Roman. Aus dem Portugiesischen von Markus Sahr. Mit 5 Farbtafeln von Kati Küstner
Eine Frau in Lissabon, zwischen Familie, Arbeit und dem unwiderstehlichen Wunsch nach einem ursprünglichen Atmen, nach Anfang. Sie könnte "Irrlicht" heißen oder "Schicksal", "Destiny", "D.", ebenso "Granada", "Granat", die rote Farbe des Lebens. In ihrem amourösen Briefwechsel mit einem Amerikaner unterschreibt sie mit "y" (gelesen "why"), "es ist die Frage schlechthin" - warum? Für jeden dieser Namen spricht etwas; gegen sie aber spricht, daß sie vereinheitlichen, auf ein Gesicht reduzieren, wo "die Frau" mehrere Gesichter hat - und damit auch mehrere Namen haben müßte oder keinen.
Yvette K. Centeno: geb. 1940, lebt in Lissabon. Sie übersetzte Shakespeare, Goethe, Stendhal, Brecht und Celan ins Portugiesische. An der Universidade Nova lehrt sie als Germanistin vergleichende Literaturwissenschaft. Auf Deutsch erschien 2004 "Im Garten der Nußbäume".
"Ein wunderbares - wenn auch streckenweise beunruhigendes - Stück Prosa, das nun, Jahre nach der Erstveröffentlichung in Portugal, in eine hervorragende deutsche Fassung übersetzt wurde." Michael Kegler (Novacultura)
"Die bevorzugte sprachliche Form von Yvette Centeno ist die Frage, was heißt, daß dieses Schreiben eine Suche und ein Stück Weg ist." Stephen Reckert
Leseprobe:
Sie schloß die Augen.
– Ich kann mich so besser unterhalten, in kurzem Aufblitzen, in flashes, erinnernd.
– Schreiben ist das Schwierigste.
– Eine Seele wiedererfinden, mehrere Seelen, ein Leben, mehrere Leben.
– Einschläferung.
– Im Gegenteil, Reise, Wagnis.
– Traum.
– Ich, in der Küche, beim Abräumen der Reste. In der Pfanne ein Steak. Der Vater kommt herein. Auf einem Bügel trägt er drei Anzüge, die er nicht mehr braucht. Sie sind zum Verschenken.
Der Vater: der Vater ging voraus, er entledigte sich des Fleischs, und ein paar Jahre später entledigte er sich der Knochen; danach erschien er wieder; trat in die Küche, ein paar Anzüge in der Hand, drei, auf demselben Bügel; ich brauche sie nicht mehr, sagte er und gab sie der Tochter.
– Ich behalte den Vater zurück, die drei, die eins, die Anzüge zum Verschenken, es ist das Leben, das sich abgenutzt hat, das über sich hinaus ist und zu nichts mehr gut.
– Es ist kein Haus, es ist ein Meer, ein Raum, in dem die Dinge sich auflösen. Wie schwer es ist, stark zu sein, sich zu widersetzen, den Wunsch am Brennen zu halten.
– Straßenfest. Wahlkampf. 1986, Wahlen zum Präsidenten.
– Treue bei der Linken wie bei der Rechten. Und wer rettet die Republik vor so viel Treue?
– Es sind keine Worte, es ist Fliegenpapier.
– Löschpapier.
– Aufkleber...
– Fangnetze.
– Filter.
– Abflußrohre, Mülleimer. Müll, ja. Das ist es.
– Luxus. Gedankenlose Wiederholung dessen, was man liest.
– Es gibt keine Veränderung. Nur Kränkungen.
In der Hand hält sie die Schale und in der Schale einen Raum für die Kugel. Es ist ein jüdisches Ritual. Sie wird wach und hört, wie es vier Uhr schlägt. Es ist das erste Mal, daß sie sich daran erinnert, von etwas Jüdischem zu träumen. Sie ist mit anderen in einem Zimmer, nimmt an einem Spiel teil, dem Ritual. Doch die Schale und die Kugel? Ihr Gesicht im Spiegel macht Angst. Gealtert, aufgedunsen.
– Tu es ma claire lumière, ma fontaine d’eau douce.
– Rotweißes Einhorn, ich sehe es in der Ferne, wenn ich den Kopf hebe, nachdem ich krank wurde.
– Ich weiß, was es bedeutet. Begegnung mit dem Steinbock, mit dem weißen Schnee des Winters, mit der roten Nachtsonne, mit den Widersprüchen der Seele. Es ist keine Krankheit, sondern Erneuerung.
– Wie ein Tier suchte ich die Wunde, um sie zu lecken.
– Heile die Leidenschaft, verstecke sie in einem silbernen Nadelkissen, wie man früher welche hatte, fein mit Blumen verziert.
– Für mich ist der Heilige Geist eine Art schwachsinniger Taube. Sie flattert und pickt nach Krumen, doch fehlt ihr der Hauch, die schöpferische Kraft.
– Ich sehe die Kraft im Wind, im Schoß, im Wort. In einem spiralförmigen Bündel.
– Auch ich mißtraue den Vorzeichen.