getreten?
Waren wir wirklich hier,
Wenn wir weggehen konnten.
Persönliche Gebote
1. Seufze und weine nicht beim Lesen von Gedichten.
2. Warte nicht auf schlechte Nachrichten noch auf versprochene Freuden.
3. Schaue aus dir hinaus wie aus vielen Fenstern.
4. Deute nicht, beschreibe.
5. Verwahre ordentlich Erfahrungen, Erinnerungen, Verstorbene.
6. Entferne Schutzmasken und auch Verbände von Dingen, Worten und Lebewesen.
7. Verschließe nicht dein Kästchen – das Herz.
8. Steig aus der Badewanne, zeig deinen Körper – die Sprache.
9. Lege dein Inneres auf den OP-Tisch.
10. Gieße Tag und Nacht die zarte Pflanze – dich.
Psalm
Gesegnet sei die Waschmaschine, der Geschirrspüler ...
Und andere Haushaltsgeräte, sofern sie funktionieren.
Die Wasserleitung und die Kanalisation. Der regelmäßige Stuhlgang.
Gesegnet seien der Regen und der Wind,
Die städtischen Verkehrsmittel und die Frau Sauberkeit,
Die Handwerker, die Taxifahrer, die Kaufleute. Das Geld.
Die öffentlichen Badeanstalten und die Volksküchen.
Die Gärtner und die Heiler meiner Reize. Die Totengräber.
Gesegnet sei alles, was dient
Dem Mund, dem Fuß, der Hand. Der Erde.
Kaputte Telefone seien gesegnet,
Verlegte Adressen, wiedergefundene Regenschirme.
Die einstigen Freunde und die heutigen
Feinde. Die Schuldner und die Schächer. Und auch du,
Mein Geliebter, meine Eurydike.
Gesegnet seien die Sportarten,
Für die ich ohne Talent,
Die Gesellschaftsspiele, für die ich zu dumm.
Gesegnet die ungezähmten Tiere,
Die entflohenen Vögel, die verwaisten Käfige
Und auch du, mein Herz, du ausverkaufter Laden.
Gesegnet die Armut und die Entbehrung,
Die ihr mir eure Minuten und Stunden geschenkt,
Dank denen ich träumen kann und wahrsagen
Wie eine Zigeunerin auf der Landstraße,
Mich für jedes Wort verbürgend mit meinen ganzen 56 Kilo
Fleisch und Knochen.
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