Altchinesische Standardausgabe, Pinyin-Transkription und Übersetzung sowie ein vollständiges Zeichenlexikon
Mit Kalligrammen von Thomas Baumhekel
2. vollständig überarbeitete Auflage
eBook als zitierfähige PDF-Datei
Bei den von Viktor Kalinke konzipierten "Studien zu Laozi · Daodejing" handelt es sich um die einzige Ausgabe im deutschsprachigen Raum, die auch den chinesischen Text wiedergibt (orientiert an der Standardversion nach Wang Bi), die ausdrücklich die Mehrdeutigkeiten "des" Originals sowohl in der Übersetzung als auch im Kommentar berücksichtigt, und die ein Zeichenlexikon mit Konkordanz enthält.
Das Faszinierende des Daodejing besteht in einer einzigartig anmutenden Bündelung kosmischer, seelischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, die mit Recht als unio mystica bezeichnet werden kann.
Eine neuerliche Herausgabe des Daodejing erscheint angesichts der Vielzahl an Übersetzungen überflüssig. Doch gerade die Einseitigkeit der Texte, der Anspruch, eben eine schlüssige Auslegung des chinesischen Originals vorzulegen, begründet die Unzufriedenheit des Lesers, der verschiedene Versionen miteinander vergleicht. Die hier vorgelegte Variante nimmt die mehrdeutigen Passagen als mehrdeutig auf, um die Vielschichtigkeit des Daodejing zu erhalten.
Laozi (Schreibweisen: Lao tse, Lao-tse, Lao tzu, Laudse, wörtlich „Alter Meister“, Rufname Lao Dan, Geburtsname Li Er): legendärer chinesischer Philosoph und königlicher Schrifthüter, gilt traditionell als ein älterer Zeitgenosse des Kongzi, im Westen bekannt als Konfuzius (551 – 479). Die Biographie des Laozi, in der der spätere Hofhistoriker Sima Qian (145 – 90) verschiedene Begegnungen zwischen Laozi und Kongzi schilderte, wirkt nach neueren Recherchen weitgehend glaubhaft. Das Buch Laozi wurde vermutlich am Ende des 4. Jahrhunderts v.u.Z. in der Jixia-Akademie zusammengestellt, geht aber auf ältere, mündlich überlieferte oder bislang unbekannte Quellen zurück, die nach stilistischen Analysen zumindest zum Teil etwa aus dem 5. und 6. Jahrhundert v.u.Z. stammen. Der Titel Daodejing wurde der Schrift vom Han-Kaiser Jingdi (188-140 v.u.Z.) verliehen. Die Kanonisierung des Textes in 81 Kapitel findet sich erst in späteren Kommentaren.
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Laozi - was ist neu? (pdf zum freien Herunterladen)
Viktor Kalinke: geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.
Aus dem Vorwort der Neuausgabe:
In der vorliegenden Ausgabe wurde die Wiedergabe des chinesischen Textes um die Pinyin-Transkription der Zeichen in hellgrauer Druckfarbe ergänzt: Auf diese Weise kann den Schriftzeichen bequem die heutige Aussprache zugeordnet werden – sie stimmt in den meisten Fällen nicht mit der altchinesischen Aussprache überein. Die Frage, inwieweit Reime für den Stil des Buches Laozi eine Rolle spielen, wird im Essay untersucht. In der Transkription sind Stellen, an denen Reime vermutet werden können, dunkelgrau hervorgehoben. Praktischerweise erleichtert die Lautumschrift das Auffinden des Zeichens im Glossar, das alphabetisch geordnet ist.
Die Übersetzung wurde im Vergleich zur Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 2000 an vielen Stellen flüssiger formuliert, indem die im Text enthaltene Mehrdeutigkeit nicht durch Schrägstriche, sondern durch Aufzählungen in die deutsche Fassung integriert wurde. Lexikalisch hat die Lektüre des Zhuangzi, die mich in den Zwischenjahren beschäftigt hat, auch auf meine heutige Lesart des Laozi zurückgestrahlt: Beispielsweise spreche ich nun auch hier eher von „den zahllosen Lebewesen“ als von „den zahllosen Dingen“ – da auch im Laozi eher biologische als physikalische Metaphern angesprochen werden. Anstelle durchweg „Wirkkraft / Tugend“ als Doppelbegriff einzusetzen, habe ich nun im Abhängigkeit vom Kontext entschieden, welche Facette gemeint ist.
Leseprobe:
Kapitel 1
Über das Dao sprechen, ist möglich,
doch nicht als dauerhaft bleibendes Dao;
einen Namen nennen, ist möglich,
doch nicht als dauerhaft bleibenden Namen.
Namenlos, Nichts genannt:
des Himmels, der Erde Beginn;
zu Dasein gekommen, benannt:
der zahllosen Dinge Mutter.
Darum:
Wer nichts anstrebt, sich dauerhaft Nichtseiendem zuwendet,
erkennt daran die verborgenen Feinheiten;
Wer erfüllt ist von Bestreben, sich dauerhaft Seiendem zuwendet,
erkennt daran die äußeren Umrisse.
Diese beiden:
Gemeinsam treten sie hervor,
unterscheiden sich nur nach dem Namen,
gemeinsam bedeuten sie das Tiefgründige –
dort, wo das Tiefe am tiefsten ist,
liegt die Pforte zu allen verborgenen Feinheiten.