Roman-Fragment, 1952
162 S. Mit Zeichnungen von Hein Semke
hrsg. von Teresa Balté
Hannes, der Rammer verwebt autobiographische Elemente und Fiktion: Hannes ist ganz eindeutig Hein Semke. Das Geschehen spielt in Hamburg, in einer Zeit politischer Instabilität, die dem Ersten Weltkrieg folgt. Wie Semke arbeitet Hannes zeitweilig als Straßenpflasterer. Wie der Autor hat er aus einem Ekel die Medaillen weggeworfen, die man ihm im Krieg verliehen hatte, und wird politischer Aktivist. Er schließt sich einer anarchistischen Gruppe, den „Freien Sozialisten“, an, die sich um die Zeitung Alarm und deren Herausgeber Carl Langer scharen, und beteiligt sich an den Kämpfen, die die Stadt zwischen 1919 und 1923 aufrühren, z.B. am Überfall auf die „Davidwache“. Semke spielt auf politische Persönlichkeiten an, ändert aber deren Namen: aus Carl Langer wird Fritz Kurz, aus Ernst Thälmann wird Ernst Uhlmann. Im zweiten Teil der Novelle erzählt Semke eine Liebesgeschichte. Der Text, ein Manuskript aus losen Blättern, weist mehrere Veränderungen auf, die von dem Autor mit Rotstift vorgenommen wurden. Es versteht sich, daß Semke die Geschichte vor einer Drucklegung hätte durchsehen wollen. Dazu kam es zu seinen Lebzeiten jedoch nicht. Die hier vorliegende Erstveröffentlichung ist Hein Semkes Lebensgefährtin, der Germanistin Teresa Balté in Lissabon, zu verdanken.
Hein Semke (1899-1995): geb. in Hamburg, Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, fünf Jahre Einzelhaft wegen anarchistischer Aktivitäten, 1929 erste Reise nach Lissabon und Arbeit in einer Fabrik, 1930 Rückkehr nach Deutschland, Studium bei Bossard und Wünsche (Hamburg) und bei Habich (Stuttgart), 1932 endgültige Emigration nach Portugal, 1935 Verfemung seiner Skulpturen als ‚entartet’ und Zerstörung der Kriegsgruppe Kameradschaft des Untergangs durch NS-Anhänger der deutschen Kolonie, 1936 Beteiligung am spanischen Bürgerkrieg, seit 1932 Arbeit als Bildhauer, Keramiker, Maler, Lyriker und Künstlerbuchgestalter, zahlreiche Ausstellungen, hauptsächlich in Portugal, Arbeiten in Lissabon: Garten der Gulbenkian-Stiftung, deutsche ev. Kirche, Hotel Ritz, Rektorat der Klassischen Universität u.a., 1978 Bundesverdienstkreuz (BRD); 1990 Orden vom “Infante D. Henrique” (Portugal).
"Das Gewaltsame und das Naive gehen Hand in Hand in dem Werk eines Mannes, der immer und vor allem, ein unermüdlicher Kämpfer für die Verwirklichung seiner inneren Obsessionen war. Diese Kunst verzichtet auf leichte Triumphe, und verweigert jegliche äußere Kompromisse, dadurch spiegelt sie auf genaueste Art, die Persönlichkeit ihres Schöpfers." Georg Rudolf Lind, Deutsch-portugiesische Wechselwirkungen im Werk von Hein Semke, in: Diário de Notícias, 30.11.1961 (Lisboa)
Leseprobe:
Bum! – Bum! – Bum! – Bum! – Ja – ja – ja, klopften dazu die Steinsetzerhämmer. Frühmorgens um sieben Uhr war ein solcher Sang wohl kaum angenehm zu hören. Für viele Einwohner war es der Wecker, an den sie sich gewöhnt hatten. Fenster gingen dann auf und die noch halb schlaftrunkenen Leute riefen den Arbeitern einen guten Morgengruß zu.
Die Straße führte aus der Stadt hinaus zum Lebensendbahnhof vieler Hamburger: dem Ohlsdorfer Friedhof. – Im Winter 1918/1919 (er war berüchtigt zu seiner Zeit wegen der vielen Grippe-Toten) fing man an, das alte zerfahrene Kopfsteinpflaster dieser kilometerlangen Straße zu ersetzen. Sicher hätte auch das Pflaster, vielleicht schon hundert Jarhe alt, trotz vielen Verkehrs noch jahrelang Dienst leisten können, aber Hamburg war voll von Arbeitslosen (zurückgekehrten Frontkämpfern), und um denen zu helfen, wurde dies als Notstandsarbeit vorgenommen. Zu gleicher Zeit nivellierte und liniierte man neu die Straße, sodass man weit, ganz weit sehen konnte. Es war, als wenn sie endlos wäre. Diese Endlosigkeit wirkte genau so erregend, wie der drohende Rhythmus der Rammer. – Auf der breiten Fahrbahn lagen die Straßenbahnschienen, langen glitzernden Schlangen gleich. Es gab zwei Gleise. – Es wurde immer nur die eine Hälfte der Straße wiederhergestellt. Auf der anderen Hälfte nahm der Verkehr seinen gewohnten Gang. Vom frühen Morgen an rollten die Leichenwagen dem Friedhof zu. So wurden die Anwohner dieser Straßenzüge und die Arbeiter immer daran erinnert, dass die Lebensfrist kurz bemessen ist und dass es gilt, den schnellsterbenden Tag unsres Erdendaseins auszunützen. –
Bum – plenk – plink – plunk, Bum – plink – plunk – plink, Bum – plunk – plink – plink, Bum – plenk – plink – plenk, hämmerte es durch einen Frühmorgen des Julimonats 1919. Die Steinsetzer waren an der Arbeit. – Überall in der Welt sind Steinsetzer bei der Arbeit. Was wären wir ohne feste Straßen, gleich wohin sie führen? – Bum – bum – bum – bum, der harte viersätzige Schlag der schweren Stahlrammen, im rhythmischen Gleichtakt von jungen kräftigen Kerlen ausgeführt, dazu das Plink – plink – plunk der kleinen Stahlhämmer der Steinsetzer beim Anhauen und Einsetzen der granitenen Straßensteine, wirkte nicht gerade beruhigend auf den Menschen frühmorgens um sieben. Der harte Rhythmus, unterbrochen von kurzen Rufen der Steinsetzer nach Steinen und Sand, klang aufreizend – sogar revolutionär, wie eine Herausforderung an alle Nichtsteinklopfer. – Bum! – Wir – Bum! – Wir bauen – Bum! – Wir bauen neue Straßen – Bum! – Wir bauen neue Straßen für Euch – Plenk – plink.
Diese schwer arbeitenden Menschen liebten alle den Tag. Jeder auf seine Art. Jeder im Rahmen seines Erkenntnisvermögens. Sie verdienten verhältnismäßig gut, denn sie arbeiteten im Akkord. Die Steinsetzer und die Steinrammer bildeten eine geschlossene Gemeinschaft, in die es schwer war einzudringen. Hineingenommen wurden fast immer nur Verwandte, weil man in diese lukrative Arbeit keine Fremden hineinlassen wollte. Sie waren alle gewerkschaftlich organisiert und hatten trotz ihrer revolutionären Arbeitsmusik ganz milde sozialdemokratische politische Ansichten. – Fast alle diese Saisonarbeiter hatten irgendwo vor der Stadt ihr kleines Häuschen. – Wenn sich in ihre Gemeinschaft einmal ein Andersdenkender, ein Andershandelnder, verwirrte, waren sie sehr tolerant und standen wie ein Mann für ihn ein. – Um die Handlanger, die Steine und Sand herbeibrachten und Steine und Erde auf- oder abluden, kümmerten sie sich wenig. Die kamen und gingen, bildeten keine Gruppen. Sie waren nur kuzfristig beschäftigt. – Die Erdarbeiter waren nicht am Akkord beteiligt und verdienten nur ihren Stundenlohn. Sie versuchten aber, Überstunden zu machen, was fast immer durch den Einspruch der Gewerkschaften verhindert wurde. Diese hatten Interesse an der strikten Einhaltung des Achtstundentages, der in den Tarifverträgen festgelegt war. Auch die Erdarbeiter gehörten einer Sektion des Bauarbeiterverbandes an. Zu der Zeit duldete man es nicht, dass irgendein Arbeiter unorganisiert war. –
Doch arbeitete in der Kolonne der Erdarbeiter ein junger Bursch (eben einundzwanzig Jahre alt geworden). Er war als Freiwilliger im Weltkrieg gewesen und lehnte jegliche Form einer Organisation, die nicht absolut freiwillig war, grundsätzlich ab. – Deshalb hatte er schon vielmals sein Brot verloren. Man wollte mit einem Unorganisierten, einem „Arbeiterfeind”, nicht zusammenarbeiten. Das Arbeitsamt musste ihm aber immer wieder neu eine Arbeitsstelle nachweisen, denn der Staat durfte eine zweite Macht im Reiche seiner Befugnisse nicht anerkennen. – Die Arbeitsamtbeamten, wie alle Hamburger Staatsbeamten in der Zeit, waren auch gewerkschaftlich organisiert, sodass sie sehr leicht in Gewissenszweifel kommen konnten, denn Gewerkschaft gleich Staat durften sie als Staatsbeamten nicht sagen und als Gewerkschaftler hatten sie dafür zu sorgen, dass kein Unorganisierter Arbeit bekam.