Roman. Aus dem Portugiesischen von Markus Sahr
Es ist der portugiesische Seefahrer Raphael Hythlodeus, Begleiter von Amerigo Vespucci, aus dessen Mund Thomas Moore von der Insel Utopia erfährt. Wo sie liegt, hat Raphael vergessen mitzuteilen. Bei Alegre ist "Rafael" die Figur, aus dessen Perspektive etwa zehn Jahre portugiesischer Geschichte erzählt werden. Sie beginnt mit der Flucht aus Coimbra über Spanien nach Frankreich und endet mit der Nelkenrevolution. Dazwischen liegen Jahre des Exils in Paris und Algerien. Zahlreiche Decknamen, gefälschte Pässe, der Alltag im Untergrund, geheime Zusammenkünfte, Zweifel an der eigenen Mission und der Austritt aus der Kommunistischen Partei Portugals nach dem Einmarsch der Truppen in Prag. Zehn Jahre lang war Alegre die Ikone der Opposition gegen den Faschismus, im Kampf für die Freiheit, bis zum Sturz des Salazar-Regimes. Er sieht sich selbst und viele andere als "Rafael".
"Portugal in Paris, nie empfand ich eine solche Demütigung, einen solchen Schmerz, mein Land schmerzt mich bis ins Mark. In Angola, in Guinea und Moçambique sind Hunderttausende aufgestellt im Karree, um ein Nichts zu verteidigen, hier sehe ich das Imperium von der Kehrseite, deshalb habe ich heute keine Geduld für die subtilen Unterschiede der Zitate, ich stelle mich taub für Wladimir Iljitsch Uljanow, 'Lenin’, mein Name ist portugiesisch, mein Land ist begraben im Busch von Angola und in der Scheiße von Paris ..." (Manuel Alegre)
"Unmöglich zu unterscheiden, das, was real ist, von dem, was Fiktion ist. Wahre Gedichte in Prosa, erzählen sie einen Traum von der Freiheit und von der Rückkehr in die Heimat, gelebt und geschrieben mit Blut." José Augusto Seabra
"Manuel Alegre ist von unbestechlichem Charakter, unbeugsam und ungebeugt." Miguel Veiga
Manuel Alegre: geboren 1936 in Águeda, lebte während der Salazar-Diktatur im Exil, seit 1965 zahlreiche Gedicht- und Prosabände, mit "Uma flor de verde pinho" gewann er 1976 den Preis des "Festival RTP da Canção", seit 1975 Mitglied des portugiesischen Parlaments, 2006 Präsidentschaftskandidat in Portugal
Leseprobe:
Wieder einmal verlor ich den Koffer. Ich bin im weißen Flughafen einer weißen Stadt.
Suche ein Taxi, doch sämtliche Taxis sind schon abgefahren. Ich weiß nicht einmal
mehr, wo ich bin. Ich stelle fest, daß es keine Busse mehr (oder noch nicht wieder)
gibt. Vielleicht träume ich ja. Vielleicht auch nicht. Vielleicht bin ich ja wach im
Traum. Exil, sagen sie, Verbannung. Und das ist es. Ein weißer Flughafen in einer
weißen Stadt. Ein Notfall und Niemand.
1.
Später wird es heißen, daß es sich um eine weitere Falle gehandelt habe, daß eine Brigade bereitstand, sie in Madrid abzufangen, es nur durch Zufall nicht dazu kam, durch einen Irrtum in der Zeit und des Orts. Doch wie soll man sicher sein, wie wissen, ob es stimmt oder nicht, und wie konnten sie vorhersehen, daß dem so war, vor allem nach dem skandalösen Tod des Generals? Doch es war ja möglich, daß es stimmte, später konnte alles geschehen sein, wer weiß, ob es nicht zutraf, daß zwei Stunden zuvor eine Brigade in dem Café dem Restaurant gegenüber war, wo sich Rafael, Jorge Fontes und Manuel Maria trafen. Es war lange nach Angola und nach dem Gefängnis, lange sogar nach jenem Tag, an dem sie ankam, atemlos, Leocádia, die Zugehfrau, auch sie erledigte ein paar unbedeutende Arbeiten im Haus des Polizeikommandanten: Flieh, mein Junge, flieh, denn sie werden dich wieder festnehmen, es war die Tochter des Kommandanten, die mich bat, dich zu warnen. Ja, es war lange vor diesem Tag, an dem sie mir heimlich ein Briefchen zusteckte, ich las es nicht einmal, steckte es in die Tasche, Isabel, meine Mutter, suchte einen Reisekoffer, noch voller Etiketten der großen Hotels in Europa, sie war nervös, doch sicher, sie wußte, daß es vielleicht unabänderlich war, doch sie weinte nicht, beherrschte sich nur dann nicht, als Filipa, meine Großmutter, mir fünftausend Escudos aushändigte: Nimm, sagte sie, du wirst sie mit Sicherheit brauchen, und ich werde dich nie wiedersehen.
Es war lange nach diesem Aufbruch, man wird sogar sagen, daß einer der höchsten Chefs des Regimes zugegen war, alles sei sorgfältig vorbereitet gewesen, der falsche Deserteur eingeschleust in Algerien, die Zusammentreffen in Paris von ihm organisiert, sogar, dieses Mal, die Bekanntschaft mit dem spanischen Geheimpolizisten und dessen Duldung. Vieles wird man lange Zeit später sagen, tausendmal wird die Wahrheit erlogen, tausendmal die Realität in Fiktion verwandelt sein. Doch an diesem Tag, zu jener Stunde, in diesem Restaurant, demselben, das ein Kommando der ETA lange Zeit später zerstören würde, an diesem Tag, zu dieser Stunde, an diesem Ort, treffen sich nur Rafael, Jorge Fontes und Manuel Maria, während in Madrid zwei Abgesandte von der Pide eintreffen, ich kann beinahe schwören, daß ich weiß, wer sie sind, doch wenn ich es sage, wird man mich beschuldigen, Geschichte und Fiktion durcheinander zu bringen, alles durcheinander zu werfen, Wahrheit und Verstellung, als ob so nicht das Leben selbst wäre, die Schrift.