enthält außer der deutschen Übersetzung den Originaltext der altchinesischen Standardausgabe, die Pinyin-Lautumschrift, ein vollständiges Glossar mit Konkordanz zum Buch Laozi sowie zahlreiche Anmerkungen und Kommentare.
900 Seiten, 2. verbesserte Auflage
eBook im zitierfähigen PDF-Format
„Warum überhaupt eine weitere Übertragung und weitere Deutung von Zhuang Zi?“ fragt der Bonner Sinologe und Übersetzer Wolfgang Kubin (2013, S. 8) in der Einleitung zu seiner bei Herder erschienenen Textauswahl. Hat sich die Diskussion um diesen altchinesischen Klassiker nicht erschöpft? Kann die deutschsprachige Sinologie auf diesem – wie es scheint – abgegrasten Feld überhaupt noch etwas beitragen? Nach den berühmten Aphorismen von Laozi zählt das Buch Zhuangzi als wichtigste Quelle des altchinesischen Daoismus. Es geht Zhuangzi nicht um Ratschläge an die Herrschenden, er buhlt nicht um deren Gunst, im Gegenteil, Philosophen, die im Wetteifer um eine Stelle oder ein Stipendium aus ihrer Verwirrtheit originelle Theorien und Konzepte zaubern, erscheinen ihm verrückt oder lächerlich. Er überzieht sie mit feinem Spott, um auf das Eigentliche zurückzulenken, das Einfache, das eigentlich keiner Hinlenkung bedarf: die Freiheit, nichts Besonderes zu tun, die Freiheit, sich selbst zu folgen, die Freiheit, mit der Natur zu leben.
Das Buch Zhuangzi gilt als die "Bibel des Daoismus": allegorischer, gleichnishafter Stil, schillernde Erzählprosa, auf die philosophische Spitze getriebene Dialoge. Martin Buber, Hermann Hesse, Martin Heidegger – um nur einige zu nennen – öffneten ihre philosophischen Systeme und ihr literarisches Schreiben diesem anspruchsvollsten Autor des alten China. Trotz seines ehrwürdigen Alters und dank seiner „Häutungen“ in über 500 Kommentaren ist dieses Buch von erstaunlicher, auch den Westen betreffender Aktualität – als hätte die Suche nach einer Kapitalismusalternative bereits vor 2300 Jahren begonnen ...
„Von allen bedeutenden Werken des alten China nährt das Buch Zhuangzi den Geist auf die faszinierendste, poetischste und vielfältigste Weise.“ Liu Xiaogan
Im deutschen Sprachraum existierte bis heute keine vollständige Übersetzung des Zhuangzi aus dem Chinesischen. Die Rezeption hierzulande wurde von der Ausgabe Richard Wilhelms aus dem Jahr 1912 dominiert, die den textus receptus nach Guo Xiang (gest. 312) um etwa ein Drittel gekürzt wiedergibt und neu gliedert. Wilhelms übersetzerische Pionierleistung wird darüberhinaus durch seine spezifische Lesart geschmälert, an schwierigen oder unklaren Stellen christliche Namen und Begriffe in den altchinesischen Text einzusetzen.
Eine zweite deutschprachige Ausgabe des Zhuangzi (Schuhmacher, 2008) fußt auf der Übersetzung der englischsprachigen Ausgabe von Victor H. Mair (1994) und entstand ohne Zugang zur chinesischen Vorlage. Sie führt den Leser an zahlreichen Stellen in die Irre. Der Diskurs über daoistische Ideen, der auch im Westen seit den 1920er Jahren eine Belebung erfahren hat, stützt sich im deutschsprachigen Raum daher bislang auf eine völlig unzureichende Textgrundlage.
Diese Lücke wird durch die hier vorgelegte, zweisprachige Ausgabe geschlossen. Innerhalb eines siebenjährigen Editionsprojektes wurden zunächst zwei Interlinearfassungen aus der chinesischen Vorlage erarbeitet, im ersten Schritt Zeichen für Zeichen, im zweiten Satz für Satz. Abschließend wurde der Fokus auf die poetische und literarische Qualität der Wiedergabe der Metaphern, Geschichten und Dialoge im Zhuangzi gerichtet, um eine in der deutschen Sprache stimmige Übertragung bewerkstelligen zu können.
Begleitend zur Übersetzung wurde ein Glossar angelegt, das nicht nur die Kernbegriffe, sondern alle im Zhuangzi und im Laozi vorkommenden Zeichen umfaßt. Auf diese Weise tritt nicht nur die semantische Vielfalt der Verwendung der chinesischen Zeichen in verschiedenen Teilen des Zhuangzi systematisch hervor. Es ermöglicht einen vollständigen Wortschatzvergleich zwischen den Büchern Laozi und Zhuangzi.
In die Übersetzung eingeflossen ist außerdem die Lektüre führender englischsprachiger Übersetzungen sowie klassischer Kommentare zum Zhuangzi. Im Ergebnis ist eine zweisprachige, hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit überprüfbare Referenzausgabe entstanden, die dem deutschsprachigen Publikum Anschluß an die lebhafte internationale, vor allem amerikanisch-chinesische Diskussion zum Daoismus verschafft und als Textgrundlage für weitere Forschungen dienen kann.
Viktor Kalinke: geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Promotion, Professur, lebt in Leipzig, übersetzte und kommentierte das Daodejing von Laozi.
„Die Übersetzung des Gesamtwerkes von Viktor Kalinke halte ich für die beste im Deutschen.“ Gerd Scobel, Vom Koch und dem Nichtstun | Zhuangzis Philosophie, 3sat, 11.5.2023 "Ich lese und arbeite seit fast drei Jahren täglich mit dieser wunderbaren Übersetzung des Zhuangzi. Ich kenne auch alleanderen gängigen deutschen Übersetzungen des Zhuangzi. Diese ist für mich stilistisch die eleganteste und passt sehr gut zu dem poetischen Grundton des altchinesischen Denkers." Michael Wittschier, 3.5.2023 "Ich bin großer Fan von Zhuangzi und habe natürlich diese Ausgabe. Vielen Dank für dieses großartiges Werk. Vorweg: weil man doch, wie ich selber weiß, viel zu selten Rückmeldung bekommt, und dieses Buch ist wirklich toll." Hendrik Jackson, 2.5.2023"Das Buch Zhuangzi ist eine Art Bibel des chinesischen Daoismus. Es beeinflusste westliche Intellektuelle, etwa Hermann Hesse und Martin Buber. Das Freiheitsverständnis war schon im 4. Jahrhundert vor Christus provokant – und ist es heute erst recht, wie eine neue Übersetzung zeigt." Levent Aktoprak, Deutschlandfunk am 13.8.2020
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"So philologisch genau und zugleich flüssig, unbelastet von esoterischem Jargon, war das ›Zhuangzi‹ bislang nicht auf Deutsch zu lesen. Ein Buch der Stunde!" Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.04.2020
"Das legendäre Buch ›Zhuangzi‹, das philosophischste (und anarchischste) unter den chinesischen Weisheitsbüchern liegt jetzt in einer neuen und erstmalig das gesamte Buch umfassenden Übersetzung vor. Vivat Reclam!" Dr. Otto Kallscheuer, Mitglied der Jury für die Bestenliste Sachbücher des Monats der Literarischen Welt, des WDR 5, der NZZ und Österreich 1
"In einem sieben Jahre währenden Marathon hat Viktor Kalinke das Werk auf fast 900 Seiten eingeleitet, in ein zeitgemäß präzises Deutsch gebracht und kommentiert. Und siehe da: Richard Wilhelms Patina ist weg. Auch des Chinesischen Unkundige bekommen so eine Ahnung." Gregor Dotzauer, Tagesspiegel vom 5.1.2018
"Kalinke hat so vielfältiges Material zusammen getragen, das der ernsthaft Interessierte nicht missen möchte." Helwig Schmidt-Glintzer, fachbuchjournal
Was von Zhuangzi überliefert ist, stammt vor allem aus den Bemerkungen, die Sima Qian (145-86 v.u.Z.) auf Rolle 63 seiner Historischen Aufzeichnungen über Personen hinterließ, die vor der Han-Dynastie gelebt hatten. Über Zhuangzi schrieb er:
„Zhuangzi war ein Mann aus Meng (heutiges Anhui), sein Rufname war Zhou. Er bekleidete in Meng ein Amt im Lackgarten (Qiyuan) und war ein Zeitgenosse von König Hui von Liang (r. 369-335) und König Xuan von Qi (r. 369-301). Es gab kein Gebiet, auf dem er sich nicht auskannte, in der Hauptsache aber berief er sich auf die Sprüche von Laozi. So schrieb er ein Buch mit mehr als 100’000 Wörtern, die überwiegend Gleichnisse darstellen. Er verfaßte »Der alte Fischer, »Räuber Zhi«und »Kisten aufbrechen«, um die Anhänger des Konfuzius zu bespötteln und die Lehre von Laozi zu erläutern. Die »Ödnis von Weilei« und »Kangsangzi«gehören zu den erfundenen Geschichten ohne Bezug zur Wirklichkeit. Er war ein begnadeter Dichter und Wortkünstler, schilderte Tatsachen und entdeckte Zusammenhänge; all dies nutzte er, um die Konfuzianer und Mohisten bloßzustellen, selbst die größten Gelehrten seiner Zeit vermochten es nicht, ihn zu widerlegen. Die Worte flossen und sprudelten aus ihm hervor und trafen unvermittelt den Kern. Daher gelang es weder den Königen und Fürsten noch sonstigen großen Männern, ihn an sich zu binden. Als König Wei von Chu von der Begabung Zhuangzis hörte, entsandte er einen Boten mit reichen Geschenken, um ihn als Minister [an den Hof] zu locken. Zhuangzi lächelte und sprach zu dem Boten von Chu: »Tausend Goldstücke, welch hohes Gehalt; ein Ministerposten, welch eine Ehre! Bist du der einzige, der noch kein Opferrind draußen vor der Stadt gesehen hat? Man mästet es erst einmal, dann werden ihm mit Ornamenten bestickte [Decken] übergeworfen, um es ins Innere des Tempels zu führen, da kann es sich noch sehr sehr wünschen, sich in ein einsames Ferkelchen zu verwandeln – wird man ihm dies gewähren? Verschwinde, aber flott, und besudele mich nicht! Ich streife lieber friedlich umher und wälze mich in einer ekelhaft stinkenden Schlammpfütze, als mich von den Gepflogenheiten am Hofe an den Zaum legen zu lassen; bis ans Lebensende werde ich kein Amt bekleiden, sondern meinem Willen folgen.«“
Indem Sima Qian den Vergleich mit dem prachtvoll geschmückten und gemästeteten Opferrind aus den zahlreichen Anekdoten, die über Zhuangzi kursierten, herausgriff, lenkte er den Blick auf das – bis heute aktuelle – Hauptanliegen seiner Philosophie, das sie sowohl von Laozi als auch Konfuzius unterscheidet: sich der Möglichkeit individueller Freiheit bewußt zu sein und sich – allen Widernissen der Natur und allen Verführungen des gesellschaftlichen Lebens zum Trotz für sie zu entscheiden. Sima Qian war kein neutraler oder unabhängiger Geschichtsschreiber, sondern Konfuzianer. Seine Schilderung ist daher kein nüchterner Bericht, vielmehr ähnelt er einem akademischen Gutachten zur Einschätzung des Probanden für den Herrscher. Die Komplimente, die er im Superlativ über Zhuangzi äußerte, waren zweischneidig. In seiner Charakterisierung des Zhuangzi betonte er die verächtliche Haltung Zhuangzis gegenüber Konfuzianern und Mohisten – und bewirkte damit, daß das Buch nicht als Klassiker vom Han-Kaiser anerkannt wurde. Zhuangzi wählte damit einen anderen Weg als sein Zeitgenosse Mengzi (372-289 v.u.Z.), der Konfuzius’ Ideen im Laufe von 40 Jahren Wanderschaft von Fürstenhof zu Fürstenhof humanistisch weiterentwickelte. Mengzi’s Lehre von den Vier Tugenden legte den Grundstein für die Durchsetzung des Konfuzianismus. Kein Wunder also, daß sich Zhuangzis Polemik häufig gegen die Überbewertung von Sekundärtugenden richtet. Obwohl Mengzi und Zhuangzi genau zur selben Zeit lebten, ist kein Zeugnis überliefert, das irgendeine Art von Austausch zwischen beiden Denkern offenbart.
Herbstflut
Mair/Sch. faßt die ersten sieben Abschnitte zu einem zusammen. Eines der poetischsten Kapitel im Zhuangzi, voller Metaphern, Bilder und Geschichten.
17.1
秋水時至,百川灌河,涇流之大,兩涘渚崖之間,不辯牛馬。於是焉河伯欣然自喜,以天下之美為盡在己。順流而東行,至於北海,東面而視,不見水端,於是焉河伯始旋其面目,望洋向若而歎,曰:野語有之曰聞道百,以為莫己若者,我之謂也。且夫我嘗聞少仲尼之聞而輕伯夷之義者,始吾弗信,今我睹子之難窮也,吾非至於子之門則殆矣,吾長見笑於大方之家。qiū shuǐ shí zhì, bǎi chuān guàn hé, jīng liú zhī dà, liǎng sì zhǔ yá zhī jiān, bú biàn niú mǎ. yú shì yān hé bó xīn rán zì xǐ, yǐ tiān xià zhī měi wéi jìn zài jǐ. shùn liú ér dōng xíng, zhì yú běi hǎi, dōng miàn ér shì, bú jiàn shuǐ duān, yú shì yān hé bó shǐ xuán qí miàn mù, wàng yáng xiàng ruò ér tàn, yuē: yě yǔ yǒu zhī yuē ‚wén dào bǎi, yǐ wéi mò jǐ ruò zhě, wǒ zhī wèi yě. qiě fū wǒ cháng wén shǎo zhòng ní zhī wén ér qīng bó yí zhī yì zhě, shǐ wú fú xìn, jīn wǒ dǔ zǐ zhī nán qióng yě, wú fēi zhì yú zǐ zhī mén zé dài yǐ, wú cháng jiàn xiào yú dà fāng zhī jiā.
Herbst / Wasser / Zeit, manchmal / bis, kommen, extrem / , / Hundert / Fluß / eingießen, fluten / Fluß / , / Flussname / Flußlauf /
Die Herbstflut war gekommen, Hunderte Ströme ergossen sich in den [Gelben] Fluß, der in seinem Bett so angeschwollen war, daß man von einem zum anderen Ufer [blickend] Kuh und Pferd nicht unterscheiden konnte. Und der Flußgeist Huang war glücklich, indem er sich so sehr an sich selbst erfreute, daß er glaubte, alles Schöne unterm Himmel sei nur für ihn da. Er folgte dem Strom gen Osten, erreichte das Nordmeer, schaute [weiter] ostwärts und erkannte kein Ende des Wassers; daraufhin begann Flußgeist Huang seinen Kopf und die Augen zu verdrehen, erblickte im Ozean Ruo (den Geist des Nordmeeres) und sprach seufzend: „Die Volksweisheit, die besagt: ‚Er hatte hundertmal vom Dao gehört und hielt sich für etwas Besseres.‘ meint mich. Einst hörte ich, wie man Konfuzius geringschätzte und die Rechtschaffenheit des Bo Yi leichtnahm, aber ich habe das nicht geglaubt; nun sehe ich in dir, Meister, echte Größe; wäre ich nicht an dein Tor gekommen, wäre ich in Gefahr geraten, daß die [wahrhaft] großen Geister über mich nur noch lachen.“
河伯 meint den Wassergott vom Huanghe (Gelber Fluß). 洋向若 liest Legge als „confronting Ruo“, Wilhelm und Wang Rongpei einfach als „Meergott“, ähnlich auch Mair/Sch.: „Herr des Nordmeeres“, Watson als „far off in the direction of Jo“, Ziporyn schlicht als „adressed Ruo of the Northern Sea“, Correa als „looking to the ocean for what might be a sea god“. Im folgenden Abschnitt taucht der Gott des Nordmeeres explizit auf als 北海若. 難窮 liest Legge als „all-but-boundless extent“, Wilhelm als „wirkliche Größe und Unerschöpflichkeit“, „unfathomable vastness“, Wang Rongpei als „boundless expanse“, Mair/Sch. als „Grenzenlosigkeit“. 大方之家 liest Legge als „schools of our great System“. Wilhelm liest den vorletzten und letzten Teil der Passage im Zusammenhang: „wäre in Gefahr geraten, von den wahrhaft Großen ausgelacht zu werden.“
17.2
北海若曰:井蛙不可以語於海者,拘於虛也;夏蟲不可以語於冰者,篤於時也;曲士不可以語於道者,束於教也。今爾出於崖涘,觀於大海,乃知爾醜,爾將可與語大理矣。天下之水,莫大於海,萬川歸之,不知何時止而不盈;尾閭泄之,不知何時已而不虛;春秋不變,水旱不知。此其過江河之流,不可為量數。而吾未嘗以此自多者,自以比形於天地而受氣於陰陽,吾在天地之間,猶小石小木之在大山也,方存乎見少,又奚以自多!běi hǎi ruò yuē: jǐng wā bù kě yǐ yǔ yú hǎi zhě, jū yú xū y;ě xià chóng bù kě yǐ yǔ yú bīng zhě, dǔ yú shí yě; qǔ shì bù kě yǐ yǔ yú dào zhě, shù yú jiāo yě. jīn ěr chū yú yá sì, guān yú dà hǎi, nǎi zhī ěr chǒu, ěr jiāng kě yǔ yǔ dà lǐ yǐ. tiān xià zhī shuǐ, mò dà yú hǎi, wàn chuān guī zhī, bù zhī hé shí zhǐ ér bù yíng; wěi lǘ xiè zhī, bù zhī hé shí yǐ ér bù xū; chūn qiū bú biàn, shuǐ hàn bù zhī. cǐ qí guò jiāng hé zhī liú, bù kě wéi liàng shù. ér wú wèi cháng yǐ cǐ zì duō zhě, zì yǐ bǐ xíng yú tiān dì ér shòu qì yú yīn yáng, wú zài yú tiān dì zhī jiān, yóu xiǎo shí xiǎo mù zhī zài dà shān yě, fāng cún hū jiàn shǎo, yòu xī yǐ zì duō!
Nord / Meer / ruò
Ruo, der Geist des Nordmeeres, sprach: „Mit einem Frosch, der im Brunnen lebt, kannst du nicht über das Meer reden, er ist beschränkt auf seinen Platz; mit einem Insekt, das im Sommer lebt, kannst du nicht über Eis reden, es nimmt nur seine Jahreszeit wahr; mit einem Fachidioten kannst du nicht über das Dao reden, er ist beschränkt auf seine Theorie. Nun kommst du hinter deinen Wällen und Dämmen hervor, siehst das weite Meer, erkennst deine Winzigkeit und glaubst, von nun an über die großen Einsichten mitreden zu können. Von allen Gewässern unterm Himmel ist keines größer als das Meer; die zahllosen Flüsse strömen hinein, und noch nie hab ich gehört, daß sie damit aufgehört hätten, und dennoch läuft es nicht über; am Grund sickert es weg, und noch nie hab ich gehört, daß das aufgehört hätte, und dennoch leert es sich nicht; ob Frühling oder Herbst ist, ändert nichts daran, ob Dürre oder Flut ist, davon nimmt es keine Notiz. Im Vergleich zum Langen und zum Gelben Fluß (Changjiang und Huanghe) ist es unermeßlich. Und dennoch bilde ich mir nicht mehr ein auf mich, als ich bin; meine Gestalt wird von Himmel und Erde geformt, meine Atemkraft empfange ich von Yin und Yang, ich befinde mich zwischen Himmel und Erde, [also] gleiche ich einem kleinen Stein oder kleinen Baum auf einem großen Berg; da ich die Winzigkeit meiner Existenz sehe, wozu sollte ich mir mehr auf mich einbilden?
大理 interpretiert Wang Rongpei als „Dao“. 過 lesen Legge und Watson als „groß“ bzw. „größer“, Wilhelm und Mair/Sch. als „Überlegenheit“, Wang Rongpei als „Wasser enthalten“. Wilhelm spricht nicht vom Langen und Gelben Fluß, sondern allgemein von „Flüssen und Strömen“. 自多: wörtlich Selbstvervielfachung, übertragen Selbstüberhebung, Selbstverherrlichung, Selbstvergrößerung, Eingebildetsein auf sich selbst.
計四海之在天地之間也,不似礨空之在大澤乎?計中國之在海內,不似稊米之在大倉乎?號物之數謂之萬,人處一焉;人卒九州,穀食之所生,舟車之所通,人處一焉。此其比萬物也,不似豪末之在於馬體乎?五帝之所連,三王之所爭,仁人之所憂,任士之所勞,盡此矣。伯夷辭之以為名,仲尼語之以為博,此其自多也,不似爾向之自多於水乎?
jì sì hǎi zhī zài tiān dì zhī jiān yě, bú sì lěi kōng zhī zài dà zé hū? jì zhōng guó zhī zài hǎi nèi, bú sì tí mǐ zhī zài tài cāng hū? hào wù zhī shù wèi zhī wàn, rén chǔ yī yān, rén zú jiǔ zhōu, gǔ shí zhī suǒ shēng, zhōu chē zhī suǒ tōng, rén chǔ yī yān. cǐ qí bǐ wàn wù yě, bù sì háo mò zhī zài yú mǎ tǐ hū? wǔ dì zhī suǒ lián, sān wáng zhī suǒ zhēng, rén rén zhī suǒ yōu, rèn shì zhī suǒ láo, jìn cǐ yǐ. bó yí cí zhī yǐ wéi míng, zhòng ní yǔ zhī yǐ wéi bó, cǐ qí zì duō yě, bú sì ěr xiàng zhī zì duō yú shuǐ hū?
rechnen, planen / vier / Meer /
Denkst du nicht, daß die vier Meere, die sich zwischen Himmel und Erde befinden, vergleichbar sind mit ein paar Blasen inmitten eines großen Sumpfes? Denkst du nicht, daß die Mittleren Königreiche, umgeben von Meeren, vergleichbar sind mit ein paar Reiskörnern in einem großen Kornspeicher? Von den zahllosen Lebewesen, die sich aufzählen und benennen lassen, ist der Mensch [nur] eines; die Menschen bevölkern neun Provinzen, wo sie sich von Korn ernähren, mit Booten und Wagen fortbewegen, doch der [einzelne] Mensch hält sich stets nur in einer auf. Im Reigen der zahllosen Lebewesen, gleicht er nicht einem Flaumhaar auf einem Pferderücken? Was die Fünf Kaiser erreicht und die Drei Könige erkämpft haben, worum sich die um Menschlichkeit bemühten Menschen sorgen und womit sich die Gelehrten befassen – es ist nicht mehr als das. Bo Yi dankte ab und wurde berühmt; Konfuzius verbreitete überall seine Lehre – dieses Eingebildetsein auf sich selbst, ist es nicht dem vergleichbar, was du dir während des Hochwassers auf dich eingebildet hast?“
大澤 liest Wilhelm atypisch als „Urmeer“. Die zweite Passage läßt er ganz aus. 中國 liest Legge als „our Middle States”, Watson als „the Middle Kingdom“, Wang Rongpei als „the central states“, Mair/Sch. irreführend als „das Reich der Mitte“, ein Begriff, der später für das gesamte chinesische Reich stand; Correa spricht ebenfalls vom „Middle Kingdom“, ergänzt irreführend in Klammern jedoch „China“. 海內 wird von allen Übersetzern als „in den vier Meeren“ wiedergegeben, obwohl von „vier“ keine Rede ist. 穀食之所生,舟車之所通: überträgt Legge widersinnig als „Von allen denen, die von Getreide leben und sich auf Boot oder Wagen fortbewegen, ist der Mensch nur ein Teil.“ Wang Rongpei und Mair/Sch. insistieren darauf, daß der Mensch immer ein einzelner in der Masse sei. Watson bezieht sich auf das Land, das der Mensch besiedelt: es sei nur ein Teil der Erde, Correa nochmals auf die zehntausend Dinge. 豪 wird von allen Übersetzern als 毫 (háo) „Flaumhaar“ gelesen. Wilhelm läßt in der Schlußpassage den ersten Teil weg und erwähnt weder Bo Yi noch Konfuzius. Bei Wang Rongpei verzichtet Bo Yi auf den Thron, eine Interpretation, die ähnlich schon Legge vorschlug; Watson dagegen bleibt neutral, indem er nur übersetzt: „gab es auf“, ähnlich Correa „ran off“ .
17.3
河伯曰:然則吾大天地而小毫末可乎?hé bó yuē: rán zé wú dà tiān dì ér xiǎo háo mò kě hū?
hé bó (Name) / sagen / : / wie, richtig / dann / ich / groß / Himmel / Erde / und / klein / Haar; Keim / können /
Der Flußgeist sprach: „Das heißt, ich kann Himmel und Erde als etwas Großes betrachten und ein Härchen als etwas Kleines?“
北海若曰:否。夫物,量無窮,時無止,分無常,終始無故。是故大知觀於遠近,故小而不寡,大而不多,知量無窮;證曏今故,故遙而不悶,掇而不跂,知時無止;察乎盈虛,故得而不喜,失而不憂,知分之無常也;明乎坦塗,故生而不說,死而不禍,知終始之不可故也。計人之所知,不若其所不知;其生之時,不若未生之時。以其至小,求窮其至大之域,是故迷亂而不能自得也。由此觀之,又何以知毫末之足以定至細之倪!又何以知天地之足以窮至大之域!
běi hǎi ruò yuē: fǒu. fū wù, liàng wú qióng, shí wú zhǐ, fèn wú cháng, zhōng shǐ wú gù. shì gù dà zhī guān yú yuǎn jìn, gù xiǎo ér bù guǎ, dà ér bù duō, zhī liàng wú qióng; zhèng xiàng jīn gù, gù yáo ér bú mèn, duō ér bù qǐ, zhī zhī shí wú zhǐ; chá hū yíng xū, gù dé ér bù xǐ, shī ér bù yōu, zhī fèn zhī wú cháng yě; míng hū tǎn tú, gù shēng ér bù shuō, sǐ ér bú huò, zhī zhōng shǐ zhī bù kě gù yě. jì rén zhī suǒ zhī, bú ruò qí suǒ bù zhī; qí shēng zhī shí, bú ruò wèi shēng zhī shí. yǐ qí zhì xiǎo, qiú qióng qí zhì dà zhī yù, shì gù mí luàn ér bù néng zì dé yě. yóu cǐ guān zhī, yòu hé yǐ zhī háo mò zhī zú yǐ dìng zhì xì zhī ní! yòu hé yǐ zhī tiān dì zhī zú yǐ qióng zhì dà zhī yù!
běi hǎi (Name) / wenn, wie / sagen / : / nein /
Der Geist des Nordmeeres erwiderte: „Nein, die Dinge lassen sich letztlich nicht messen, die Zeit läßt sich nicht anhalten, Unterschiede sind nicht von Dauer, Ende und Anfang folgen keiner Regel. Wer [wahrhaft] großes Wissen hat, sieht das Ferne und das Naheliegende, schätzt das Kleine nicht gering und überschätzt nicht das Große, wissend, daß sie sich letztlich nicht messen lassen; er findet Bestätigung im Vergangenen und Gründe im Gegenwärtigen; das Ferne stimmt ihn nicht traurig; um etwas zu pflücken, stellt er sich nicht auf die Zehenspitzen; er weiß, daß sich die Zeit nicht anhalten läßt; er unterscheidet zwischen Fülle und Leere; etwas zu gewinnen, freut ihn nicht; etwas zu verlieren, schreckt ihn nicht; er weiß, daß die Unterschiede nicht von Dauer sind; klar erkennt er den geraden Weg; er betrachtet das Leben nicht als Fluch und den Tod nicht als Unheil; er weiß, daß Ende und Anfang keiner Regel folgen. Bedenke, daß das Wissen der Menschen nichts ist im Vergleich zu dem, was sie nicht wissen; daß ihre Lebenszeit nichts ist im Vergleich zu der Zeit, in der sie nicht leben. Wenn sie etwas äußerst Winziges schaffen, hoffen sie, daß daraus etwas äußerst Großes entstünde – das ist der Grund für ihr Irrlichtern und ihre Wirrnis, und es gelingt ihnen nicht, zu sich selbst zu gelangen. Wer dies berücksichtigt, wie kann er wissen, ob ein Härchen als Maßstab für etwas äußerst Feines genügt? Wie kann er wissen, ob Himmel und Erde als Maßstab für etwas äußerst Großes genügen?“
分 liest Legge als „man’s lot“, Wilhelm als „Zustände“, Watson als „the division of lots“, Wang Rongpei abweichend als „gains and losses“, Mair/Sch. als „Abgrenzungen“. Legge, Wilhelm und Watson lesen 未生之時 als „Zeit, in der man noch nicht gelebt hat“ – doch die Passage ist allgemeiner gehalten, sie bezieht sich nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Zukunft, die wir nicht erleben werden. So interpretieren dies auch Mair/Sch. und Wang Rongpei. 不能自 interpretieren die Übersetzer sehr unterschiedlich: Legge meint, daß die Menschen nicht an ihr natürliches Lebensende gelangen, Watson und Wang Rongpei, daß sie auf diese Weise überhaupt nichts erreichen, ebenfalls interpretativ Ziporyn, daß sie frustriert wären, und Correa, daß sie das Optimum nicht in der Mischung erkennen. Nur Wilhelm und Mair/Sch. beziehen ihre Interpretation auf 自, das Selbst: „nicht zu sich selbst zu kommen vermag“.
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