Gedichte und kurze Prosa. Mit Zeichnungen von Anna A. Frauendorf
Eine verrückte Mischung aus Burroughs und östlicher Prägung, ein Feuerwerk an Gedankenblitzen! Es sind gerade die Einzelheiten, die hervorstechen, insbesondere, daß die Tibet-Texte im Buch enthalten sind.
Jens Rosch: geb. 1967, studierte Russistik, Mathematik und Erziehungswissenschaften, Lehrauftrag an der Universität Frankfurt a. M., lebt in Berlin und Frankfurt a. M.
"Bestechender Text. Niemals plakativ, eher scheu. Hervorragende Stücke, die in ganz klaren Momentaufnahmen Situationen und Gefühle in einer Art übersensibler Wahrnehmung charakterisieren." (Beate Baum, Dresdner Neueste Nachrichten)
Leseprobe:
Abschied
Das Gold von den Dächern der Tempel wird
eingerollt & in den Tresoren der Erinnerung
verstaut, um ewig dort im Dunkeln zu lagern.
Das Lächeln über den Gesichtern der Hotelfrauen
nimmt immer wehmütigere Züge an, bald
wird es sich wieder ganz in Arbeit aufgelöst haben.
Das Klingeln der Rikschas & Fahrräder fliegt
besonders schrill durch die Großhirnrinde
dieses sich in immensem Tempo aufbrauchenden Tages.
Die Sonne dreht sich so schnell übern Himmel,
als habe ihr heute Morgen jemand aus
lauter Schmerz einen Fußtritt verpaßt – oje!
Die Hitze zwischen allen Reizen des wütend
fortschreitenden Tages hat ein Niveau erreicht,
daß es die Geduld mit Quecksilber zu überfluten droht.
Weiße Wolkenberge türmen sich auf den
unter ihnen verschwindenden Bergen, so
viel Weiß hat die Welt schon lange nicht mehr gesehen.
Die Fliesen des Steinfußbodens jammern ein
geometrisches Muster in die sonst ach so
gleichgültige, zufällige Ordnung – Bodensatz der Möglichkeiten.
Aus den Möbeln des Hotelzimmers treten die
eingefalteten Träume früherer Bewohner hervor,
es ist die letzte Chance, von hier wegzukommen.
Die überflüssigen Gegenstände haben ihr Schicksal
allmählich erkannt – wer in drei Gottes Namen
will schon Überflüssiges mit sich herumschleppen?
Die Telefonleitungen über den geschwungenen Dachfirsten
der kochenden Stadt zittern vor Erregung, sie
wollen sich von Fremden nichts nachsagen lassen.
Das Gold in den Augen der Buddhas wird nun
zu ganz gewöhnlichem Weiß, der Kern aller Bilder
gerinnt in den Unterschied – das Wesen der Metapher.
Gedicht für Amsterdam
Wir kamen über die gewundene Autobahn –
Kaugummi zwischen den stumpfen Zähnen – wir suchten
nach einem Parkplatz im Armenviertel.
Wir stolperten über deine Straßenknie,
die uns den Weg in den Abend zeigten,
an deinen gewundenen Linien glitten wir lautlos dahin.
Weit aufgerissene Augen im Zwielicht fremder Gesichter,
plötzlich waren wir zu Gast in Afrika –
plötzlich dampften auf der samtenen Haut dieser Nacht
grelle Farben der Zukunft: eisig & klirrend
wehte der Wind durch deine Grachten,
an jenem Abend habe ich freiwillig den Winter geküßt.
Eins-zwei-drei, so kam es über mich, diese Augen
quollen glibbernd aus ihren Höhlen
in der hintersten Ecke des Coffee-shops.
Nach dem zweiten Bier dann stimmte der Rhythmus wieder,
nach dem zweiten Bier war alles wieder gut,
wir zahlten und gingen hinaus in die Nacht.
eines seltsam vertrauten Alltags
warteten wir schweigend auf das Ende der Nachtschicht.
Die auf vier Stockwerke verteilte Freude
einer geistig veredelten Kargheit
sprach zu uns in fremder Sprache:
„Hier wurde der Frieden in Mauern gezwungen,
hier öffnete sich der Marktplatz in die Welt,
hier haben die Epochen nur einen Namen: Amsterdam.“
In jener Nacht sollte ich traumlos schlafen
mit einer gleißenden Harmonie zwischen müden Knochen,
in jener Nacht wurde mein Augenkörper weich wie Wasser.
Der himmelblaue Bagger
Es war auf einer dieser Wanderungen, im Sumpfland
einer üppig erblühenden Natur hörte ich
ein Geräusch wie das Knirschen aneinander reibender
Himmel: obwohl es Februar war und die Knospen
noch in sich ruhten wie Statuen im gemaserten Stein
krachte die Landschaft an allen Ecken & Enden
so daß ich Angst bekam, der geformte Eisblock
meiner Augen könnte schmelzen & davonfließen
ins Gehörlose – war es nicht Nacht inmitten einer
gleißenden Landschaft, die mit etwas Phantasie
noch die Reste von Sternen auf dem Wasser zucken ließ
während Mückenlarven schnell abtauchten in
die geschützten Regionen? Hier war das Sein eine Pfütze
feucht & geduldig mit der Wiese verwoben
deren Weitläufigkeit den Atem an die Tiefe eines
Raumes ohne Sauerstoff erinnerte, wo der Puls
kreisender Flüssigkeiten auf die chemischen Hilfsmittel
der Katalyse angewiesen ist. Dichter in dürftiger
Zeit, so dachte es in mir mit der Stimme eines
Mondes in Plastikketten, fast hätte ich sie für
den Synthesizer gehalten, der des Abends mein Gedächtnis
zum Sprechen bringt auf der Langwelle heran-
drängenden Schlafs. Nichtsdestotrotz siedete ein
Gedanke in der Ritze zwischen meinen Sinnen
und fragte den Mond nach der Herkunft seines Lichts!
Da keine Antwort die Idylle der Bilder
störte, setzte die Frage sich fest im metaphysischen
Rahmen des Frühlings, der gut & gerne auch
ein Herbst ohne Geruch & Geschmack hätte sein
können. In jenem Augenblick schlug ich die
Augen auf, welche die ganze Zeit über in ledernen
Hautkapseln gegen Wind & Wetter gesteckt hatten
und sah einen himmelblauen Bagger in der strahlenden
Landschaft vibrieren, mit seiner eisernen Schaufelhand
glich er dem Geist von Captain Flint, dem Bewacher
des Schatzes der einarmigen Banditen in den
Kneipen des mechanisierten Jahrhunderts. Ich dachte –
was gräbt der sich hier ins Schilf ein, so
sinnlos & selbstmörderisch, immer noch auf der Suche
nach dem Nibelungenschatz, der doch lang schon
aufgeteilt ist unter die Geldströme? Da sah ich
plötzlich eine Blaskapelle spielen, mitten auf der
Wiese im Wasser – ein Schwanenpaar wiegte die Hälse
in der Art zahnloser Königskobras, eine Kirmes
der motorisierten Gespenster brodelte im Naturreservat
des technisch hochgerüsteten Geistes. Mit dieser
Maschine also beackern sie die Träume der Menschheit
wo das Erdreich in Schichten übereinander liegt
und beschwören den Kosmos mit all seinen totgeborenen
Kometen: so knirschte es in mir an jenem Mittag
im Sumpfland einer noch nicht ganz erblühten Landschaft
mit Schwärmen von Mücken im Bauch eines Planeten
der von den verschiedensten Gesellen durchwandert wird.