Novelle
Eine Dreiecksgeschichte, nichts Ungewöhnliches. Andreas Herwig, Fernsehjournalist, Anfang Vierzig, ist in Mustern steckengeblieben, die sich fortlaufend wiederholen. Beruflicher Erfolg paart sich mit einer zerriebenen Ehe. Seit Jahren flüchtet er sich in kurzlebige Leidenschaften. Die einzige, die ihm das Heimkommen leicht macht, ist die 5jährige Tochter Ricarda. Plötzlich taucht in der Erinnerung sein Bruder auf, der als Kind gestorben war - und alles verändert sich.
Uta Hauthal erzählt packend und sinnlich die Geschichte eines Mannes, der glaubte, daß ihm die Welt zu Füßen liege, und erkennen muß, daß sein berauschendes Selbstgefühl nur eine Flucht vor sich selbst und seiner familialen Verstrickung ist.
Uta Hauthal: geb. 1966, Studium der Musik und Germanistik in Potsdam (Lehramt), 1989-1994 Gymnasium Weißenfels-West, neun Monate auf Hydra (Griechenland), einjährige Tätigkeit am Haydn-Gymnasium in Dresden, Forschungen zur Schulgeschichte Dresdens an der TU, seit 1994 Auftritte mit musikalisch-literarischen Programmen, seit 2000 Mitglied des Dresdner Chors „femmes vocales“, seit August 2002 am Berufschulzentrum für Gastgewerbe und Agrarwirtschaft, lebt in Dresden
"Die Dresdner Autorin Uta Hauthal veröffentlicht mit dieser Novelle ihre erste größere Prosaarbeit. Intelligent, einfühlsam und sinnlich geht sie der Suche nach Liebe in der heutigen Zeit auf die Spur. Sie greift Bruchstücken auf und setzt sie in Beziehung. Behutsam deutet sie eine Lösung an, um sie zum Schluss dann wieder im Raum stehen zu lassen. Uta Hauthal kommt von der Lyrik. Neben den genannten Tiersymbolen nutzt sie weitere Metaphern. So erfährt auch die Linde in der Novelle eine besondere Bedeutung. Uta Hauthals Spielen mit der Sprache verleiht dem Werk Präzision und Plastizität." Dorit Oehme
Leseprobe:
Er hatte sie die ganze Zeit angesehen. Jetzt schloß er, plötzlicher Erschöpfung nachgebend, die Augen. Mit den Fingerkuppen ihrer rechten Hand fuhr sie seinen schweißnassen Rücken hinab, die Haut zuckte unter der Berührung. Er wollte von ihr umhüllt bleiben, doch der übermüdete Leib forderte sein Recht. Es tat weh, als er sich von ihr löste, Haut klebte an Haut. Einen Wimpernschlag später war er eingeschlafen.
Ulrikes Kopf lag dicht neben dem seinen. Noch glänzten winzige Tropfen auf seiner kräftigen Stirn, und selbst jetzt, im Schlaf, wich die Anspannung nicht völlig aus seinen Zügen. Davon bemerkte Ulrike allerdings nichts, sie genoß einfach den Anblick des Mannes, den sie begehrt hatte wie noch keinen zuvor. Ganz natürlich mischte sich in ihr Glücksgefühl ein Hauch von Triumph.
Andreas arbeitete als Fernsehjournalist beim hiesigen Sender, in seinen Reportagen gab es mehr Fragen als Antworten, verbunden mit etwas, das als ernsthafte Ironie bezeichnet werden könnte. Auch überregionale Fernsehstationen hatten bereits auf seine Beiträge zurückgegriffen. Er war der beste hier, und er wußte das.
Anne Zander, die Chefin, hatte über Ulrikes ungläubiges Gesicht gelächelt, als sie ihr mitteilte, Andreas Herwig würde mit seinem Team kommen. Ulrike war Lehrerin an einer Grundschule, keiner gewöhnlichen Grundschule allerdings. Vor fast zwei Jahren war der Modellversuch zur Integration hochbegabter und behinderter Kinder gestartet. Die Reformpädagogen hatten es Ulrike angetan mit ihrem Blick vom Kind aus, doch Leistung sollte ebenfalls in der Schule gefordert werden, fand sie. So war ein Mischkonzept entstanden, das auch Andere zu überzeugen vermochte. Anne Zander, die kleine, unscheinbare Frau, hatte sich auf einen zähen Kampf mit Regionalschulamt und Kultusministerium eingestellt, der erstaunlicherweise nicht nötig gewesen war, die Türen standen offen.
Nach der Bestätigung ließen sich vier von Ulrikes 20 Kolleginnen in den Vorruhestand schicken, zwei weitere stellten Versetzungsanträge. Alle Anderen gaben sich in das Projekt hinein genau wie sie. Wesentlich zum Gelingen trug die Unterstützung der Eltern bei, die sich um die soziale Entwicklung ihrer Kinder in einer anderen staatlichen Schule gesorgt hätten.
Als er sie begrüßte, flatterte ihre Bauchdecke. Aufmerksamer heller Blick. Mit einer gewohnheitsmäßigen Bewegung durch das mittellange glatte Haar schuf sie Abstand, sie begann über ihre Arbeit zu sprechen.
Gemeinsam mit Anne Zander sah Ulrike den Bericht von Andreas Herwig über die Modellschule. Die beiden Frauen nickten einander zu, er hatte sie verstanden.
Einen Tag nach der Sendung rief er an. Ulrike hörte den Anrufbeantworter ab, seine sinnlich-weiche Stimme, die sie vorher nicht wirklich wahrgenommen hatte, weckte das Flattern in ihrem Bauch erneut, und es verließ sie nicht mehr.
Sie trafen sich zuerst in einem Café an der Elbe, das zweite Mal in seiner Dienstwohnung. Das zweite Mal? Ulrike kannte ihn schon immer, sie war sich ganz sicher.