Kapitel 28 aus dem Ishinpō | Yixinfang 醫心方
400 Seiten. Mit einer ausführlichen Einleitung, zahlreichen Abbildungen und Kommentaren, Fadenheftung
Aus dem Chinesischen von Viktor Kalinke
Das Fangnei wird in Fernost als die ›Bibel des Sex‹ gefeiert. So wird aus der Liebe eine Liebeskunst. Männer können sie erlernen, damit Frauen glücklich werden. Erstmals in deutscher Sprache. Tamba Yasuyori (912–995) stammte aus einem alten chinesischen Königsgeschlecht und diente dem Kaiser von Japan als Leibarzt. Sein Sammelband zur chinesischen Medizin gehört zum japanischen Nationalschatz. Das Kapitel Fangnei widmet sich der Frage, wie es gelingen kann, mit Hilfe sexueller Praktiken das Leben zu verlängern. Es geht um innere Anziehung, passende und reizvolle Stellungen, aphrodisierende Substanzen und um den Umgang mit unvermeidlichen körperlichen Unzulänglichkeiten.
„Die grundlegende Gleichheit zwischen Frau und Mann, mit einer leichten, aber entschiedenen Betonung auf der Wichtigkeit des Weiblichen, ist bis heute ein charakteristischer und elementarer Aspekt der chinesischen Sicht auf die Sexualität geblieben.“ Rev. Yimen
Das Buch enthält außer der deutschen Übersetzung die Standardausgabe in chinesischer Sprache, die Pinyin-Lautumschrift sowie zahlreiche Anmerkungen, Kommentare, Abbildungen und eine Einführung zu den Hintergründen.
Tamba Yasuyori (Pinyin: dān bō kāng lài) 丹波 康頼 (912-995): wurde im 12. Regierungsjahr des Yenshi 延喜 in Japan geboren. Seine Vorfahren waren Übersiedler aus China. Tamba Yasuyori selbst stammte aus dem Bezirk Amata in der Provinz Tamba 丹波國 (heute Fukuchiyama, Präfektur Kyōto). Tamba Yasuyori arbeitete als Arzt am Hof des Tennō und verfaßte in den Jahren 982 bis 984 auf dreißig Schriftrollen das Ishinpō. Er kannte sich in der chinesischen Literatur bestens aus und griff präzise auf mehr als hundert Texte der Han-, Sui- und Tang-Zeit zurück. Das fertige Werk stellte er dem Tennō 円融天皇 (959-991, r. 969-984) zur Verfügung. Es deckt das gesamte medizinische Wissen der damaligen Zeit ab. Dafür erhielt er vom Kaiser den Beinamen Tamba Shukune und wurde zum Begründer der Tamba-Familie, die sich seither dem Arztberuf verpflichtet sieht. Zum genealogischen Hintergrund der Familie Tamba gibt es verschiedene Theorien, insbesondere über die Vorfahren von Yasuyori. So wird behauptet, daß er ein Mitglied des Sakagami-Clans gewesen sei, der von einer wandernden Linie abstammt, und daß ein entfernter Verwandter Kaiser Lingdi 靈帝 aus der Östlichen Han-Dynastie gewesen sei. In vielen Biographien Yasuyori’s wird diese These übernommen. Lingdi’s Urenkel waren vor einem Krieg nach Japan geflohen und ließen sich zunächst in Yamato nieder; später zogen sie nach Tamba-gun, wo sie ihren Namen änderten. Unter seinen vielen Brüdern fiel Yasuyori wegen seiner Intelligenz, Gelehrsamkeit und ausgezeichneten medizinischen Fähigkeiten auf und wurde vom Kaiser an den Hof geholt.
Viktor Kalinke: geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Promotion, Professur, lebt in Leipzig, übersetzte und kommentierte das Daodejing von Laozi sowie das Buch Zhuangzi.
Überlieferungsgeschichte und Hintergründe:
Das Fangnei bildet Kapitel 28 im Ishinpō (Pinyin: Yixinfang) 醫心方, dem groß angelegten Kompendium zur chinesischen Medizin von Tamba Yasuyori. Ursprünglich existierte nur ein Exemplar des Buches, das der japanische Kaiser Ende des 10. Jahrhunderts in Auftrag gab. Gelegentlich gelangten kleinere Auszüge in Umlauf, doch ab dem 13. und 14. Jahrhundert wurde das Ishinpō seltener konsultiert und verschwand in den Schränken der kaiserlichen Bibliothek. Dort schlummerte es, bis es 1554 auf Anordnung des Tennō Ōgimachi dem Hofarzt Nakarai Zuisaku überlassen wurde. Eine Abschrift, die in der Familie Tamba verblieben war, ging verloren. 1854 übergab die Familie Nakarai das Werk der Tokugawa-Regierung. Heute befindet es sich im Nationalmuseum Tokio und gehört zum Nationalschatz Japans. 1860 wurde der Text erstmals in einer Holzblock-Druckausgabe in einer Auflage von 500 Exemplaren veröffentlicht. Während einer Reise nach Japan war 1870 der Diplomat Yang Shoujing der erste chinesische Gelehrte, der das Buch entdeckte. In Japan fiel die Publikation von Kapitel 28 des Ishinpō unter die Zensur. Als 1906 eine vollständige Ausgabe erschien, wurde das Fangnei-Kapitel sofort verboten, als sittenwidrig denunziert und der weitere Druck untersagt. Bei der Nachauflage von 1909 übersahen die Behörden das drei Jahre vorher zensierte Kapitel über die Liebeskunst. Doch die öffentlichen Bibliotheken verboten ihren Nutzern, dieses Kapitel zu lesen – was letztlich zu seiner weiten Verbreitung beitrug. In der Ausgabe von 1935 wurden die Seiten, die Kapitel 28 im Buch einnimmt, blank stehengelassen. Nichtsdestotrotz wurde der Text in den 1920er und 1930er Jahren von japanischen Forschern, unter denen geradezu eine sexologische Manie ausbrach, häufig zitiert.
Als sich ein Schüler des Dichters, Sammlers, Kalligraphen, Herausgebers und Verlegers Ye Dehui 葉德輝 (1864–1927) im Jahre 1902 an der ehemals Kaiserlichen Bibliothek in Ueno aufhielt, fiel ihm auf, daß Kapitel 28 des Ishinpō zahlreiche Zitate aus verschollenen chinesischen Klassikern zu den sexuellen Künsten enthielt. Ye Dehui rekonstruierte daraufhin die Klassiker auf Grundlage einer handschriftlichen Kopie, die ihm der Student zuschickte, und gab das Resultat 1903 unter dem Titel „Schatten des doppelten Pflaumenbaums“ als Privatdruck heraus. Ye Dehui war damit der erste moderne Gelehrte, der Einblick in die sexuellen Künste des alten China erhielt. Als das Buch 1914 neu aufgelegt wurde, fügte Ye einige weitere Titel hinzu. Ye Dehui war einer der produktivsten Sammler seltener Bücher und Manuskripte in China. 1910 veröffentlichte er einen Leitfaden für das Sammeln von Büchern, und 1915 gab er einen Katalog der rund 350.000 Bände seiner persönlichen Sammlung heraus. Seine Ausgabe enthielt jedoch – wie bei dieser Verfahrensweise zu erwarten war – zahlreiche Transkriptionsfehler. Dennoch löste das Buch einen Skandal aus und empörte auch die Öffentlichkeit in der jungen Republik China. Der Herausgeber bezahlte seine Liebe zum Buch mit dem Leben: Er wurde von Radikalen umgebracht. Die Veröffentlichung der Auszüge aus dem Fangnei erregte die Aufmerksamkeit sowohl chinesischer Historiker als auch westlicher Gelehrter wie Henri Maspero, Joseph Needham und Robert H. van Gulik. Joseph Needham bezeichnete das Fangnei als „größte chinesische sexologische Sammlung“.
Obwohl es ein Werk ist, das sich ausschließlich auf chinesische Quellen stützt, erschien erst 1955 die erste Buchausgabe des Yixinfang in China. 1973 wurden im Dorf Mawangdui zahlreiche über zwei Jahrtausende abhanden gekommene Textfragmente gefunden, die der frühen Han-Zeit und der Prä-Qin-Zeit zuzuordnen sind. In Grab No. 3 kamen u.a. zehn Fragmente zutage, auf Seide und Bambus geschrieben, die eine große Ähnlichkeit zu den hier zitierten Klassikern im Fangnei aufweisen. In den letzten Jahrzehnten sind in China hervorragend edierte, kritische Ausgaben veröffentlicht worden, in denen die im Yixinfang gesammelten Zitate zeichengenau mit noch vorhandenen Quellen verglichen wurden. Zu erwähnen ist hier vor allem die Ausgabe von Gao Wenzhu 高文柱 et al. (2011), die als Referenz für die vorliegende Übersetzung verwendet wurde und den Nationalpreis für Exzellente Ausgaben alter Bücher erhielt.
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