Fotos und Texte
Eine Reihe zufällig entdeckter Objekte, an denen das Beharrungsvermögen fasziniert oder die Flüchtigkeit: Bis auf zwei Ausnahmen handelt es sich um von Menschen geschaffene Dinge, die an Orte gebracht wurden, wo sie nicht hingehören, die durch ihr Nicht-mehr-Gebraucht-Werden die Standorte selbst kennzeichnen als "ver-kommene" Stätten. Ihre Beschädigungen und Zerstörungen, ihr Fehl-am-Platze-Sein machen eines deutlich: nichts währt ewig. Zu jedem Foto hat Thomas Böhme ein Prosastück geschrieben, in dem er über die Herkunft des Abgebildeten spekuliert und ins Erzählen kommt: von der Geschichte hinter den Dingen.
"Das Fotografieren ist ein Faible von Thomas Böhme. Immer ein persönliches Faible, das dann doch nicht privat bleibt. Mit der Publikation Jungen vor Zweitausend präsentierte sich der fotografierende Schriftsteller erstmals der Öffentlichkeit. Nun ist der Band "Widerstehendes" da. Der ist keine beliebige Fortführung. Die Poesie der Farbfotos, die Philosophie der Texte machen den Bild-Wort-Band zu einem Böhme-Buch der unvergleichbaren Art. Jedes Foto ist das Foto eines Menschen, dessen Augensinn ungetrübt ist. Jedes Wort ist das Wort eines Menschen, der keine Vokabel vergeudet. Jedes Foto, jedes Wort ist für Menschen, die, sehend, nicht übersehen, die, lesend, nicht überlesen. Sehen heißt, zu sehen, daß nichts nichtig ist. Kein zerfallendes Wagenrad, kein bröselnder Balken, keine rostzerstörte Leuchte, keine ausgediente Bahnhofsuhr. Lesen heißt, sich beteiligen zu lassen an den Geschichten der "gestorbenen" Gegenstände, die ein Nach-Leben haben. Ein Nach-Leben, das nur die Seher wahrnehmen. Ein Nach-Leben, an dem nur die phantasievollen Leser teilnehmen." (Bernd Heimberger)
Thomas Böhme: geboren 1955 in Leipzig, 1981-1984 Studium am Literaturinstitut, Mitglied des PEN-Zentrums und der Freien Akademie der Künste Leipzig
Leseprobe:
Die Wetterstation
Kein Ziegel gleicht dem anderen. Daß die Schauseite einer Ziegelwand weniger als ein Sechstel vom Stein sichtbar werden läßt, kann jeder Maurer bestätigen. Was wir sehen, ist die „Wetterseite“ des Ziegels. Abschürfungen, Einsprengsel, Angriff der Flechten und des Salpeters – im Grunde eignet sich jede Außenmauer zur Wetterstation. Das aufgeschraubte Thermometer macht es nur deutlicher. Wozu aber diente das quadratische Fensterchen, in dem sich jetzt diffuse Dunkelheit eingenistet hat? Vielleicht zur Messung der Intensität der Lichtmoleküle? Irgendwo sind die Daten, die hier abgelesen wurden, aufbewahrt, aber wer benötigt sie noch? Und wann hat die Flüssigkeit in der Kapillare des Thermometers es aufgegeben, in die rostigen Höhen tropischer Temperaturen hinaufzusteigen? Allmählich ist das Meßgerät selbst zum Opfer des Meßbaren geworden. Die Wetterkapriolen aus drei, höchstens vier Jahrzehnten haben ganze Arbeit geleistet. Und dennoch: Regen, Wind und Hagel, Blitzeis, Sonne und Schnee wurden sorgfältig registriert. Irrtum ausgeschlossen.
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