Gedichte. Mit Radierungen von Mechthild Mansel
Im Innern der Berge drehen sich Erzadern
zu unwahrscheinlichen Sonnen, die ihre Bestimmung
erst nach Öffnung des Raumes erfahren werden.
Ich wollte immer auffliegen wie ein Vogel aus der Schlucht; nun lebe ich außen im Kristall. Aber nun geben Sie mir bitte den Weg frei, ich schwinge wieder - ich war so müde - auf Flügeln geht dieser Gang - mit meinem blauen Anemonenschwert - in Mittagsturz des Lichts - in Trümmern des Südens - in zerfallendem Gewölk - Zerstäubungen der Stirne - Entschweifungen der Schläfe. (Rosch : Featuring : Benn : Gehirne : Auszüge)
Jens Rosch: geb. 1967, studierte Russistik, Mathematik und Erziehungswissenschaften, Lehrauftrag an der Universität Frankfurt a. M., lebt in Berlin und Frankfurt a. M.
"Es sind die feinen Beobachtungen und Bilder, die den Gedichten von Jens Rosch stilistisch wie gedanklich ein ganz eigenes Leuchten verleihen." Stefan Meetschen
Leseprobe:
Letzte Nacht in Bockenheim
Das Rauschen der Adalbertstraße in der
Ferne & ein Geräusch wie auf See
Als ob bei Doktor Flotte der Fliegende
Holländer angelegt hätte auf der
Suche nach den sterblichen Überresten
Seines Geliebten: Aufgemerkt!
Morgen zieht der Windjammer ab durchs
Tal diesseits des Feldbergs – die
Noch nicht zu Staub zerfallenen Steine
auf den Feldern der Wetterau
Werden zu rumpeln anheben wie drei-
unddreißig Gefangenentransporte
Auf dem Weg ins ewige Eis, die Fische
Fische im sommerlichen Strom der
Nidda aber werden sich des Winters er-
innern, da die spröde Schicht auf
Den Einsamkeiten dieser Welt zu bersten
begann & das Gewissen seinen Atem
Fand: Aufgewacht! Diese Nacht ist das Ende –
Beschriftung eines Grabsteins
Vor den ersten Sachen die letzten Dinge
Vor dem letzten Lachen – ein Paar Ringe
Zwischen den Wellen nur eine handbreit
Zwischen den Zähnen nur noch weltweit
Mandelstam empfängt Nooteboom in seiner Küche in Moskau
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Willkommen, Freund, willkommen. Leg ab & setz
dich. Meine Frau, die liebe, und ich müssen
fort, heute noch fort: Moskau, dieser Moloch,
hat nun Köpfe aus Zeitungspapier – kein
Siegfried, kein Rumi aus Konya kommt mehr
hierher sie abzuschlagen. Freund, leg ab –
setz dich. Ich, oder wer, wer sonst, ungläubiger
Pilger auf allen Wegen von Bethlehem nach
Nirgendwo, las deine Annonce im
Zukunftsanzeiger: Paris, auch so ein Kropf
im Verborgenen – setz dich, Freund, leg ab –
das Noumenon schimmelt – wir müssen reden.