Gedichte, zweisprachig. Aus dem Slowakischen von Slávka Porubská
Nur noch wenige Exemplare.
Die Haut als äußere Hülle des Körpers hat nicht die Stärke und Festigkeit eines Panzers, sie ist eine durchlässige, dehnbare und formbare Membran. In Haugovás Texten wird die Haut zu einer Kommunikationsfläche des Körpers, die Impulse in der Form von Berührungen registriert, verarbeitet und weiterleitet, aber auch verändert. Wie Kleider wird hier die Haut abgelegt, der männliche und weibliche Körper entledigen sich ihrer Verhüllung, um sich im Liebesakt zu vereinen: „im heißen Schatten gleitest du in mich hinein / und nimmst mich mit der ganzen Insel“. Die intime Kommunikation zwischen Mann und Frau: sie wird und wirkt extrem, radikal, bedingungslos. In die gesteigerte Empfindlichkeit ohne die schützende Hülle der Haut ist gleichsam auch die Verletzbarkeit eingeschrieben. Das Lieben verliert seine rein körperliche Konnotation; es berühren sich nicht nur die Körper, sondern die sich Liebenden in den Grundlagen ihres Seins. Ein derartiges Verschmelzen, Ineinander-Übergehen als Erlebnis einer bedingungslosen Ent-Grenzung bringt die Notwendigkeit mit sich, sich eine wiederholte körperliche Be-Grenzung durch das erneute (metaphorische) Überstreifen der Haut aufzuerlegen. (Slávka Rude-Porubská und Brigitte Rath)
Mila Haugová: geboren 1942 in Budapest, emigrierte 1968 nach Kanada, kehrte nach einem Jahr zurück, übersetzt aus dem Deutschen (Celan, Trakl, Lasker-Schüler, Mayröcker), Englischen (Sylvia Plath) und Ungarischen. Mila Haugová lebt in Bratislava und Levice.
– a z vitríny času –
nepamätá si vlastnú tvár
alebo tú si pamätá najmenej:
jediný žiari svet
za sklopenými viečkami:
prízvučný pohyb
forma strateného vosku:
stopa muža v žene
vlásočnicové rastlinotelo:
vyčistenie vzdialeností
záhrada v tele oka:
rozhranie snov
gamety algy rizóm:
dážď nás rozmýva
horizont kde nie sú vtáci:
telo priťahuje príbeh
pomalú temnú dieru v ľade:
– und aus der Vitrine der Zeit –
erinnert sie nicht das eigene Gesicht
oder erinnert sie sich daran am wenigsten:
einzig leuchtet die Welt
hinter gesenkten Lidern:
stimmhafte Bewegung
Form des verlorenen Wachses:
die Spur des Mannes in der Frau
kapillarartiger Pflanzenkörper:
Reinigung von Entfernungen
Garten im Körper des Auges:
Grenzlinie der Träume
Gameten Algen Rhizom:
der Regen verwäscht uns
ein Horizont wo es keine Vögel gibt:
der Körper zieht die Geschichte an
ein langsames dunkles Loch im Eis:
sníva sa mi som vzlietajúci vták
ale priestor sa nerozrastá
keď pošle Boh anjelov k duši
sú skutočne spoznateľní
(rekonštrukcia tvaru krídla)
otváram sa (nie sem)
rozťahujem chrbát
zostávam človekom vlysom dychom
voskom pigmentom na povrchu dychu
zostaň poviem si aj keď len
ľudské zviera
stúlené so psom
ich träume ich bin ein hinauffliegender Vogel
aber der Raum vergrößert sich nicht
wenn Gott die Engel zur Seele schickt
sind sie tatsächlich erkennbar
(Rekonstruktion der Flügelform)
ich öffne mich (nicht hier)
ich dehne den Rücken
ich bleibe Mensch mit Fries Atem
Wachs Pigment an der Oberfläche des Atems
bleib sag ich mir wenn auch nur
ein menschliches Tier
an den Hund angeschmiegt
Zima sa teraz natíska do mojej betónovej
jaskyne sníva sa mi ako sa priplazí
(kdesi v hmlistom počiatku pamäti)
k ohnisku (zelený záblesk v úzkom oku)
opatrne si ľahne k mojim nohám a spíme tak
pri chladnúcej pahrebe
sneh na tvári
opatrne ma začína milovať.
Der Winter dringt jetzt ein in meine
Betonhöhle ich träume wie er angekrochen kommt
(irgendwo im nebligen Gedächtnisursprung)
ans Feuer (ein grünes Aufblitzen im schmalen Auge)
vorsichtig legt er sich zu meinen Füßen und so schlafen wir
an der erkaltenden Glutasche
Schnee im Gesicht
fängt er an mich zu lieben.
obnovenie raja prízvučné pohyby predĺženie medzier
medzi slabikami rastlín: aby nás prijali: aby si nás
zapamätali: všetky vzlyky modlitby obete: živé vnútri
horúce kamene
aby si otvorila dvere tam kde práve sú: v stene: v múre
s úlomkami kamienkov štrku nás: hranica nehy: všetko
na čo sa pozriem je moje
keby bol vedel milovať mohol milovať veľmi: tvár
pod ľadom: extrémna bolesť: objímajúci hlas
v zatvorenom
príbehu (milenci v izbách) sotva počuteľne dýchajú
tvár dovnútra: za stenou naučeného rozhovoru: tvár
tela príbehu seba: som tu aby som navždy tu
už nebola
(transcendencia modrej)
Erneuerung des Paradieses stimmhafte Bewegungen
Vergrößerung der Lücken
zwischen den Pflanzensilben: damit sie uns annehmen:
damit sie sich an uns
erinnern: alles Weinen Beten Opfern: lebende im Inneren
heiße Steine
damit du die Tür dort öffnest wo sie gerade ist: in der
Wand: in der Mauer
mit Bruchstücken von kleinen Steinen von Kieseln von uns:
Grenze der Zartheit: alles
was ich nur anschaue ist meins
wenn er hätte lieben können hätte er sehr geliebt: Gesicht
unter dem Eis: extremer Schmerz: umarmende Stimme
in der geschlossenen
Geschichte (Liebende in den Zimmern) kaum hörbar atmen sie
Gesicht nach innen: hinter der Wand des erlernten
Gesprächs: Gesicht
des Körpers der Geschichte seiner selbst: ich bin hier
um hier für immer
nicht mehr zu sein
(Transzendenz des Blaus)
som teraz zatvorená v sebe
v slučke slov kde sú
slabiky prinútené mlčať
divá
útrobná
dráždivosť
bosá do K.
chladná (opustenosť)
v tvrdom snehu ústa
žiaria z ubližujúcej krajiny
(smäd) v jej prasklinách umieranie
(doteraz) v pomalej láske koža vzduchu
sa na mňa pritláča všetko čo vidíš
je tvoje dotkni sa lebo to už
viac neuvidíš môj hlad túži po inom
(1. 1. 2000)
ich bin nun in mir verschlossen
in der Wortschlinge wo die
Silben zum Schweigen gezwungen sind
wilde
viszerale
Reizbarkeit
barfuß nach K.
kühle (Verlassenheit)
im harten Schnee der Mund
leuchtet aus der verletzenden Landschaft hervor
(Durst) in ihren Rissen Sterben
(bis jetzt) in langsamer Liebe die Haut der Luft
drückt sich an mich alles was du siehst
ist deins berühre es denn du wirst es nie mehr
sehen mein Hunger sehnt sich nach anderem
(1. 1. 2000)
Aus dem Slowakischen von Slávka Porubská
"Eine weitere zentrale Metapher in Haugovás Schreiben ist der Garten. Im Garten liebt die Dichterin, hier verzweifelt sie und findet wieder zum Glauben, hier verfaßt sie Psalme und kassandrische Prophezeiungen, hier wendet sie den Fluss in den Gegenfluss, um sich immer wieder zu vergewissern, wo die Quelle der Liebe ist. Wo Alpha ist. Garten ist für Haugová zugleich ein Garten der Sprache und des Schweigens, ein Omega-Ort; Garten als Asyl und Privatparadies für Zwei, gleichzeitig Ort der immerwährenden Wandlung, an dem die Veränderung der Seele der gesamten Welt zu beobachten ist. Der Garten ist ein Spiegel von Haugovás Denken und Fühlen, er atmet und leidet mit ihr…" Dana Podracká
"... Bilder, Zeichen, Kerben sind Grund der Sinne, aller Wahrnehmung des Leibes, Spur, und so erkundet Mila Haugová das ‘Herz mit seinen Territorien’, so schreibt sich der ‘nie beendete Text des Körpers’ ..." Ludwig Hartinger
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Als ich mir den Band "Körperarchive" kaufte, war ich von den Gedichten sofort fasziniert, denn da textete jemand Gebilde in einem ganz eigenen lyrischen Ton, ohne Alliteration und Akzent, dafür mit Enjambement und einer „Fast–Stichomythie“. Texte, die über einen wissenschaftlichen Horizont verfügten, der aufgehoben wurde durch Sensibilität und punktgenaue Verse. Es war beglückend, diese Dichterin im Leipziger Literaturverlag zu wissen, gehört Mila Haugová doch heute mit ihrem Werk zu den bedeutsamsten Lyrikschaffenden Osteuropas, auch dank dieser Veröffentlichung. Alles weitere, ihr Geburtsjahr, das Studium der Agrarwissenschaften... – siehe Google. und auch die beiden Bücher, die Ende der Neunziger Jahre im BONsai – typArt Verlag und bei der Edition Thanhäuser veröffentlicht wurden, waren mir nicht bekannt. Der Gedichtband "Sandatlas", in der Edition Korrespondenzen erschienen, entging meinem schweifenden Auge beim Buchhändler. Aber sie zeigen rückblickend an, dass da eine Dichterin und Übersetzerin am Schreiben war, die eine gewisse Rolle in der slowakischen Literatur spielte und deren Texte auch anderen Lyrikenthusiasten aufgefallen waren. Gedichte, die erkennen lassen, wie ambivalent Sprache ist, ohne sie in der Zuweisung zu verletzen.
Als ich mir den Band "Körperarchive" kaufte, war ich von den Gedichten sofort fasziniert, denn da textete jemand Gebilde in einem ganz eigenen lyrischen Ton, ohne Alliteration und Akzent, dafür mit Enjambement und einer „Fast–Stichomythie“. Texte, die über einen wissenschaftlichen Horizont verfügten, der aufgehoben wurde durch Sensibilität und punktgenaue Verse. Es war beglückend, diese Dichterin im Leipziger Literaturverlag zu wissen, gehört Mila Haugová doch heute mit ihrem Werk zu den bedeutsamsten Lyrikschaffenden Osteuropas, auch dank dieser Veröffentlichung. Alles weitere, ihr Geburtsjahr, das Studium der Agrarwissenschaften... – siehe Google.
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