Lyrische Diskussionen
mit dem Gesetzbuch des Zaren Dušan
Aus dem Serbischen von Wolfgang Eschker
978-3-86660-191-8, zweisprachig, 164 S.
Stefan Dušan der Große (um 1308 – 20.12.1355) herrschte in Serbien von 1331 – 1346 als König sowie von 1346 – 1355 als Zar. Unter seiner Herrschaft erlebte der serbische Staat seine Blütezeit. Zugleich sollten durch ein einheitliches Recht die neu eroberten Gebiete fest an das Reich gebunden werden. Diese Gründe waren es hauptsächlich, die zur Entstehung des berühmten „Dušanov zakonik“ (Gesetzbuch des Zaren Dušan) führten, des wichtigsten Gesetzbuches im mittelalterlichen Serbien. Mit diesem Gesetzbuch nun tritt Desanka Maksimovi? rund sechshundert Jahre später in eine „lyrische Diskussion“, wie es im Untertitel ihrer Gedichtsammlung „Ich bitte um Erbarmen“ heißt. Es ist die Auseinandersetzung zwischen dem, der sich berechtigt glaubt, eine Position über Menschen und Dingen einzunehmen und demjenigen, der sich mit ihnen eins weiß und unermüdlich für sie eintritt – eine Auseinandersetzung, die Jahrhunderte alt ist und bis in die Gegenwart andauert.
Desanka Maksimovi?: geb. 1898 in Rabrovica bei Valjevo in Serbien. Studium in Belgrad (1919 – 1923) und Paris (1924/25). Zahlreiche Reisen im In- und Ausland. Von 1926 bis 1953 Gymnasiallehrerin in Belgrad. Gestorben 1993 in Belgrad. Debütierte 1920 in der Zeitschrift „Misao“ (Der Gedanke) mit den Gedichten „Jedna smrt“ (Ein Tod) und „Pitanje“ (Frage). Veröffentlichte neben Romanen, Erzählungen und Kurzgeschichten, Reisebeschreibungen und vielen Kinderbüchern vor allem Gedichte und Poeme, u.a. die Lyriksammlungen „Pesme“ (Gedichte, 1924), „Miris zemlje“ (Duft der Erde, 1955), „Zarobljenik snova“ (Gefangener der Träume, 1960), „Tra¸im pomilovanje“ (Ich bitte um Erbarmen, 1964), „Nemam više vremena“ (Ich habe keine Zeit mehr, 1973), „Nebeski razboj“ (Himmlischer Webstuhl, 1991), „Ozon zavi?aja“ (Ozon der Heimat, 1991). Zahlreiche Ehrungen und Preise im In- und Ausland, u.a. Zmaj-Preis (1959), Vuk-Preis (1974), Njegoš-Preis (1984) sowie „Goldener Kranz“ der Stadt Struga (1988).
Leseprobe:
PROGLAS
Po milosti bo¸joj
i blagoslovu svetitelja iz Rasa,
ja, car Srba, Grka i Arbanasa,
zemljama koje od oceva nasledih
i ma?em osvojih,
koje povezah krvnim sudovima
svojih vojnika,
dajem zakonik
i neka nema drugih zakonika
osim mojih.
?edoubica, preljubnik, najahalac,
onaj koga zlopakosni ?avo uze,
babun, bogumil i jeretik,
slabi? koji na sudu ne govori pravo,
?ovek koji skrnavi ikone svetih,
bi?e surovo ka¸njeni po zakonima mojim,
ali ne surovije
nego što u zakonu stoji.
Ja vlastelu, prema obi?ajima otaca,
od sebara izdvojih.
Prvosvešteniku i vlastelinu
sudi?e se bla¸e nego meropahu,
ali ne u strahu
od carstva mi,
i ne bla¸e
nego što u zakonu stoji.
KUNDMACHUNG
Durch die Gnade Gottes
und den Segen, der mir aus Ras von dem Heiligen war,
gebe ich, der Serben, Griechen und Albaner Zar,
den Ländern, die ich von den Vätern ererbt
und erobert mit dem Schwert,
die ich verbunden durch Blut und Leben
meiner Soldaten,
ein Gesetzbuch,
und es soll keine anderen Gesetzbücher geben
außer den meinen.
Der Kindsmörder, Ehebrecher und Räuber,
der, der vom Höllenteufel besessen,
der Abtrünnige, Bogumile und Ketzer,
der Schwächling, der vor Gericht nicht die Wahrheit sagt,
der, der die Ikonen der Heiligen schmäht,
wird hart bestraft nach meinen Gesetzen,
aber härter nicht,
als es im Gesetzbuch steht.
Ich habe den Adel, nach Sitte der Väter,
vom gemeinen Volke getrennt.
Der Erzpriester und der Edelmann
werden milder bestraft als der leibeigene Mann,
doch nicht, daß das Urteil in Furcht ergeht
vor meiner Herrschaft
und milder nicht,
als es im Gesetzbuch steht.
Kudeljnici sirotoj pred nasilnikom
zakoni moji
bi?e umesto štita.
Ni robu pravednom,
ni neznancu što kroz carstvo mi hita,
niti ikom
treba da ih se boji,
samo krivcu ?e se surovo suditi,
ali ne surovije
nego što u zakonu stoji.
Vor Gewalt werden die arme Spinnerin
meine Gesetze
schützen einem Schilde gleich.
Weder der rechtschaffene Knecht
noch der Fremde, der da eilt durch mein Reich,
noch irgendwer
muß in Furcht vor ihnen leben,
harte Strafe wird´s nur für den Schuldigen geben,
aber härtere nicht,
als es im Gesetzbuch steht.
O CARSKOM SELU
Kuda pro?u car i carica
ili konji carevi,
tim putem sme pro?i sebar
i vlastelin
samo pošto se još jednom
javi prole?ni grom s neba,
samo pošto još jednom padne inje
i njiva se mraza za¸eli.
Na kojoj reci konji carski
ugase ¸e?,
neka na njoj još godinu dana
niko ¸e? ne gasi,
neka sebar do novog kukureka,
do novih rosa i slana,
neka sebar ?eka još godinu dana
dok poteku rekom novi talasi.
U kom selu preno?e car i carica,
carski stanovi i konji,
neka se jazom opkopa
to selo i ta ku?a,
neka ih sebarska ne skrnavi stopa,
neka tu preno?i ?ovek mali
tek kad ponovo odu na jug ¸drali
i na med ponovo zamirišu svanu?a.
ÜBER DAS ZARENDORF
Wo Zar und Zarin vorüberziehen
oder die Rosse des Zaren,
diesen Weg dürfen Bauer
und Edelmann
erst wieder gehen, wenn auf´s neue
Frühlingsgewitter am Himmel aufziehen,
erst wenn auf´s neue Rauhreif fällt
und die Flur sich sehnt nach dem Frost.
An dem Fluß, an dem die Rosse des Zaren
ihren Durst gelöscht,
an diesem Fluß soll ein ganzes Jahr
niemand seinen Durst mehr löschen,
soll der Bauer, bis die Schneerosen wieder blühen,
bis Tau und Rauhreif wieder da,
warten noch ein ganzes Jahr,
bis neue Wellen den Fluß überziehen.
Um das Dorf, in dem Zar und Zarin die Nacht verbringen,
des Zaren Gefolge und seine Rosse,
um dieses Dorf und um dieses Haus
soll ein Graben gezogen werden zum Schutze,
daß des Bauern Fuß sie nicht beschmutze,
es nächtige hier der gemeine Mann nicht,
ehe der Kranich wieder nach Süden fliegt
und Honigduft in der Morgenluft liegt.
O POKLISARU
Poklisar koji hita caru
iz zemlje tu?e,
ili od cara svome gospodaru,
da je neprikosnoven
?im u oblasti
carstva mi u?e
pa bio Vizantinac, Latin ili Sloven.
Gde u selo do?e
da mu se pokloni vera,
da mu se kao gostu ukazuju ?asti,
da mu se s puta skloni trn i kamen,
da se preda nj ne da
razbojniku ni guji;
pa pošto ru?a ili pove?era,
drugome selu da se poklisar preda
i usput zaklanja
kao plamen na oluji.
ÜBER DEN BOTEN
Ein Bote, der zum Zaren eilt
aus fremdem Land, von fern,
oder vom Zaren zurück zu seinem eigenen Herrn,
der sei geschützt,
sobald er das Gebiet
meines Zarenreichs betritt,
er sei Byzantiner, Lateiner oder Slave.
In welches Dorf er auch kommt,
man soll ihm Glauben schenken
und Ehre erweisen, wie´s dem Gaste frommt,
Dorn und Stein ihm aus dem Wege räumen,
daß Räuber und Schlange
seinen Weg nicht säumen;
und wenn er zu Mittag oder Abend gespeist,
der Bote ins nächste Dorf weiterreist,
soll man ihn unterwegs beschützen
wie eine Flamme bei Gewitterblitzen.