Hodel, Robert (Hg.): Hundert Gramm Seele
Serbische Poesie aus einem halben Jahrhundert
Zweisprachig
Die Anthologie vereint zum ersten Mal die Generation der zwischen 1940 und 1960 geborenen serbischen Dichter. Ihre Vielstimmigkeit ermöglicht eine facettenreiche Innenperspektive auf ein Land, das in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem von außen wahrgenommen wurde. Jeder Autor ist mit sieben Gedichten vertreten, die einen Blick auf die Entwicklung von den ersten Gedichtbänden bis in die Spätphase eröffnen. Diese individuellen Zugänge ergeben zusammen ein plastisches Gemälde der Ereignisse und Stimmungen in Jugoslawien und Serbien der letzten fünfzig Jahre.
Robert Hodel (Hg.): geb. 1959 in Buttisholz (Luzern), studierte Slavistik, Philosophie und Ethnologie in Bern, Sankt Petersburg und Novi Sad. Seit 1997 ist er Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg.
Zweisprachig
Die Anthologie vereint zum ersten Mal die Generation der zwischen 1940 und 1960 geborenen serbischen Dichter. Ihre Vielstimmigkeit ermöglicht eine facettenreiche Innenperspektive auf ein Land, das in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem von außen wahrgenommen wurde. Jeder Autor ist mit sieben Gedichten vertreten, die einen Blick auf die Entwicklung von den ersten Gedichtbänden bis in die Spätphase eröffnen. Diese individuellen Zugänge ergeben zusammen ein plastisches Gemälde der Ereignisse und Stimmungen in Jugoslawien und Serbien der letzten fünfzig Jahre.
Robert Hodel (Hg.): geb. 1959 in Buttisholz (Luzern), studierte Slavistik, Philosophie und Ethnologie in Bern, Sankt Petersburg und Novi Sad. Seit 1997 ist er Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg.
In der Anthologie vertretene Dichter:
BRANKO CUCAK (Sarajevo, 1948 - Sarajevo, 2008)
DRAGAN JOVANOVIC DANILOV (Pozega, Westserbien, 1960)
VOJISLAV DESPOTOV (Zrenjanin, Banat, 1950 - Beograd, 2000)
DARINKA JEVRIC (Glodani, Pec, Kosovo, 1947 - Beograd, 2007)
ZLATA KOCIC (Zeljevo, Svrljig, Ostserbien, 1950)
MILOS KOMADINA (Beograd, 1955 - Beograd, 2004)
VLADIMIR KOPICL (Ðeneral Jankovic, Kosovo, 1949)
TANJA KRAGUJEVIC (Senta, Backa, 1946)
RADMILA LAZIC (Krusevac, Mittelserbien, 1949)
RASA LIVADA (Subotica, 1948 - Beograd, 2007)
MIROSLAV MAKSIMOVIC (Njegosevo, Backa, 1946)
MIROSLAV CERA MIHAILOVIC (Preobrazenje, Südostserbien, 1955)
MILAN MILISIC (Dubrovnik, 1941 - Dubrovnik, 1991)
SNEZANA MINIC (Nis, Südostserbien, 1958)
IVAN NEGRISORAC (Trstenik, Krusevac, Mittelserbien, 1956)
RAJKO PETROV NOGO (Borija, Herzegowina, 1945)
DUSKO NOVAKOVIC (Podgorica, 1948)
MILUTIN PETROVIC (Kraljevo, Mittelserbien, 1941)
IVAN RASTEGORAC (Pristina, Kosovo, 1940)
ISMET REBRONJA (Godusa, Bijelo Polje, Montenegro, 1942 - Novi Pazar, Südwestserbien, 2006)
ÐORÐO SLADOJE (Klinja, Ulog, Herzegowina, 1954)
NOVICA TADIC (Smrijecno, Pluzine, Montenegro, 1949 - Beograd, 2011)
MILOSAV TESIC (Ljestansko, Bajina Basta, Westserbien, 1947)
STEVAN TONTIC (Grdanovci, Sanski Most, Bosnien-Herzegowina, 1946)
NEBOJSA VASOVIC (Kraljevo, Mittelserbien, 1953)
NIKOLA VUJCIC (Velika Gradusa, Sisak, Kroatien, 1956)
JOVAN ZIVLAK (Nakovo, Banat, 1947)
SLOBODAN ZUBANOVIC (Beograd, 1947)
BRANKO CUCAK (Sarajevo, 1948 - Sarajevo, 2008)
DRAGAN JOVANOVIC DANILOV (Pozega, Westserbien, 1960)
VOJISLAV DESPOTOV (Zrenjanin, Banat, 1950 - Beograd, 2000)
DARINKA JEVRIC (Glodani, Pec, Kosovo, 1947 - Beograd, 2007)
ZLATA KOCIC (Zeljevo, Svrljig, Ostserbien, 1950)
MILOS KOMADINA (Beograd, 1955 - Beograd, 2004)
VLADIMIR KOPICL (Ðeneral Jankovic, Kosovo, 1949)
TANJA KRAGUJEVIC (Senta, Backa, 1946)
RADMILA LAZIC (Krusevac, Mittelserbien, 1949)
RASA LIVADA (Subotica, 1948 - Beograd, 2007)
MIROSLAV MAKSIMOVIC (Njegosevo, Backa, 1946)
MIROSLAV CERA MIHAILOVIC (Preobrazenje, Südostserbien, 1955)
MILAN MILISIC (Dubrovnik, 1941 - Dubrovnik, 1991)
SNEZANA MINIC (Nis, Südostserbien, 1958)
IVAN NEGRISORAC (Trstenik, Krusevac, Mittelserbien, 1956)
RAJKO PETROV NOGO (Borija, Herzegowina, 1945)
DUSKO NOVAKOVIC (Podgorica, 1948)
MILUTIN PETROVIC (Kraljevo, Mittelserbien, 1941)
IVAN RASTEGORAC (Pristina, Kosovo, 1940)
ISMET REBRONJA (Godusa, Bijelo Polje, Montenegro, 1942 - Novi Pazar, Südwestserbien, 2006)
ÐORÐO SLADOJE (Klinja, Ulog, Herzegowina, 1954)
NOVICA TADIC (Smrijecno, Pluzine, Montenegro, 1949 - Beograd, 2011)
MILOSAV TESIC (Ljestansko, Bajina Basta, Westserbien, 1947)
STEVAN TONTIC (Grdanovci, Sanski Most, Bosnien-Herzegowina, 1946)
NEBOJSA VASOVIC (Kraljevo, Mittelserbien, 1953)
NIKOLA VUJCIC (Velika Gradusa, Sisak, Kroatien, 1956)
JOVAN ZIVLAK (Nakovo, Banat, 1947)
SLOBODAN ZUBANOVIC (Beograd, 1947)
Aus dem Vorwort:
Die vorliegende zweisprachige Anthologie vereinigt zum ersten Mal eine ganze Generation zeitgenössischer serbischer Dichter in einem Band. Damit öffnet sie Raum für sehr unterschiedliche ästhetische wie auch ethisch-ideologische Zugänge. Mit dieser Breite ist ein wichtiges Anliegen des Gedichtbandes verbunden: Er soll ein Bild Serbiens und der serbischen Dichtung vermitteln, das möglichst wenig durch eigene Überzeugungen und Vorlieben geprägt ist. Leitend für die Auswahl der Dichter war deshalb die Rezeption in Serbien selbst, die aufgrund von bestehenden Anthologien, literaturhistorischen Artikeln und Vorschlägen namhafter Kritiker und Dichter erschlossen worden ist.
Ein zweites Anliegen der Anthologie erwächst aus den tragischen Ereignissen der 1990er Jahre und ihrer dominanten Wahrnehmung in der westlichen (insbesondere auch deutschsprachigen) Welt: Alle Autoren sind mit sieben Gedichten vertreten, die einen Einblick in die Gesamtentwicklung ihres dichterischen Werks ermöglichen. Da die älteren, in den 1940er Jahren geborenen Autoren bereits in den frühen sechziger Jahren zu schreiben begannen, stellen die versammelten Texte so ein Panorama der letzten fünf Jahrzehnte dar. Es liegt also in einem gewissen Sinne ein Geschichtsbuch über ein halbes Jahrhundert vor.
Diese Geschichte setzt in den liberal und dezidiert jugoslawisch geprägten sechziger Jahren ein und mündet nach Titos Tod in einen fatalen Wettlauf national-religiöser Identitäten, der auch das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch maßgeblich als „Nachkriegszeit“ erscheinen lässt. Freilich handelt es sich bei diesem Panorama nicht um jene „objektive“ Geschichte, die weiträumig ganze Netze von Ereignissen und Personen zu erfassen versucht, sondern um zerstückelte, vom individuellen Erleben geprägte und sich ihrer Beschränkung bewusste Wahrnehmungsmomente. Diese schillernden und wechselseitig oft unvereinbaren Innensichten setzen nun dort ein, wo die Berichterstattung der neunziger Jahre meist aufgehört hat. Gemeint sind nicht nur selbstkritische Befragungen der eigenen historischen Rolle, die Nöte eines Deserteurs oder die Fremdheit eines Emigranten in Gast- wie Heimatland, sondern auch der weitgehend kanonisierte und dennoch persönliche Blick auf die Geschichte des Kosovo, die Erfahrungen eines Vertriebenen aus der kroatischen Krajina, die mentale Wirkung der Bombardierung der Heimatstadt oder das Empfinden eines heimgekehrten Soldaten. So stehen ländlich-patriarchalisch geprägte Vorstellungen von Familie, Arbeit und Religion in unmittelbarer Nähe zur kämpferischen Profanisierung und ironisch-sarkastischen Unterwanderung eben dieser Werte, um insgesamt ein Bild eines Landes zu vermitteln, dessen schillernde Meinungsvielfalt sich kaum von andern Ländern Europas unterscheiden dürfte. Vor allem aber zeigt sich in dieser schillernden Vielfalt Eines: Die Gedichttexte repräsentieren viel weniger Serbien als das Allgemeinmenschliche, das, wie Nastasijevi? es formulierte, über dem Nationalen blüht und unter dem Nationalen wurzelt.
Dennoch erscheint es notwendig, auch etwas näher auf jene „objektive“ Geschichte einzugehen, die in den Gedichten zwar nur sporadisch aufscheint, nichtsdestoweniger aber jenen Hintergrund abgibt, vor dem man die Texte unweigerlich liest. Hierbei muss ein besonderes Augenmerk der jugoslawischen Periode gelten, da sie manchem Leser weniger präsent sein dürfte als die jüngste Vergangenheit. Im Folgenden sollen dabei die Wechselwirkungen zur Entwicklung der Literatur kurz skizziert werden, wobei die Literaturgeschichtsschreibung der jugoslawischen Periode als weitgehend kanonisiert gelten kann, während die letzten beiden Jahrzehnte in dieser Hinsicht erst ansatzweise Entwicklungslinien erkennen lassen.
Noch bevor die zwischen 1940 und 1960 geborenen Dichter zu schreiben begannen, hatten sich die Literaturen Jugoslawiens von den kollektiven Themen der ersten Nachkriegsjahre – vom Volksbefreiungskrieg und vom sozialistischen Aufbau – befreit. Entscheidende Voraussetzung für die Abkehr von diesen sozrealistischen Prämissen war Titos Bruch mit Stalin (1948), der den Beginn eines „jugoslawischen Sonderwegs“ markierte. Damit waren auch die Grundlagen für einen wirtschaftlichen Aufschwung gelegt, der weit über die Grenzen der „blockfreien Staaten“ hinaus Anerkennung fand.
Die Liberalisierung der FNRJ (Federativna Narodna Republika Jugoslavija/Föderative Volksrepublik Jugoslawien) setzte bereits Anfang der fünfziger Jahre ein, als die Zwangskollektivierung abgebrochen und die rechtliche Stellung der Glaubensgemeinschaften verankert wurde. Neben der Blockfreiheit gründete der eigenständige sozialistische Weg in einem transnationalen Jugoslawismus und einem Selbstverwaltungssystem, das in den 1960-1970er Jahren – in Tuchfühlung mit der Frankfurter Schule – in ganz Europa diskutiert wurde. Die Resultate waren, vor allem in der Zeit der FNRJ, beachtlich. So erhöhte sich das Sozialprodukt von 1953 bis 1965 im Durchschnitt um 8.1% , Bauern und Arbeiter rückten zu geachteten Staatsbürgern auf, die Gleichstellung der Frau wurde gesetzlich verankert (1946), die Abtreibung liberalisiert und die Beschäftigung im Ausland legalisiert. Jugoslawien, das 1963 zur „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ (SFRJ: Socialisticka Federativna Republika Jugoslavija) umbenannt wurde, war damit das einzige sozialistische Land Europas, dessen Bürger mehr oder weniger frei reisen konnten. Entsprechend intensiv war auch der Einfluss westlicher Kultur in Literatur (Existenzialismus, Verismus, Neoavantgarde, Postmoderne), Musik (Jazz, Blues, Pop, Flower-Power, Rock ’n’ Roll), Film (Hollywood, Film noir, Italienischer Neorealismus), Mode (Jeans, Lederjacke), Verhalten (Auflösung patriarchalischer Normen, sexuelle Revolution)…
Als Vorläuferin der in diesem Band versammelten Dichtung ist die emotional geprägte, zum Intimen und persönlichen Bekenntnis hin geöffnete Lyrik zu nennen, die eine erste Reaktion auf die sozrealistische Literatur der Nachkriegszeit darstellte. Diese Aufkündigung des Primats des Kollektiven fand im serbischen Bereich eine besondere Ausprägung bei Stevan Raickovic, in Kroatien bei Autoren um die Zeitschrift „Krugovi“ (Kreise): Slavko Mihali?, Milivoj Slavicek, Ivan Slamnig, Antun Šoljan, und bereits auch bei deren Vorläufern Vesna Parun und Jure Kaštelan.
Auf diese „neoromantische“ Strömung folgten im serbischen Kontext mit Vasko Popa und Miodrag Pavlovic zwei Dichter, die mit der Poesie „der weichen und zärtlichen Stimmung“ (Jovan Deretic) radikal brachen und damit eine „zweite Moderne“ initiierten. Diese Strömung, die sich auf Dichter der „ersten Moderne“ wie Miloš Crnjanski, Momcilo Nastasijevic, Ivo Andric, Miroslav Krleza oder Marko Ristic berief, prägte die 1950-60er Jahre maßgeblich und blieb auch in späteren Jahren wichtiger Orientierungspunkt.
Als in den Sechzigern die ersten hier vertretenen Dichter (Ivan Rastegorac, Milutin Petrovi?, Milan Miliši?, Ismet Rebronja, Rajko Petrov Nogo, Raša Livada, Jovan Zivlak) zu publizieren begannen, sahen sie sich im serbischen Bereich vor allem mit zwei Ausrichtungen der „zweiten Moderne“ konfrontiert. Die erste (mit Borislav Radovi? und Velimir Luki?) trug neosymbolistische Züge und war der Natur und der reinen Lyrik zugewandt, die zweite (mit Miodrag Pavlovi?’s zweiter Schaffensphase, Ivan V. Lali? und Jovan Hristi?) zeigte neoklassizistische Züge und legte den Fokus auf die Geschichte. Für beide Ausrichtungen war die Auseinandersetzung mit dem Existenzialismus von hoher Wichtigkeit. Die neoklassizistische Dichtung gewann dabei an solchem Einfluss, dass sie ihrerseits wieder vehemente Reaktionen evozierte. An prominenter Stelle stehen hier Matija Beckovic’s frühe, sinnlich-heitere Liebeslyrik und Poesie der Estrade wie auch die populär vertonte Dichtung eines Duško Trifunovi?.
Wie bereits mit der Zeitschrift „Krugovi“ angedeutet, ist es kaum vertretbar, die literarische Entwicklung dieser Jahrzehnte ausschließlich innerhalb einer Nationalliteratur beschreiben zu wollen. So stand etwa Beckovic’s Estradendichtung der bosnische Autor Izet Sarajli? zur Seite, der, wie Be?kovi?, eine enthusiastische Rezeption in ganz Jugoslawien erfuhr.
Die vorliegende zweisprachige Anthologie vereinigt zum ersten Mal eine ganze Generation zeitgenössischer serbischer Dichter in einem Band. Damit öffnet sie Raum für sehr unterschiedliche ästhetische wie auch ethisch-ideologische Zugänge. Mit dieser Breite ist ein wichtiges Anliegen des Gedichtbandes verbunden: Er soll ein Bild Serbiens und der serbischen Dichtung vermitteln, das möglichst wenig durch eigene Überzeugungen und Vorlieben geprägt ist. Leitend für die Auswahl der Dichter war deshalb die Rezeption in Serbien selbst, die aufgrund von bestehenden Anthologien, literaturhistorischen Artikeln und Vorschlägen namhafter Kritiker und Dichter erschlossen worden ist.
Ein zweites Anliegen der Anthologie erwächst aus den tragischen Ereignissen der 1990er Jahre und ihrer dominanten Wahrnehmung in der westlichen (insbesondere auch deutschsprachigen) Welt: Alle Autoren sind mit sieben Gedichten vertreten, die einen Einblick in die Gesamtentwicklung ihres dichterischen Werks ermöglichen. Da die älteren, in den 1940er Jahren geborenen Autoren bereits in den frühen sechziger Jahren zu schreiben begannen, stellen die versammelten Texte so ein Panorama der letzten fünf Jahrzehnte dar. Es liegt also in einem gewissen Sinne ein Geschichtsbuch über ein halbes Jahrhundert vor.
Diese Geschichte setzt in den liberal und dezidiert jugoslawisch geprägten sechziger Jahren ein und mündet nach Titos Tod in einen fatalen Wettlauf national-religiöser Identitäten, der auch das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch maßgeblich als „Nachkriegszeit“ erscheinen lässt. Freilich handelt es sich bei diesem Panorama nicht um jene „objektive“ Geschichte, die weiträumig ganze Netze von Ereignissen und Personen zu erfassen versucht, sondern um zerstückelte, vom individuellen Erleben geprägte und sich ihrer Beschränkung bewusste Wahrnehmungsmomente. Diese schillernden und wechselseitig oft unvereinbaren Innensichten setzen nun dort ein, wo die Berichterstattung der neunziger Jahre meist aufgehört hat. Gemeint sind nicht nur selbstkritische Befragungen der eigenen historischen Rolle, die Nöte eines Deserteurs oder die Fremdheit eines Emigranten in Gast- wie Heimatland, sondern auch der weitgehend kanonisierte und dennoch persönliche Blick auf die Geschichte des Kosovo, die Erfahrungen eines Vertriebenen aus der kroatischen Krajina, die mentale Wirkung der Bombardierung der Heimatstadt oder das Empfinden eines heimgekehrten Soldaten. So stehen ländlich-patriarchalisch geprägte Vorstellungen von Familie, Arbeit und Religion in unmittelbarer Nähe zur kämpferischen Profanisierung und ironisch-sarkastischen Unterwanderung eben dieser Werte, um insgesamt ein Bild eines Landes zu vermitteln, dessen schillernde Meinungsvielfalt sich kaum von andern Ländern Europas unterscheiden dürfte. Vor allem aber zeigt sich in dieser schillernden Vielfalt Eines: Die Gedichttexte repräsentieren viel weniger Serbien als das Allgemeinmenschliche, das, wie Nastasijevi? es formulierte, über dem Nationalen blüht und unter dem Nationalen wurzelt.
Dennoch erscheint es notwendig, auch etwas näher auf jene „objektive“ Geschichte einzugehen, die in den Gedichten zwar nur sporadisch aufscheint, nichtsdestoweniger aber jenen Hintergrund abgibt, vor dem man die Texte unweigerlich liest. Hierbei muss ein besonderes Augenmerk der jugoslawischen Periode gelten, da sie manchem Leser weniger präsent sein dürfte als die jüngste Vergangenheit. Im Folgenden sollen dabei die Wechselwirkungen zur Entwicklung der Literatur kurz skizziert werden, wobei die Literaturgeschichtsschreibung der jugoslawischen Periode als weitgehend kanonisiert gelten kann, während die letzten beiden Jahrzehnte in dieser Hinsicht erst ansatzweise Entwicklungslinien erkennen lassen.
Noch bevor die zwischen 1940 und 1960 geborenen Dichter zu schreiben begannen, hatten sich die Literaturen Jugoslawiens von den kollektiven Themen der ersten Nachkriegsjahre – vom Volksbefreiungskrieg und vom sozialistischen Aufbau – befreit. Entscheidende Voraussetzung für die Abkehr von diesen sozrealistischen Prämissen war Titos Bruch mit Stalin (1948), der den Beginn eines „jugoslawischen Sonderwegs“ markierte. Damit waren auch die Grundlagen für einen wirtschaftlichen Aufschwung gelegt, der weit über die Grenzen der „blockfreien Staaten“ hinaus Anerkennung fand.
Die Liberalisierung der FNRJ (Federativna Narodna Republika Jugoslavija/Föderative Volksrepublik Jugoslawien) setzte bereits Anfang der fünfziger Jahre ein, als die Zwangskollektivierung abgebrochen und die rechtliche Stellung der Glaubensgemeinschaften verankert wurde. Neben der Blockfreiheit gründete der eigenständige sozialistische Weg in einem transnationalen Jugoslawismus und einem Selbstverwaltungssystem, das in den 1960-1970er Jahren – in Tuchfühlung mit der Frankfurter Schule – in ganz Europa diskutiert wurde. Die Resultate waren, vor allem in der Zeit der FNRJ, beachtlich. So erhöhte sich das Sozialprodukt von 1953 bis 1965 im Durchschnitt um 8.1% , Bauern und Arbeiter rückten zu geachteten Staatsbürgern auf, die Gleichstellung der Frau wurde gesetzlich verankert (1946), die Abtreibung liberalisiert und die Beschäftigung im Ausland legalisiert. Jugoslawien, das 1963 zur „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ (SFRJ: Socialisticka Federativna Republika Jugoslavija) umbenannt wurde, war damit das einzige sozialistische Land Europas, dessen Bürger mehr oder weniger frei reisen konnten. Entsprechend intensiv war auch der Einfluss westlicher Kultur in Literatur (Existenzialismus, Verismus, Neoavantgarde, Postmoderne), Musik (Jazz, Blues, Pop, Flower-Power, Rock ’n’ Roll), Film (Hollywood, Film noir, Italienischer Neorealismus), Mode (Jeans, Lederjacke), Verhalten (Auflösung patriarchalischer Normen, sexuelle Revolution)…
Als Vorläuferin der in diesem Band versammelten Dichtung ist die emotional geprägte, zum Intimen und persönlichen Bekenntnis hin geöffnete Lyrik zu nennen, die eine erste Reaktion auf die sozrealistische Literatur der Nachkriegszeit darstellte. Diese Aufkündigung des Primats des Kollektiven fand im serbischen Bereich eine besondere Ausprägung bei Stevan Raickovic, in Kroatien bei Autoren um die Zeitschrift „Krugovi“ (Kreise): Slavko Mihali?, Milivoj Slavicek, Ivan Slamnig, Antun Šoljan, und bereits auch bei deren Vorläufern Vesna Parun und Jure Kaštelan.
Auf diese „neoromantische“ Strömung folgten im serbischen Kontext mit Vasko Popa und Miodrag Pavlovic zwei Dichter, die mit der Poesie „der weichen und zärtlichen Stimmung“ (Jovan Deretic) radikal brachen und damit eine „zweite Moderne“ initiierten. Diese Strömung, die sich auf Dichter der „ersten Moderne“ wie Miloš Crnjanski, Momcilo Nastasijevic, Ivo Andric, Miroslav Krleza oder Marko Ristic berief, prägte die 1950-60er Jahre maßgeblich und blieb auch in späteren Jahren wichtiger Orientierungspunkt.
Als in den Sechzigern die ersten hier vertretenen Dichter (Ivan Rastegorac, Milutin Petrovi?, Milan Miliši?, Ismet Rebronja, Rajko Petrov Nogo, Raša Livada, Jovan Zivlak) zu publizieren begannen, sahen sie sich im serbischen Bereich vor allem mit zwei Ausrichtungen der „zweiten Moderne“ konfrontiert. Die erste (mit Borislav Radovi? und Velimir Luki?) trug neosymbolistische Züge und war der Natur und der reinen Lyrik zugewandt, die zweite (mit Miodrag Pavlovi?’s zweiter Schaffensphase, Ivan V. Lali? und Jovan Hristi?) zeigte neoklassizistische Züge und legte den Fokus auf die Geschichte. Für beide Ausrichtungen war die Auseinandersetzung mit dem Existenzialismus von hoher Wichtigkeit. Die neoklassizistische Dichtung gewann dabei an solchem Einfluss, dass sie ihrerseits wieder vehemente Reaktionen evozierte. An prominenter Stelle stehen hier Matija Beckovic’s frühe, sinnlich-heitere Liebeslyrik und Poesie der Estrade wie auch die populär vertonte Dichtung eines Duško Trifunovi?.
Wie bereits mit der Zeitschrift „Krugovi“ angedeutet, ist es kaum vertretbar, die literarische Entwicklung dieser Jahrzehnte ausschließlich innerhalb einer Nationalliteratur beschreiben zu wollen. So stand etwa Beckovic’s Estradendichtung der bosnische Autor Izet Sarajli? zur Seite, der, wie Be?kovi?, eine enthusiastische Rezeption in ganz Jugoslawien erfuhr.
"Eine außergewöhnlich, schöne Anthologie von Gedichten von serbischen Dichtern. Hervorragend begleitet und übersetzt und mit einem informativen Vorwort über die gegenwärtige serbische Literaturszene versehen von Robert Hodel. Auf jeden Fall: Mehr als hundert Gramm Seele!" Georg Pichler
„Wir scheinen zu vergessen, daß wir wahrhaft große Lyriker – nach europäischem und allgemeinem Maßstab – auch in diesem Jahrhundert haben. Unter ihnen ist unseres Erachtens M. Nastasijevi? einer der ersten. Noch mehr, seine 75 Gedichte, die sieben lyrischen Kreisen zugeordnet sind, gehören zur Spitze serbischer Lyrik überhaupt.“ Novica Petkovic
"Der Hamburger Slavist Robert Hodel kann neben Übersetzungen aus dem Russischen auf eine beträchtliche Anzahl Übertragungen literarischer Texte aus dem Serbischen zurückblicken. In „Hundert Gramm Seele“ – zweisprachig, deutsch und serbisch, 2011 in Leipzig erschienen – findet sich eine repräsentative Auswahl serbischer Poesie aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine übersetzerische Herausforderung stellte mit Sicherheit die Übertragung ins Deutsche von Gedichten und Prosatexten des im sprachlichen Ausdruck äußerst hermetischen serbischen Modernisten Momčilo Nastasijević dar („Sind Flügel wohl...“, Leipzig 2013). In seiner neuesten Veröffentlichung „Wie ein Fleck zurückblieb“ versammelt Hodel ausgewählte Erzählungen von Dragoslav Mihailović, einem der wichtigsten serbischen Autoren der Gegenwart. Wie bereits im Fall von Nastasijević ist den rund zwölf Erzählungen hier ein umfangreiches und fundiertes Vorwort vorangestellt, das über das Leben und Werk des serbischen Schriftstellers Auskunft gibt. Wobei sich hier nicht nur die profunde Kenntnis der Materie bemerkbar macht, sondern auch die Fähigkeit, diese einem nicht fachlich versierten Lesepublikum zu vermitteln. Dragoslav Mihailović hat für die serbische Literatur im dokumentarischen Bereich das bewirkt, was Alexander Solschenizyn und andere Klassiker der mittlerweise umfangreichen russischen Lagerliteratur – wie Varlaam Schalamov, Wasili Aksjonov oder Ewgenia Ginzburg – leisteten. Dabei ist Mihailovićs literarisches Zeugnis, das aus der Verbindung von politischer Geschichte und individuellem Schicksal entstand, der deutschen kulturellen Öffentlichkeit kaum bekannt. Obwohl sein Roman „Kad su cvetale tikve“ vier Jahre nach dem Erscheinen von Peter Urban ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel „Als die Kürbisse blühten“ 1972 in Frankfurt am Main publiziert wurde, sind die wahren Wurzeln dieses Buches kaum nachvollzogen. [...] Daher kann der Wert der vorliegenden detaillierten Einführung in das Leben und Werk des serbischen Autors – wie wir sie hier vorfinden – nicht hoch genug geschätzt werden." Dr. Vesna Cidilko, Berlin (Südosteuropa Mitteilungen, 04/2018, S.126-128)
„Wir scheinen zu vergessen, daß wir wahrhaft große Lyriker – nach europäischem und allgemeinem Maßstab – auch in diesem Jahrhundert haben. Unter ihnen ist unseres Erachtens M. Nastasijevi? einer der ersten. Noch mehr, seine 75 Gedichte, die sieben lyrischen Kreisen zugeordnet sind, gehören zur Spitze serbischer Lyrik überhaupt.“ Novica Petkovic
"Der Hamburger Slavist Robert Hodel kann neben Übersetzungen aus dem Russischen auf eine beträchtliche Anzahl Übertragungen literarischer Texte aus dem Serbischen zurückblicken. In „Hundert Gramm Seele“ – zweisprachig, deutsch und serbisch, 2011 in Leipzig erschienen – findet sich eine repräsentative Auswahl serbischer Poesie aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine übersetzerische Herausforderung stellte mit Sicherheit die Übertragung ins Deutsche von Gedichten und Prosatexten des im sprachlichen Ausdruck äußerst hermetischen serbischen Modernisten Momčilo Nastasijević dar („Sind Flügel wohl...“, Leipzig 2013). In seiner neuesten Veröffentlichung „Wie ein Fleck zurückblieb“ versammelt Hodel ausgewählte Erzählungen von Dragoslav Mihailović, einem der wichtigsten serbischen Autoren der Gegenwart. Wie bereits im Fall von Nastasijević ist den rund zwölf Erzählungen hier ein umfangreiches und fundiertes Vorwort vorangestellt, das über das Leben und Werk des serbischen Schriftstellers Auskunft gibt. Wobei sich hier nicht nur die profunde Kenntnis der Materie bemerkbar macht, sondern auch die Fähigkeit, diese einem nicht fachlich versierten Lesepublikum zu vermitteln. Dragoslav Mihailović hat für die serbische Literatur im dokumentarischen Bereich das bewirkt, was Alexander Solschenizyn und andere Klassiker der mittlerweise umfangreichen russischen Lagerliteratur – wie Varlaam Schalamov, Wasili Aksjonov oder Ewgenia Ginzburg – leisteten. Dabei ist Mihailovićs literarisches Zeugnis, das aus der Verbindung von politischer Geschichte und individuellem Schicksal entstand, der deutschen kulturellen Öffentlichkeit kaum bekannt. Obwohl sein Roman „Kad su cvetale tikve“ vier Jahre nach dem Erscheinen von Peter Urban ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel „Als die Kürbisse blühten“ 1972 in Frankfurt am Main publiziert wurde, sind die wahren Wurzeln dieses Buches kaum nachvollzogen. [...] Daher kann der Wert der vorliegenden detaillierten Einführung in das Leben und Werk des serbischen Autors – wie wir sie hier vorfinden – nicht hoch genug geschätzt werden." Dr. Vesna Cidilko, Berlin (Südosteuropa Mitteilungen, 04/2018, S.126-128)
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