Widerreden und Würdigungen
Giebe preist in seinen Essays jene wahrhaftigen Maler, deren Werke ihn angetrieben haben - Pablo Picasso, Oskar Kokoschka, Max Beckmann und Bernhard Heisig. Zum Dank brennt er intellektuelle Feuerwerke für diese Großen ab. Aber er redet nicht, um seine Bilder zu erklären, er zerredet nichts. Analytische Hilfestellungen für eine Entschlüsselung seiner Bilder sind aus den hier vorgelegten Texten nicht zu erwarten. Weit stärker treibt ihn etwas anderes zum öffentlichen Reden und Schreiben. Giebe zeigt sich provoziert vom geistigen Absturz des Kunstmarktes. Er versucht, die Ursachen für diesen absurden Crash aufzudecken. Er versucht, die Marktmechanismen der erfolgreichen Jubelinszenierung des postpostmodernen Kunstkitsches zu begreifen und begreiflich zu machen. Der theoretische Kunst-Megadiskurs, sagt Giebe, schwanke zwischen Trivialisierung und Heiligsprechung, zwischen bizarr verstiegenen Theorien des Absoluten und scheinheiliger Naivität.
Hubertus Giebe: geb. 1953 in Dohna, Studium der Malerei und Grafik (abgebrochen), externes Diplom an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Meisterschüler bei Bernhard Heisig, Leitung des künstlerischen Grundlagenstudiums an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Rede auf der Demonstration der Dresdner Künstlerverbände für Meinungsfreiheit, Demokratie und politischen Wandel am 19. November in Dresden, Kündigung des Lehrverhältnisses, Wiederbeginn der freischaffenden Tätigkeit, zahlreiche Ausstellungen
"Giebe zeigt sich öffentlich als unglaublich belesener kritischer Denker ... Seine aus Wissen und Leidenschaft geborene Position läßt den Künstler das gegenwärtige Kunstgetriebe - man ahnt es - mehr als kritisch kommentieren." Lisa Werner-Art, DNN
"Furiose Bekenntnisse, Abrechnungen, alles mit Verve vorgetragen. Seine Ausdruckskraft, die stets aufs Absolute, Unbedingte zielt, wird von einem immensen Wissensfundus gespeist." Wulf Kirsten
"Ja, man wünscht, wiewohl nach der Lektüre des Buches gut gesättigt, noch mehr Giebe." Dieter Hoffmann, Marginalien
„Das Beste hatte man sich für den Schluß aufgehoben: ‚Der geschliffene Elfenbeinturm’ von Hubertus Giebe gefiel ausnahmslos.“ Falk Bernhardt, mdr-figaro
Leseprobe:
Frommholds Ateliergespräche – wider das Verdrängen der Geschichte
»Benennen heißt sein«, dekretierte der Mexikaner Octavio Paz in einem seiner brillanten Essays. Frommhold war ein Mann, der mit aller Kraft in diesem Leben »sein« wollte: Er schrieb, er bewegte den Geist universell, er stritt, er eckte an. Bücher: Exegese der Geschichte, der Kunst, der Ideenbewegungen, des Inkommensurablen der Existenz. Die Alphabete des Wissens waren seine Konfession, ihm eine erregende, lustvolle, leidenschaftliche Konfession. Er war ein Obsessiver ganz im Sinne von Lévi-Strauss’ Wildem Denken.
Frommhold, heute vor achtzig Jahren im thüringischen Altenburg geboren, gelernter Bauklempner, antifaschistisches Elternhaus, anarcho-sozialistischer junger »Edelweißpirat mit weißem Seidenschal«, verweigerte den Eintritt in die HJ. Der Vater, Sattler, ein Arbeiter, der sich politisch engagierte, saß im Zuchthaus der Nazis, Verwandte kamen ins KZ – das war prägend für das frühe intellektuelle Weltbild Frommholds. Mit sechzehn kam er noch mit Hitlers »letztem Aufgebot« der Wehrmacht an die Westfront, Gefangenschaft, ab 1947 Studium in Jena (seine Diplomarbeit schrieb er über Oswald Spengler). 1952 wurde er dank mehrerer Zufälle und Fügungen, die es in diesen Zeiten gab, Gründungslektor, später Cheflektor am Dresdner Verlag der Kunst. Er war selbst ein Mann mit einem »Rammschädel«, wie er später den weltbekannten mexikanischen Wandmaler Diego Rivera beschrieb, mit dem er 1954 in Dresden zusammentraf.
Frommhold war ein schnörkelloser, geradliniger, manchmal martialischer Denker und Akteur, dessen Mißtrauen gegen den »Zeitgeist«, den »Volksgeist«, den »Schöngeist« von tief verwurzelter früher Erfahrung geprägt war. Er haßte die Phrasen der Kultur-Parvenüs, der Zeitgeist-Claqueure, die schnellen und billigen Kollaborateure des jeweiligen Mainstreams, ihren ewigen Smalltalk.
1946 wurde Frommhold, wie hätte es bei einem solchen Elternhaus anders sein können, Parteimitglied der ersten Stunde, damals der KPD. Aber allzu schnell sollten sich der Riß, die Desaster zeigen, die tiefe Verzweiflung einer noch stalingläubigen Vätergeneration, sofern sie nicht »stramme Parteisoldaten« waren. Im März 1951 begannen die unseligen »Formalismusdebatten«, die Diffamierung der zurückgekehrten Westemigranten. »Intellektuelle«, Abweichler, wurden gebrandmarkt. Das alte Taktieren, die Winkelzüge, das Mißtrauen der Genossen untereinander kam wieder auf mit »Parteirügen«, entwürdigenden »Selbstkritiken«, politischen Denunziationen – Ulbrichts Ära.
Für einen jungen, geistbesessenen Mann wie Frommhold, der das Schriftgut des »linken Index« kannte und las, ein freier Geist, mehr und mehr auch junger »Funktionär«, bald Kosmopolit, muß das eine immerwährende innere Zerreißprobe gewesen sein. Gerade weil er im Sinne der früh verehrten Bertolt Brecht, Hanns Eisler, John Heartfield, Ernst Bloch aus Herkunft, Verfaßtheit, Haltung und Charakter wahrhaft links, linksdemokratisch dachte und fühlte, konnte und wollte er kein Renegat sein. Wer aber, wie Frommhold, Ernst Blochs Prinzip Hoffnung, Otto Rühles sozialpsychologische Schriften, später Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands annahm und lebte, mußte renitent in den »eigenen Reihen« werden, was Folgen hatte.
Dieses Getriebensein von einem weitgespannten, links-futuristischen Denken par excellence, welches das sogenannte »Schicksal« und die »maskierte Welt«, ihre alt-neue »Heuchelei und Blenderei« demaskieren wollte – alles wirklich, tatsächlich wissen wollte – diesen elan vital habe ich bei Frommhold immer elementar gespürt und bewundert. Sein Wissen, Frucht jahrzehntelanger, weit ausholender Studien in Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und vielem mehr, war frappierend. Man wurde da vor ihm oft sehr klein!
Dieser plebejische Geistesberserker, der die Geschicke eines, seines Verlages leitete, glänzende Bücher edierte, oft bahnbrechend im jeweiligen Metier, unbequemen Autoren die Treue hielt, in Verruf geratene Stimmen schützte und verlegte – ich denke an Wilhelm Fraenger, Ernst Niekisch, John Berger, Ernst Fischer, Richard Neutra bis zu Diether Schmidt in Dresden – sollte nur allzu bald die Tribunale seiner eigenen Partei, ihre inquisitorische Bürokratie, ihren »Byzantinismus« kennen und erleiden lernen. Er überstand diese Perfidien – eigentlich ein Wunder, das wohl nicht allzu viele aufrichtige linke Intellektuelle vorweisen können. Er hatte wahrlich mit Adorno und Horkheimer erfahren: »Die paranoiden Bewußtseinsformen streben zur Bildung von Bünden, Fronden und Rackets. Die Mitglieder haben Angst davor, ihrem Wahnsinn allein zu glauben.« (Dialektik der Aufklärung).
Er sprach darüber, je älter er wurde, desto direkter. Hier begannen sie schon, die erhellenden »Geschichtslektionen« – oft im Freiraum des Ateliers. Da war Frommhold ein so besessener, kolossaler wie lustvoller, neugieriger Kombattant, kritisch, gleichwohl begeistert. Ich hatte das Glück, Frommhold vor etwa 30 Jahren kennenzulernen. Das war, glaube ich, im »Secundo Genitur« auf der »Brühlschen Terrasse«. Das war in den siebziger Jahren, als vieles noch oder schon wieder »eng« war und ich an der Kunstakademie »auf dem Brühl« studierte. Die Eiszeit nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« hielt an. Am 16. November 1976 wurde Wolf Biermann ausgebürgert. Frommhold war mit ihm befreundet. Pressekampagnen lehrten einem das Gruseln. Trotzdem regte sich auch in meiner Generation ein bald nicht mehr zu reglementierender Widerspruchsgeist. Man wollte endlich die ganze Welt wissen, die ganze Kunst, die ganze Moderne erfahren. Für viele, die damals Studenten waren, auch für mich, gab es einen Aufbruch und den Anspruch, das kennenzulernen, was auf dem Index stand. Wir wollten das selbstbeschränkte, selbstgenügsame Denken der geistes- und kunstgeschichtlich dünnen Oberschullehrpläne und Stundenpläne der Akademie endlich überwinden – jene kleinbürgerliche »Gute-Stube-Infektion«, wie Bloch das nannte. Freunde reisten aus, gingen über die Grenze, weil sie es in der DDR nicht mehr aushielten. Das mußte jeder mit sich selbst ausfechten. Die Lebenswege der Generation, ihre Bindungen, Überzeugungen und Charaktere, waren sehr verschieden. Oft liefen sie aus politischen Gründen unwiederbringlich auseinander.