Zur Anatomie und Morphologie
Die Interpretation der Natur durch die Kunst ist im Gegensatz zur Wissenschaft kein objektiv analytischer Prozess und verläuft dementsprechend weniger gradlinig. Das Wissen um anatomische Form- und Funktionszusammenhänge kann einen Einstieg in die faszinierende Formenwelt der lebendigen Gestalt sein und Impuls und Anregung für das eigene bildkünstlerische Schaffen geben. Dabei zeigt sich, dass organische Formbildung und künstlerische Formfindung wesensverwandt sind, oder sich zumindest sehr nahe stehen. In den vielfältigen Vorgänge der Morphogenese widerspiegelt sich etwas Exemplarisches, das sich den Schematas von Figürlich und Nichtfigürlich, Gegenständlich und Abstrakt entzieht. Das Wirkungsfeld der „Künstleranatomie“ geht weit über die Proportionslehre und das Aktzeichnen hinaus und kann unabhängig vom künstlerischen Medium neue Einsichten in scheinbar Vertrautes bieten. (Ingo Garschke)
"Verfolgen wir die Entwicklungen der letzten fünfzehn Jahre, erhellt sich im Zuge technischer Errungenschaften das Bild, daß der menschliche Körper und seine Umgebung eine gewisse Synthetisierung erfährt. Der Blick des Künstlers Ingo Garschke ist nicht geblendet von Neugier auf der Suche nach ‘Schockerlebnissen’, sondern konzentriert auf gestaltbildende Zusammenhänge, die in ihrem Begreifen seine bildnerischen Umsetzungen bestimmen. Hatten sich im 19. Jahrhundert die künstlerischen und wissenschaftlichen Kategorien über den Körper getrennt, fügt sie Ingo Garschke in seinen Arbeiten wieder zusammen. Denn entgegen jener am Thema der Anatomie orientierten und auf Schockerlebnisse reduzierten Arbeiten - wie die von dem in London lebenden Künstler John Isaac, der seinen Körper anatomisch genau in Nachbildung als Leiche zeigt, oder des Berliner Künstlers Micha Brendel, der Körperteile zu Dekorationselementen funktionalisiert und selbst der Heidelberger Anatom Gunther von Hagen, der seine Plastinate im Totentanz vereint - bewältigt der Künstler Ingo Garschke in seinen anatomischen Studien morphologische Zusammenhänge auf künstlerischer Ebene. Hier muß von einer Neuerung gesprochen werden: Der Künstler bewältigt exemplarisch am Tier eine inhaltliche und künstlerische Auseinandersetzung, die in ihrem Ursprung immer noch tierspezifisch bleibt." (Sandra Mühlenberendt)
"Die Anatomie ist sein Schlüssel zum Verständnis der vielfältigen Naturformen - doch ist dieser nicht maßgeblich, eher Ausgangspunkt im künstlerischen Formfindungsprozess. Die Zeichnungen begnügen sich nicht, ein Stück der Natur wiederzugeben, vielmehr agieren sie als Instrument zur Aneignung der Welt. " Dr. Sandra Mühlenberend (Wissenschaftliche Mitarbeiterin Sammlung Deutsches Hygienemuseum Dresden)
Ingo Garschke (1965 - 2010):
1965 geboren in Saalfeld/Thüringen
1987—1992 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und an der Akademie der Bildenden Künste München
1991 Förderpreis des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
1992 Diplom als Bildhauer an der Hochschule für Bildende Künste Dresden
Gründung des Kunsthauses und der Produzentengalerie Pratschwitz
1992—1998 als freischaffender Bildhauer in Dresden tätig
1995 Alpenüberquerung mit dem Maler Henry Puchert, seitdem Beschäftigung mit Landschaftszeichnung
1996—1997 Arbeit in der Anatomischen Sammlung der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Studien zur Morphologie der Säugetiere und Vögel
1998 Berufung an die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig als Dozent für Anatomie und figürliches Zeichnen
1999 Herstellung zahlreicher Skelettpräparate und bildkünstlerische Arbeit zum Tierskelett
2002 Bergung und Skelettpräparation eines gestrandeten Pottwals
2004 Professur für Künstlerische Anatomie und Zeichnerisches Naturstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
2007 Antarktisexpedition nach South Georgia
2008 Arktisreise nach Spitzbergen
Weiterführende Informationen zum Künstler:
ingogarschke.de